Polarforschung: "Ein bisschen mulmig ist mir schon"
Ende August startet die Reise zu einer ungewöhnlichen russischen Forschungsexpedition: eine Fahrt durchs Nordpolarmeer, ganz ohne Antrieb und Ziel - auf einer treibenden Eisscholle. Als erster Ausländer in der Geschichte der Eisdrift-Stationen ist diesmal der Polarforscher Jürgen Graeser vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam mit dabei. spektrumdirekt hat sich mit ihm unterhalten.
spektrumdirekt: Herr Graeser, Sie arbeiten ab September als erster Deutscher zusammen mit einem russischen Forscherteam auf einer Eisdrift-Station im Nordpolarmeer. Wie muss man sich eine solche Drift-Studie vorstellen?
spektrumdirekt: Wie findet man eine geeignete Scholle?
Graeser: Mit Radarsatellitenbeobachtungen wird entsprechendes Eisfeld ausgemacht, in dem man dann nach einer passenden Scholle sucht. Dies ist im Mai und Juni dieses Jahres geschehen. Dort wurde bereits eine Sommerstation eingerichtet, auf der im Moment acht Forscher beschäftigt sind, darunter auch der künftige Stationsleiter der NP-35-Drifteisstation.
spektrumdirekt: Was genau soll denn erforscht werden?
Graeser: Wir wollen in diesem Projekt die Wechselwirkung zwischen Meer, Meereis und der unteren Atmosphäre erkunden. Diese so genannte planetare Grenzschicht reicht hinauf bis 1500 Meter Höhe und befindet sich im direkten Austausch mit der Erdoberfläche, in diesem Fall also der Meeres- oder Eisoberfläche.
Die russische Seite wird in diesem Rahmen maritime Untersuchungen durchführen. Sie wird die Eisdicke messen, das Wachsen und der Abbau der Eismassen während der gesamten Drift, aber auch die Zusammensetzung des Ozeanswassers bezüglich darin enthaltener Gase oder des Salzgehaltes. Mein Programm sind meteorologische Beobachtungen, die wir in einer Art Joint Venture machen: Um die bodenbezogenen Untersuchungen kümmert sich die russische Seite, in gemeinsamen Projekten werden wir die Troposphäre und die untere Stratosphäre untersuchen.
Graeser: Die Untersuchungen erfolgen mit frei fliegenden Ballonen, die einen Ozonmesser enthalten, der Auskunft über die Verteilung der Ozonmoleküle in der Atmosphäre gibt. Zusätzlich werde ich so genannte Fesselsondenaufstiege machen, das heißt, ich werde einen größeren Ballon auf eine Höhe von etwa 1500 Meter bringen. Im Abstand von 200 bis 300 Metern ist an dessen Seil jeweils eine kleine Wetterstation befestigt, die kontinuierlich Daten an die Bodenstation sendet.
spektrumdirekt: Was ist der Hintergrund dieser Experimente?
Graeser: Die arktische Region ist die Wetter- und Klimaküche für die gesamte nördliche Hemisphäre. Hier finden Prozesse statt, die Einfluss auf unser Wettergeschehen und letztlich auch auf das künftige Klimageschehen haben. Gleichzeitig ist es aber sehr schwierig, dort Daten zu beschaffen, da man die Gegend nur schlecht mit Satelliten erfassen kann und sie zudem zu unwirtlich ist, um mit Forschungsstationen zu arbeiten.
spektrumdirekt: Wohin wollen Sie sich treiben lassen?
Graeser: Frühere Eisdriftstudien konnten nachweisen, dass im Nordpolarmeer zwei große Eisdrifte existieren: der Transpolarstrom, der von Sibirien nach Grönland zieht, und der Beaufortwirbel, der nördlich der Küsten Alaskas zirkuliert. Unsere Wunschroute ist die Transpolardrift. Schließlich wollen wir mit unseren Untersuchungen einen möglichst weiten Raum abdecken. Da wäre es für uns ungünstig, wenn wir uns in einem kleinen Kreis bewegen würden. Die lange Strecke von der Osthälfte der Erde über den Nordpol zur Westhälfte wäre hingegen ideal.
spektrumdirekt: Warum begibt man sich für diese Forschungen auf eine Eisscholle? Wäre ein Eisbrecher nicht bequemer?
