Malariaresistenz : Ein Parasit evolviert
Zwischen 500 000 und 800 000 Menschen starben allein im Jahr 2012 an den Folgen der Malaria – 90 Prozent davon in Afrika [1]. Neben Aids und Tuberkulose zählt die Malaria damit zu den bedeutendsten Infektionskrankheiten weltweit. Doch ein großer Teil der Menschen, vor allem südlich der Sahara, blieb bislang von einer bestimmten Art dieser Tropenkrankheit weitestgehend verschont: die "Duffy-negativen". Ihnen fehlt ein Protein, das der Erreger benötigt, um in ihre Zellen einzudringen.
Doch ihre Resistenz gegen die so genannte Malaria tertiana bröckelt. Forscher um Peter Zimmerman und David Serre von der Case Western Reserve University in Cleveland haben Ende 2013 entdeckt, dass der Erreger Plasmodium vivax (P. vivax) die Resistenz umgeht. Und derzeit sieht alles danach aus, dass der Mensch im evolutionären Wettrüsten mit dem Malariaaerreger ins Hintertreffen gerät.
Bislang profitierten die Duffy-negativen von einer entscheidenden Schwachstelle im komplizierten Lebenszyklus des Parasiten. Wie alle fünf Plasmodienarten, die dem Menschen gefährlich werden können, muss P. vivax zwischen seinen Wirten Mensch und Anophelesmücke hin- und herwechseln: Nachdem der Einzeller im Insekt herangereift ist, gelangt er über den Speichel der Stechmücke in den menschlichen Körper und wandert dort über die Blutbahn in die Leber ein. Hier pflanzt er sich fort, wobei er tausende Nachkommen – so genannte Merozoiten – produziert, die durch die platzende Leberzelle erneut in den Blutkreislauf gelangen.
Schlüssel-Schloss-Prinzip
Doch bevor er sich vom nächsten Moskito aus dem Blutkreislauf saugen lassen kann, muss er sich aufs Neue vermehren: in den roten Blutkörperchen des Wirts, den Erythrozyten. Und genau an diesem Punkt hat der Organismus der Resistenten eine Sperre errichtet. Duffy-negative verwehren dem Malariaerreger den Zutritt zu ihren Erythrozyten.
Für sein Eindringen benötigt P. vivax nämlich einen passenden Schlüssel, das so genannte Duffy-binding protein (DBP). Mit ihm dockt er an ein auf der Zelloberfläche befindliches "Schloss", das Duffy-Protein, an [2]. Normalerweise überlebt das ein rotes Blutkörperchen nicht lange. Nach der Vermehrung lässt es der Eindringling zerbersten, um wieder freizukommen, was dann die charakteristischen Malariasymptome auslöst: von Schüttelfrost und Schweißausbrüchen begleitete Fieberschübe, die – typisch für die Malaria tertiana – alle drei Tage auftreten.
Bei den Duffy-negativen ist jedoch das Gen für das Schloss-Protein ausgeschaltet, infolgedessen stellen sie dem Parasiten kein geeignetes Tor zur Verfügung. P. vivax kann sie zwar immer noch infizieren, aber die Krankheit bleibt symptomfrei. Nach der Invasion der Leber scheitert P. vivax am nächsten Schritt seines Lebenszyklus und wird vom Immunsystem eliminiert. Bis zu 95 Prozent der Bevölkerung im subsaharischen Afrika tragen diesen Schutz.
Parasit und Wirt im Wettbewerb
Und das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Gegen zahllose Krankheitserreger haben Menschen Resistenzen gebildet. Doch ebenso verbreitet ist, dass die Eindringlinge nach der passenden Antwort suchen. "Wenn der Selektionsdruck auf den Erreger besonders hoch ist, treten evolutionäre Mechanismen in Kraft", erklärt Hans-Peter Beck, Leiter der Abteilung molekulare Parasitologie und Epidemiologie am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel. Die Erreger mutieren oder vertauschen Abschnitte ihres Erbguts, um genetisch besser gerüstet zu sein. Ein altbekanntes Beispiel dafür ist das Grippevirus, Influenza A. Es überlistet das Immunsystem von Menschen, indem es sein Erbgut mit dem anderer Influenza-A-Stämme neu kombiniert. Um vor Grippe geschützt zu sein, hilft es daher nur, vor jeder Grippesaison sein Immunsystem per Impfung auf den neuesten Stand zu bringen.
Glücklicherweise dauert es in der Regel einige Zeit, bis eine Mutation oder Rekombination erfolgreich ist – gegen die Abwehr der Duffy-negativen scheint der Malaria-tertiana-Erreger seit Jahrtausenden keine passende Lösung gefunden zu haben. Die weite Verbreitung dieser Resistenz legt nahe, dass sie bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in das Erbgut des Menschen gelangt sein muss.
