News: Ein Kristall aus Elektronen
In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts haben theoretische Physiker, unter anderen Bloch und Wigner , für Materialien mit einer sehr geringen Dichte von Leitungselektronen besondere Eigenschaften vorausgesagt: Die Elektronen sollten in der Lage sein, sich magnetisch zu ordnen und sogar räumlich regelmäßige Anordung zu bilden, also zu kristallisieren.
In normalen Metallen bewegen sich die für die thermische und elektrische Leitung verantwortlichen Elektronen nahezu unabhängig voneinander. Sie bilden eine sogenannte Fermi-Flüssigkeit. Die Anzahl von Elektronen mit auf- und abwärtsgerichteten magnetischen Drehimpuls (Spin) ist dabei gleich. Sind aber nur sehr wenige leitende Elektronen vorhanden, nimmt die Bedeutung ihrer kinetischen Energie für die Wechselwirkungen untereinander ab. Die Spins der Elektronen können sich dann an einem äußeren Magnetfeld ausrichten, was bedeutet, daß das Material ferromagnetisch wird. Wegen der relativ geringen Zahl von beteiligten Elektronen fällt der Ferromagnetismus aber im Vergleich zu bekannten Materialien wie Eisen oder Nickel nur sehr schwach aus. Auch die Curie-Temperatur, unterhalb derer der Ferromagnetismus einsetzt, sollte tiefer als bei diesen liegen. Bei noch geringerer Konzentration "gefriert" das Elektronengas zu einem "Wigner-Kristall". Die Elektronen des Leitungsbandes ordnen sich zu einer regelmäßigen räumlichen Struktur. Dabei bleiben sie aber beweglich und wandern sozusagen "im Gleichschritt" durch den Festkörper.
Seit all diese Eigenschaften postuliert wurden, haben Physiker immer wieder Modelle solcher Zustände aufgestellt, haben die notwendige Teilchendichte berechnet, die Struktur des zu erwartenden Gitters vorausgesagt und hypothetische Curie-Temperaturen festgelegt. Nur eines fand man bisher nicht: einen außerhalb der Computermodelle wirklich existierenden Stoff, in dem Elektronen in Form eines dreidimensionalen Wigner-Kristalls vorkommen.
Jetzt hat eine internationale Gruppe von Forschern eine Substanz gefunden, die offensichtlich jene beschriebenen Eigenschaften zeigt: Zachary Fisk und sein Doktorand David Young vom National High Magnetic Field Laboratory an der Florida State University in Tallahassee haben sie synthetisiert. Sie benutzten das Halbmetall Calciumhexaborid (CaB6) und ersetzten einige Calciumatome durch das Seltenerdmetall Lanthan. Jedes Lanthanatom steuerte ein Elektron für das Leitungsband bei. Damit läßt sich die gewünschte effektive Elektronenkonzentration genau einstellen. Bei 7x1019 Elektronen pro Kubikzentimeter wurde das Material ferromagnetisch. Mit den Computermodellen, die eine Konzentration unter 2 x 1020 pro Kubizentimeter vorausgesagt hatten, stimmt das gut überein. Die Curietemperatur, bis zu der das Material magnetisch bleibt, ist allerdings mit 600 K viel höher als angenommen. Man hatte mit etwa 200 K gerechnet.
Einzelheiten des Magnetverhaltens der Substanz und die Struktur des beobachteten Wignerkristalls sind noch nicht bekannt. Roy Goodrich glaubt aber, daß sie einer der herkömmlichen sechs Kristallklassen angehört.
Ein Synthese des Wignerkristalls ist von ähnlicher Bedeutung wie die 1995 erfolgte Herstellung eines anderen exotischen Zustandes der Materie, des Bose-Einstein-Kondensats. Anders als bei diesem ist das Material, in dem der jetzt beobachtete Kristall vorkommen kann, jedoch bei Raumtemperatur stabil und relativ unaufwendig herzustellen. Das heißt, er wird für viele Wissenschaftler ein willkommenes Forschungsobjekt sein.
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