Graeser: Ein Eisbrecher wäre sicherlich sehr angenehm. Man könnte auch mehr wissenschaftliche Projekte darauf unterbringen. Nur ist das dann mit erheblichen Kosten verbunden. Das Forschungsschiff des Alfred-Wegener-Instituts etwa kostet täglich zwischen 60 000 und 80 000 Euro. Ein ganzjähriges Experiment wie das unsrige wäre so einfach nicht zu finanzieren. Da ist eine Eisscholle vergleichsweise günstig.
spektrumdirekt: Wie lange bleiben Sie auf der Scholle?
Graeser: Die meisten russischen Forscher bleiben ein ganzes Jahr. Ich werde aber voraussichtlich im April von einem Polarforschungsflugzeug des Alfred-Wegener-Institutes abgeholt und nur dort überwintern.
Graeser: Diese Expedition ist hoffentlich ein erster Schritt zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Denn wir brauchen uns nichts vorzumachen: Ohne die Russen geht in diesem Teil der Arktis gar nichts. Das AWI kann allerdings auf eine langjährige Kooperation mit den Russen zurückblicken. Wir hoffen, dass wir auch bei den Eisdriftstudien künftig häufiger gemeinsam arbeiten.
spektrumdirekt: In der Geschichte der Drift-Experimente kam es zu einigen Zwischenfällen, bei denen die Eisschollen auseinanderbrachen. 2004 mussten die Forscher sogar per Hubschrauber evakuiert werden. Haben Sie nicht Angst, dass Ihnen das Eis unter den Füßen zerfällt?
Graeser: Die Möglichkeit besteht. Man darf ja nicht vergessen, in welcher Region man sich befindet: Man weiß nicht, in welche Strömung man genau gerät, welche Wetterverhältnisse eintreten werden. Da kann es schon passieren, dass eine Scholle durchbricht. Bei einem einzigen großen Riss ist das noch kein wirkliches Problem, das wissen die russischen Kollegen durchaus zu regeln. So kritisch wie vor drei Jahren, als eine Eisscholle wirklich zertrümmert wurde, wird es diesmal aber hoffentlich nicht – schließlich wurde eine deutlich größere und auch dickere Eisscholle ausgewählt.
spektrumdirekt: Gibt es bestimmte Vorkehrungen für den Notfall?
Graeser: Alle Häuser haben Kufen, auch mein Equipment – das sind im Wesentlichen zwei Container und eine große Anzahl von Gasflaschen, um damit die Ballone zu befüllen – steht auf Schlitten. Ich habe auch ein größeres Ballonzelt mit, das sich in zehn Minuten auf- und abbauen lässt. Es war eine der Anforderungen der russischen Seite, dass ich schnell umzugsfertig sein müsse.
spektrumdirekt: Sie haben schon mehrere Expeditionen in die Arktis und Antarktis gemacht, nun folgt ein achtmonatiger Aufenthalt auf einer treibenden Eisscholle. Sind Sie ein Abenteurer?
Graeser: Nein, ich bin ein bodenständiger Typ. Die Expedition hat für mich nichts mit Abenteurertum zu tun, denn es geht hier um kalkulierbare Risiken und nicht darum, einfach mal zum Nordpol zu gehen. Das ist für mich ein Abenteuer. Das was ich mache, ist schlicht eine interessante Arbeit an einem besonderen Ort – mit zugegebenermaßen abenteuerlichem Hintergrund.
spektrumdirekt: Haben Sie keine Angst vor der Einsamkeit?
Graeser: Ein bisschen mulmig ist mir schon. Aber ich hoffe, unter den russischen Kollegen Freunde zu finden. Für eventuelle Durststrecken habe ich mir Bücher und Computerspiele eingepackt. Vermutlich werde ich aber sehr beschäftigt sein.
