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News: Ein Molekülbaukasten für Chemiker

Weg mit den Reagenzgläsern, Petrischalen und Erlenmeyerkolben! Vorbei die Zeiten von Mikromolen, parts per million und Volumenprozenten! Schluss mit nucleophilen Additionen, elektrophilen Substitutionen und Radikal-Angriffen! Nie wieder Pauschalchemie - die Ära der maßgeschneiderten Individualreaktionen hat begonnen. Mit dem Tunnelmikroskop werden Moleküle zerschnitten, neu gemischt und anders wieder zusammengefügt. Was vor kurzem noch Zukunftsmusik war, haben Berliner Chemiker zur Realität gemacht. Vorausgesetzt, sie interpretieren die Anzeigen auf ihren Computerbildschirmen richtig.
Eine Million ist für Chemiker doch gar nichts. Pipettieren sie einen Milliliter einer wässrigen Lösung von einem Reagenzglas ins nächste, transportieren sie damit rund 1022 Moleküle. Selbst in Mikrokammern schwirren so viele Teilchen herum, dass es schwierig ist, beim Abzählen der Nullen nicht den Überblick zu verlieren. Und nicht nur das – die Reaktionspartner müssen sich auch noch zufällig finden, zufällig richtig orientiert einander nähern und dürfen nicht zufällig von den Nachbarn gestört werden. Wie viel einfacher und schöner wäre es da, mit einer Pinzette einzelne Moleküle zu zerschneiden und aus den Stücken dann wie beim Modellbaukasten ein schönes neues Molekül zu basteln.

Saw-Wai Hla und seine Kollegen von der Freien Universität Berlin glauben, dass sie genau dies getan haben (Physical Review Letters vom 25. September 2000, Abstract). Ihre Laborbank bestand aus einer ultraglatten Kupferoberfläche, und das einzige Werkzeug war ein Rastertunnelmikroskop.

Auf das Wesentliche reduziert besteht ein Tunnelmikroskop aus einer feinen Nadel, die über eine Oberfläche fährt. Zwischen den beiden herrscht eine elektrische Potentialdifferenz. Ab und zu tunnelt ein Elektron von der Spitze zur Oberfläche oder umgekehrt, das heißt, es "springt über", sodass ein kleiner Strom fließt, den das Mikroskop misst. Je geringer der Abstand zwischen Nadel und Oberfläche ist, umso größer ist dieser Tunnelstrom. Befinden sich auf der Oberfläche angelagerte Moleküle, so verändern auch sie auf Grund ihrer anderen physikalischen Eigenschaften den Elektronenfluss. Indem das Mikroskop in dicht liegenden Zeilen über die Probe wandert, erfasst es nach und nach dessen elektronische Struktur, die ein Computer zu einem Bild der Oberfläche umsetzt.

Die Berliner Forscher verteilten auf ihrem Kupfertischchen die Substanz Iodbenzol – ein Ring aus sechs Kohlenstoffatomen, an dem ein Jodatom hängt. Mit der Spitze ihres Tunnelmikroskops fuhren sie direkt über ein einzelnes Molekül und gaben einen kurzen Spannungspuls, durch den einige Elektronen von der Nadel auf das Iodbenzol übersprangen. Dadurch wurden aus einem Hügel zwei Erhebungen. Die Wissenschaftler sehen das als Hinweis auf eine Spaltung in den Kohlenstoffring und das Jodatom. Anschließend zogen sie zwei solcher Ringe dicht zusammen, injizierten abermals mit der Nadelspitze Elektronen und verschmolzen so die beiden Hügelchen zu einem. Aus zwei Molekülen Iodbenzol waren also zwei Phenyle – so heißen die Kohlenstoffringe chemisch – und schließlich ein Biphenyl-Molekül geworden.

Allerdings ist das streng genommen nur die Interpretation der Forscher. Es ist nämlich durchaus schwierig, die unscharfen Bilder der Moleküle zu deuten. Deshalb sind einige Chemiker noch zögerlich mit ihrem Beifall. Aber sollten weitere Experimente das neue Syntheseverfahren bestätigen, eröffnen sich neue Welten einer sehr individuellen Chemie – bis auf die Ebene der Moleküle und Atome.

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