News: Ein Hauch von Nanocomputer
Alex Zettl, Physiker der Materials Sciences Division (MSD) in Berkeley und Professor für Physik an der University of California ist Leiter einer Studie, in der nachgewiesen wurde, daß Nanoröhren aus reinem Kohlenstoff als Dioden funktionieren (Science vom 3. Oktober 1997). „Wir haben den kleinsten Gleichrichter der Welt, der auch bei Zimmertemperatur funktioniert. Er ist nur so groß wie eine Handvoll Atome”, sagt Zettl. „Wenn wir Nanoröhren züchten, bilden sich von selbst elektronische Bauteile aus ihnen.”
Bei früheren Versuchen, Geräte aus Nanoröhren nachzuweisen, wurden winzige Kontaktelektroden benutzt, mit denen nur kleine isolierte Bereiche der Röhren vermessen werden konnten. Offensichtlich wurden bei diesen Experimenten die falschen Bereiche untersucht. Zettl war erfolgreich, weil er die Nanoröhren entlang ihrer gesamten Länge maß. Das gelang ihm durch den Einsatz der ultradünnen Spitze eines Raster-Tunnelmikroskops.
Nanoröhren aus Kohlenstoff wurden vom japanischen Elektronenmikroskopiker Sumio Iijima entdeckt. Sie werden erzeugt, indem gewöhnlicher Kohlenstoff verdampft wird und in einem Vakuum oder reaktionsträgen Gas kondensieren kann. Der Kohlenstoff bildet eine Reihe von Sechsecken, die sich zusammenrollen und zu hohlen Röhren verbinden.
Nanoröhren haben einen Durchmesser von nur wenigen Nanometern (milliardstel Metern). Wenn sie ausschließlich aus Kohlenstoff-Atomen bestehen, sind sie chemisch inert, rund 100 mal stärker als Stahl und bieten eine Vielzahl elektrischen und thermischen Eigenschaften. Je nach Durchmesser kann eine reine Kohlenstoff-Nanoröhre den elektrischen Strom wie ein Metall leiten, oder sie verhält sich wie ein Halbleiter, d.h. sie leitet Strom erst oberhalb einer Grenzspannung. Gemäß einer Theorie, die von Marvin Cohen und Steven Louie, Physiker aus Berkeley Lab, aufgestellt wurde, könnte an der Schnittstelle zwischen zwei unterschiedlichen Nanoröhren ein elektronisches Bauteil erzeugt werden. Dabei dient eine Nanoröhre als Metall und die andere als Halbleiter. Dies würde eine Schottky-Barriere erzeugen, d.h. der Strom fließt nur in eine Richtung – vom „Halbleiter” zum „Metall”. Nach der Vorstellung von Cohen und Louie würden die beiden Röhren durch Fünfeck-Siebeneck-Paardefekte (Ringe aus fünf und sieben Kohlenstoffatomen) im Schnittstellenbereich verbunden.
Zettl und Collins konnten bestätigen, daß Schottky-Barrieren entlang der Kohlenstoff-Nanoröhren existieren. Der Schlüssel zu ihrem Erfolg war das Raster-Tunnelmikroskop (scanning tunneling microscope, STM). Ein STM besitzt eine metallene Spitze, die als die kleinste Pyramide der Welt gilt: einige Schichten aus Atomen, deren Zahl abnimmt, bis an der Spitze ein einziges Atom übrigbleibt. Die Forscher brachten die Spitze des STM mit einem Gewirr von Nanoröhren auf einem Substrat in Kontakt und zogen sie dann langsam zurück. Van-der-Waals-Kräfte banden eine einzelne Nanoröhre an die Spitze des STM, und die Wissenschaftler zogen diese Röhre vorsichtig aus dem Haufen heraus. Dann ließen sie die STM-Spitze über die gesamte Oberfläche gleiten, um Schwankungen im elektrischen Strom zu messen, der durch die Röhre floß.
„Wir konnten eindeutige Veränderungen in der Leitfähigkeit messen, während wir die aktive Länge der Nanoröhre vergrößerten. Dies deutet darauf hin, daß unterschiedliche Segmente der Nanoröhren unterschiedliche elektronische Eigenschaften aufweisen”, sagt Zettl. „Die Veränderungen passierten auf sehr kurzen Abschnitten und weisen auf Nanobauteile hin.”
Zettl erwartet nicht, daß Nanoröhren über Nacht das Silizium in der Elektronikindustrie ersetzen werden. In fernerer Zukunft wäre das aber nach seiner Meinung möglich. Für die Produktion elektronischer Bauteile muß Silizium mit anderen Atomen dotiert werden. Werden die Teile sehr klein, dann beginnen die Dotieratome schließlich umherzuwandern, wodurch sich die Leistung des Gerätes verschlechtert. Auch Hitze wird trotz der guten Wärmeleitfähigkeit des Siliziums zum Problem. Größe und Hitze sind bei Nanoröhren kein Problem, da sie aus kovalent gebundenen Atomen bestehen und sie vermutlich bei Zimmertemperatur noch bessere Wärmeleiter sind als Silicium oder Diamanten.
„Die Siliziumtechnik führt letztendlich in eine Sackgasse, da Geräte mit ihr nicht mehr kleiner gebaut werden können”, sagt Zettl. „Nanoröhren sind bereits kleiner und haben keine Probleme mit Hitze. Man kann sich gar kein besseres Material vorstellen.”
Anstatt einzelne Geräte für bestimmte Zwecke aus Nanoröhren zu bauen, wie es mit Siliziumchips gemacht wird, schlägt Zettl als bessere Methode vor, einen „Röhrenwürfel” herzustellen. So ein Block bestünde aus vielen Milliarden von Bauteilen. Die Röhren wären zu einem zufällig aufgebauten Netzwerk verbunden, das einen „Nanocomputer” darstellt. Dieses Netzwerk wäre in der Lage, sich selbst beizubringen, bestimmte Aufgaben durchzuführen. Es könnte seine Eingabe/Ausgabe-Architektur neu konfigurieren und so die eigene Leistung verbessern, während es lernt und sich weiterentwickelt. Nach Zettls Vorstellungen würde dieser zufällige Computer nicht nur älter werden, sondern auch besser.
„Die Idee ist nicht so verrückt, wie Sie vielleicht glauben”, meint er. Sein Team hat bereits eine Art Röhrenwürfel konstruiert und verdrahtet. Der Würfel kann noch keine nützliche Funktion ausführen, aber nach Zettls Ansicht reagiert er ganz „interessant” auf Eingangssignale.
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