Jürgen Graeser: Die Polarregion ist im näheren Umkreis des Nordpols zum größten Teil mit Eis bedeckt. Wir versuchen, eine Station auf einer Scholle aufzubauen, die dann durch das Nordpolarmeer und die Eisdecke driftet. Dazu haben wir eine Scholle ausgesucht, die 2000 Meter lang und 1500 Meter breit ist. Darauf wird aus Fertigteilhäuschen eine kleine Siedlung gebaut – mit Wohnhäusern, Laboratorien mit Messgeräten, einer Diesel-Elektrostation, einer Werkstatt und natürlich auch Küche und Krankenzimmer.
spektrumdirekt: Wie findet man eine geeignete Scholle?
Graeser: Mit Radarsatellitenbeobachtungen wird entsprechendes Eisfeld ausgemacht, in dem man dann nach einer passenden Scholle sucht. Dies ist im Mai und Juni dieses Jahres geschehen. Dort wurde bereits eine Sommerstation eingerichtet, auf der im Moment acht Forscher beschäftigt sind, darunter auch der künftige Stationsleiter der NP-35-Drifteisstation.
spektrumdirekt: Was genau soll denn erforscht werden?
Graeser: Wir wollen in diesem Projekt die Wechselwirkung zwischen Meer, Meereis und der unteren Atmosphäre erkunden. Diese so genannte planetare Grenzschicht reicht hinauf bis 1500 Meter Höhe und befindet sich im direkten Austausch mit der Erdoberfläche, in diesem Fall also der Meeres- oder Eisoberfläche.
Die russische Seite wird in diesem Rahmen maritime Untersuchungen durchführen. Sie wird die Eisdicke messen, das Wachsen und der Abbau der Eismassen während der gesamten Drift, aber auch die Zusammensetzung des Ozeanswassers bezüglich darin enthaltener Gase oder des Salzgehaltes. Mein Programm sind meteorologische Beobachtungen, die wir in einer Art Joint Venture machen: Um die bodenbezogenen Untersuchungen kümmert sich die russische Seite, in gemeinsamen Projekten werden wir die Troposphäre und die untere Stratosphäre untersuchen.
spektrumdirekt: Wie werden Sie dabei vorgehen?
Graeser: Die Untersuchungen erfolgen mit frei fliegenden Ballonen, die einen Ozonmesser enthalten, der Auskunft über die Verteilung der Ozonmoleküle in der Atmosphäre gibt. Zusätzlich werde ich so genannte Fesselsondenaufstiege machen, das heißt, ich werde einen größeren Ballon auf eine Höhe von etwa 1500 Meter bringen. Im Abstand von 200 bis 300 Metern ist an dessen Seil jeweils eine kleine Wetterstation befestigt, die kontinuierlich Daten an die Bodenstation sendet.
spektrumdirekt: Was ist der Hintergrund dieser Experimente?
Graeser: Die arktische Region ist die Wetter- und Klimaküche für die gesamte nördliche Hemisphäre. Hier finden Prozesse statt, die Einfluss auf unser Wettergeschehen und letztlich auch auf das künftige Klimageschehen haben. Gleichzeitig ist es aber sehr schwierig, dort Daten zu beschaffen, da man die Gegend nur schlecht mit Satelliten erfassen kann und sie zudem zu unwirtlich ist, um mit Forschungsstationen zu arbeiten.
spektrumdirekt: Wohin wollen Sie sich treiben lassen?
Graeser: Frühere Eisdriftstudien konnten nachweisen, dass im Nordpolarmeer zwei große Eisdrifte existieren: der Transpolarstrom, der von Sibirien nach Grönland zieht, und der Beaufortwirbel, der nördlich der Küsten Alaskas zirkuliert. Unsere Wunschroute ist die Transpolardrift. Schließlich wollen wir mit unseren Untersuchungen einen möglichst weiten Raum abdecken. Da wäre es für uns ungünstig, wenn wir uns in einem kleinen Kreis bewegen würden. Die lange Strecke von der Osthälfte der Erde über den Nordpol zur Westhälfte wäre hingegen ideal.
spektrumdirekt: Warum begibt man sich für diese Forschungen auf eine Eisscholle? Wäre ein Eisbrecher nicht bequemer?
