Beobachtungstipp: Ein möglicher neuer Meteorschauer am 24. Mai 2014
Der erst im Jahr 2004 entdeckte Komet 209P/Linear wird die Erde am 29. Mai 2014 in nur 0,055 Astronomischen Einheiten Abstand passieren. Das entspricht 8,3 Millionen Kilometer, seine Erdpassage ist damit einer der engsten bekannten Kometenvorbeiflüge in der Geschichte. Bereits in der Nacht von Freitag, den 23. Mai auf Samstag, den 24., durchkreuzt die Erde die Bahnebene des Kometen – und dabei mehrere Staubwolken, die der kurzperiodische Komet mit einer Umlaufdauer von 5,1 Jahren bei seinen Sonnenpassagen im späten 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert ausgestoßen hat. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass 209P/Linear bei diesen Umläufen überhaupt größere Mengen an Staub freisetzte.
Das ist die große Frage, die bei aller Vorfreude auf einen möglichen neuen und bislang noch nie beobachteten Meteorschauer beachtet werden muss: Über die damalige Aktivität des Kometen ist nichts bekannt. Dementsprechend ist völlig unklar, ob eventuelle Staubwolken der Umläufe aus den vergangenen Jahrhunderten überhaupt nennenswerte Meteorschauer erzeugen können. Bill Cooke vom Meteoroid Environment Office der NASA bringt die Erwartungen auf den Punkt: "Es könnte einen großartigen Meteorschauer geben oder einen Totalausfall."
Meteorsturm oder nicht?
Bereits vor zwei Jahren hatten der amerikanische Meteorexperte Peter Jenniskens und sein finnischer Kollege Esko Lyytinen berechnet, dass sich die Erde am 23. und 24.Mai 2014 durch mögliche Staubbänder des Kometen aus den Jahren 1898 bis 1919 bewegen wird. Diese Vorhersage wurde später von dem Franzosen Jérémie Vaubaillion sowie dem Russen Michail Maslow bestätigt. Demnach wäre die stärkste Aktivität eines daraus resultierenden Meteorschauers am 24. Mai zwischen 8 und 10 Uhr MESZ zu erwarten, die Experten rechnen mit dem Hauptmaximum gegen 09:03 Uhr MESZ (Lyytinen), 09:21 Uhr (Maslow) beziehungsweise 09:40 Uhr (Vaubaillon). Leider fällt dieser Zeitraum für europäische Beobachter auf den Vormittag, so dass hierzulande definitiv keine Beobachtung des Maximums möglich sein dürfte.
Die Camelopardaliden
Der Radiant des möglichen Meteorregens liegt allen Experten zufolge bei einer Rektaszension von etwa 123 Grad und einer Deklination von +79 Grad. Der Radiant bezeichnet den Ort am Himmel, von dem die Sternschnuppen auszustrahlen scheinen. Er liegt im Sternbild Giraffe, lateinisch: Camelopardalis, nahe der Sternbilder Großer Bär und Luchs. Der nächste hellere Stern in der Nähe des Radianten ist der 3,4 mag helle Omikron Ursae Majoris. Da ein Meteorstrom üblicherweise nach dem Sternbild benannt wird, in dem sein Radiant liegt, wäre der logische Name für den neuen Strom damit "(Mai-)Camelopardaliden". Auf Grund der hohen Deklination des Radianten und des Zeitpunkts des möglichen Maximums haben Beobachter in Nordamerika die beste Ausgangsposition. In Europa könnten zumindest Radiobeobachter auf ihre Kosten kommen.
Schwieriger als die Berechnung des Zeitpunkts ist die Prognose der Fallrate eines Meteorregens. Im Falle der Camelopardaliden reichen die Angaben von Null bis mehr als tausend Sternschnuppen pro Stunde. Diese Werte beziehen sich auf optimale Beobachtungsbedingungen. Wirklich hohe Fallraten mit Sturmstärke, also 1000 Meteore pro Stunde oder mehr, sind einer neueren Analyse von Quanzhi Ye und Paul Wiegert von der University of Western Ontario (Kanada) jedoch sehr unwahrscheinlich. Optische Beobachtungen des Kometen 209P/Linear bei seiner letzten Sonnenbegegnung 2009 zeigten, dass er seine Staubproduktion weitgehend eingestellt hat und wohl dabei ist, von einem aktiven zu einem "ruhenden" Kometen zu werden.
Die große Frage: Hat der Komet viel Staub freigesetzt?
Allerdings zeigen die Simulationen von Ye und Wiegert, dass die Staubteilchen in den älteren Kometenwolken möglicherweise am oberen Ende der Größenskala liegen: "Wir glauben, dass das Ereignis, wenn es denn eintritt, vor allem von hellen Meteoren dominiert sein könnte." Die Aktivität könnte zudem sehr kurzlebig sein und nur wenige Minuten andauern, die Meteore zögen verhältnismäßig langsam über den Himmel. Optimistische Prognosen gehen von 100 bis 200 Meteoren pro Stunde aus. Das entspräche immerhin der Rate des bekannten Meteorstroms der Perseiden in guten Jahren, die immer im August eines jeden Jahres auftreten.
Von den ungünstigen Aussichten für Europa sollten sich zumindest ambitionierte Meteorbeobachter nicht abschrecken lassen. Zählungen der Fallrate von Amateuren – auch "erfolglose" – sind bei diesem ungewöhnlichen Strom besonders wertvoll und sollten auf der Internetseite der International Meteor Organization (IMO) gemeldet werden. Dazu notiert man am besten die in festgelegten Intervallen, beispielsweise einer Stunde, 30 Minuten oder kürzer, je nach Häufigkeit der Meteore gesichteten Camelopardaliden sowie separat die Zahl der übrigen Meteore. Wichtig sind genaue Angaben zum Standort, den Beobachtungsbedingungen, der Uhrzeit sowie eventueller "Totzeiten" wegen von Bewölkung oder Beobachtungspausen.
Immerhin dürfte die abnehmende Mondsichel mit ihrem hellen Leuchten die Beobachtungen kaum stören. Die hohen Unsicherheiten bei diesem besonderen Strom könnten ausdauernden Beobachtern letztlich sogar entgegenkommen: Neben den genannten Staubwolken könnten noch ältere und jüngere eine Rolle spielen, deren Beiträge sich in Nebenmaxima vor und nach dem eigentlichen Höhepunkt manifestieren könnten. Beobachter sollten daher in der Nacht vom 23. auf den 24., und möglichst auch in der Folgenacht Ausschau nach möglichen Camelopardaliden halten.
Es bleibt die Frage, warum der Komet 209P/Linear bei keinem seiner vielen Umläufe um die Sonne vor 2004 beobachtet werden konnte – eine Tatsache, die nicht gerade für eine hohe Staubproduktion und damit für reiche Meteorströme spricht, wie auch Bill Cooke einräumt: "Allerdings muss man auch die Geometrie des Kometenorbits und die [damals fehlende] Himmelsüberwachung berücksichtigen. So erreichte beispielsweise der für den Meteorstrom der Leoniden verantwortliche Komet Temple-Tuttle im Jahr 1998 auch nur eine Helligkeit von 7 mag, und war dennoch ein sehr guter Staubproduzent. Es ist möglich (wenn auch nicht wahrscheinlich), dass ein Staub produzierender Komet im 18. und 19. Jahrhundert unerkannt geblieben ist."
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