News: Ein Lotse für Nervenzellen
Die Wissenschaftler untersuchten die Wanderung der Nervenzellen bei Ratten. Sie konzentrierten sich auf den Riechkolben oder Bulbus olfactorius, der Nagetieren ihren überragenden Geruchssinn gibt. In den ersten zwei Lebenswochen wird diese Region von der subventrikulären Zone mit Vorläuferzellen versorgt und wächst so kontinuierlich. Die beiden Bereiche sind mehrere Millimeter voneinander entfernt, so daß die jungen Zellen einen Weg zurücklegen müssen, der ein Vielfaches ihrer eigenen Länge beträgt.
Die Forscher isolierten Teile des Vorderhirns mit der subventrikulären Zone, dem Bulbus olfactorius und der dazwischenliegenden Zone, dem rostral migratory stream (RMS). Sie markierten die Vorläuferzellen mit Farbstoff, um sie auf ihrem Weg zu verfolgen. Als sie Slit-produzierende Nierenzellen in die RMS einbrachten, bewegten sich nur noch wenige junge Nervenzellen vorwärts. "Das Experiment liefert starke Hinweise, daß Slit Nervenzellen in ihrer natürlichen Umgebung zurückstoßen kann", sagt Jane Wu, Mitglied des Forscherteams.
Im Gehirn der Ratten umschließt die subventrikuläre Zone das Septum, die Scheidewand zwischen den beiden Gehirnhälften. "Nervenzellen bewegen sich daher von dort weg in Richtung des Bulbus olfactorius, ihrem endgültigen Bestimmungsort", erklärt Rao.
In weiteren Untersuchungen hatten die Wissenschaftler auch festgestellt, daß Slit das Wachstum von Axonen steuert, den langen Fortsätzen, die Nervenzellen verbinden. Es verhindert, daß die Axone die Mittellinie des Körpers überqueren. "Es gibt zwei Ansichten", sagt Rao. "Die eine geht davon aus, daß die Entwicklung der Axone und das Wandern der Nervenzellen ziemlich verschieden sind. Die andere Position besagt, daß es Gemeinsamkeiten gibt. Unsere Studie unterstützt die letztere."
Ein Molekül, das Nervenzellen den richtigen Weg weist, könnte in der Medizin bei der Behandlung von neurodegenerativen Krankheiten eingesetzt werden. "Wenn man Neuronen transplantiert, dann kann es vorkommen, daß man sie nicht an der richtigen Stelle im Gehirn einsetzen kann, ohne andere Zellen zu schädigen", erläutert Rao. "Aber vielleicht könnte man sie an einem weniger verletzlichen Teil des Gehirns einsetzen und Slit benutzen, um sie in die gewünschte Region zu bringen."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 22.4.1999
"Neuronen auf der Wanderschaft"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 4.2.1999
"Wie Nervenzellen andocken"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Brennpunkt-Thema vom 14.7.1998
"Der Joker aus der Petrischale" - Spektrum der Wissenschaft 1/98, Seite 25
"Selbstlose Lotsen"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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