Graeser: Ein Eisbrecher wäre sicherlich sehr angenehm. Man könnte auch mehr wissenschaftliche Projekte darauf unterbringen. Nur ist das dann mit erheblichen Kosten verbunden. Das Forschungsschiff des Alfred-Wegener-Instituts etwa kostet täglich zwischen 60 000 und 80 000 Euro. Ein ganzjähriges Experiment wie das unsrige wäre so einfach nicht zu finanzieren. Da ist eine Eisscholle vergleichsweise günstig.
spektrumdirekt: Wie lange bleiben Sie auf der Scholle?
Graeser: Die meisten russischen Forscher bleiben ein ganzes Jahr. Ich werde aber voraussichtlich im April von einem Polarforschungsflugzeug des Alfred-Wegener-Institutes abgeholt und nur dort überwintern.
spektrumdirekt: Sie sind der erste Nicht-Russe, der bei einer solchen Expedition teilnehmen darf. Was erhoffen Sie sich vom gemeinsamen Projekt?
Graeser: Diese Expedition ist hoffentlich ein erster Schritt zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Denn wir brauchen uns nichts vorzumachen: Ohne die Russen geht in diesem Teil der Arktis gar nichts. Das AWI kann allerdings auf eine langjährige Kooperation mit den Russen zurückblicken. Wir hoffen, dass wir auch bei den Eisdriftstudien künftig häufiger gemeinsam arbeiten.
spektrumdirekt: In der Geschichte der Drift-Experimente kam es zu einigen Zwischenfällen, bei denen die Eisschollen auseinanderbrachen. 2004 mussten die Forscher sogar per Hubschrauber evakuiert werden. Haben Sie nicht Angst, dass Ihnen das Eis unter den Füßen zerfällt?
Graeser: Die Möglichkeit besteht. Man darf ja nicht vergessen, in welcher Region man sich befindet: Man weiß nicht, in welche Strömung man genau gerät, welche Wetterverhältnisse eintreten werden. Da kann es schon passieren, dass eine Scholle durchbricht. Bei einem einzigen großen Riss ist das noch kein wirkliches Problem, das wissen die russischen Kollegen durchaus zu regeln. So kritisch wie vor drei Jahren, als eine Eisscholle wirklich zertrümmert wurde, wird es diesmal aber hoffentlich nicht – schließlich wurde eine deutlich größere und auch dickere Eisscholle ausgewählt.
spektrumdirekt: Gibt es bestimmte Vorkehrungen für den Notfall?
Graeser: Alle Häuser haben Kufen, auch mein Equipment – das sind im Wesentlichen zwei Container und eine große Anzahl von Gasflaschen, um damit die Ballone zu befüllen – steht auf Schlitten. Ich habe auch ein größeres Ballonzelt mit, das sich in zehn Minuten auf- und abbauen lässt. Es war eine der Anforderungen der russischen Seite, dass ich schnell umzugsfertig sein müsse.
spektrumdirekt: Sie haben schon mehrere Expeditionen in die Arktis und Antarktis gemacht, nun folgt ein achtmonatiger Aufenthalt auf einer treibenden Eisscholle. Sind Sie ein Abenteurer?
Graeser: Nein, ich bin ein bodenständiger Typ. Die Expedition hat für mich nichts mit Abenteurertum zu tun, denn es geht hier um kalkulierbare Risiken und nicht darum, einfach mal zum Nordpol zu gehen. Das ist für mich ein Abenteuer. Das was ich mache, ist schlicht eine interessante Arbeit an einem besonderen Ort – mit zugegebenermaßen abenteuerlichem Hintergrund.
spektrumdirekt: Haben Sie keine Angst vor der Einsamkeit?
Graeser: Ein bisschen mulmig ist mir schon. Aber ich hoffe, unter den russischen Kollegen Freunde zu finden. Für eventuelle Durststrecken habe ich mir Bücher und Computerspiele eingepackt. Vermutlich werde ich aber sehr beschäftigt sein.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.