Infektionen nehmen zu
Doch seit fünf Jahren beobachten Forscher einen Anstieg der Erkrankung – auch bei Duffy-negativen Menschen. Auf einem Gebiet von Madagaskar bis in den Nordwesten Afrikas scheint es P. vivax immer wieder zu gelingen, die Sperre zu durchbrechen und in die roten Blutkörperchen einzudringen.
Was geschieht hier? Die Forscher um Zimmerman und Serre machten sich daran, das Phänomen aufzuklären, und untersuchten Blutproben von Madegassen, die an Malaria tertiana litten, auf Plasmodien. DNA-Analysen verrieten ihnen Erstaunliches: Mehr als die Hälfte der kranken Madegassen wies eine Infektion mit einem neuen, mutierten P.- vivax-Stamm auf. In seinem Erbgut fanden sich statt einer gleich zwei Kopien des "Schlüssel"-Gens DBP [3].
Von einem Zufall wollen die Forscher nicht ausgehen. Denn die Genverdopplung tritt offenbar gehäuft dort auf, wo resistente Menschen leben. Das zeige sich insbesondere auf Madagaskar, meint Beck. "Hier ist die Dichte an Duffy-negativen Menschen besonders hoch, und hier ist auch der Plasmodiumstamm mit der Genduplikation besonders häufig zu finden", erklärt er.
Auf der isolierten Insel sind bis zu 95 Prozent der Einwohner negativ für das Duffy-Protein. Aber auch im Sudan ist das doppelte DBP-Gen in 12,5 Prozent der Plasmodien zu finden, und hier sind ebenfalls 30 bis 90 Prozent der Einheimischen Duffy-negativ. Ähnliche Zahlen gelten für Kambodscha – hier weisen 9,1 Prozent der Parasiten die Gendopplung auf [4, 5]. "Alles scheint auf einen Zusammenhang zwischen dem gesteigerten Infektionspotenzial der 'neuen' Plasmodien und der Gendopplung hinzuweisen", sagt der Basler Forscher.
792 neue Gene
Ein Beweis ist dies jedoch noch lange nicht. Bis jetzt ist beispielsweise noch völlig unklar, wie eine Verdoppelung des DBP-Gens dem Parasiten dabei helfen könnte, den Schutzmechanismus der Resistenten zu hintertreiben.
"Die Anfälligkeit muss nicht zwangsläufig durch die Genduplizierung verursacht sein", sagt denn auch Frank Mockenhaupt, Leiter der Arbeitsgruppe Malaria und Infektionsepidemiologie an der Charité Berlin. Im Vergleich zum ersten, vollständig sequenzierten P.-vivax-Stamm "Salvador I", der den Forschern bis heute als Referenzstamm dient, beobachteten Zimmerman und Kollegen in den isolierten Plasmodiumstämmen zusätzlich noch 792 andere, bisher unentdeckte Gene [6]. "Auch sie könnten für Proteine kodieren, die es dem Erreger leichter machen, die roten Blutkörperchen zu infizieren", überlegt Mockenhaupt.
Wie hoch ist also die Gefahr, dass die Zahl der Malariakranken südlich der Sahara deutlich steigen wird? "Es ist durchaus denkbar, dass sich P. vivax langsam auch im subsaharischen Raum ausbreiten wird. Madagaskarreisende verschleppen den Erreger mit dem doppelten DBP-Gen schließlich in andere Gegenden", so Beck. Ob er aber auch virulenter wird, also ein höheres Potenzial hat, krank zu machen, darüber könne er nur spekulieren.
Die gutartige Malaria?
Immerhin: Die Malaria tertiana wird nicht zu Unrecht oft als "gutartige Malaria" bezeichnet. Im Unterschied zur Malaria tropica – diese wird vom Erreger P. falciparum hervorgerufen – verläuft sie weit seltener kompliziert und endet meist nicht tödlich: Organversagen, vergrößerte Organe und andere schwere Symptome kommen nur ausnahmsweise vor.
Trotzdem ist sie nicht weniger gefährlich. "Das krank machende Potenzial, wie etwa das Fieber, von P. vivax ist mindestens genauso hoch wie bei P. falciparum, wenn nicht sogar höher", sagt Beck. Anders als P. falciparum und alle anderen Plasmodienarten versteckt sich der Parasit zusätzlich auch noch im Körper. Nicht jeder Parasit verlässt nach der Reproduktionsphase die Leber – einige verweilen dort als so genannte Hypnozoiten. Erst nach mehreren Wochen, Monaten oder sogar Jahren gelangen sie in die Blutbahn – der als geheilt geglaubte Malariakranke wird von einem Rückfall gebeutelt.
Dahinter steckt ein raffinierter Schutzmechanismus des Parasiten: Sobald er sich als Hypnozoit in der Leber einnistet, bleibt er vom Immunsystem unerkannt. Die Patienten bleiben jahrelang infiziert, solange sie nicht mit Primaquin, einem gegen Leberparasiten wirksamen Medikament, behandelt werden. "Primaquin wirkt auf Grund von Resistenzbildungen aber nur noch in 50 Prozent der Fälle. Außerdem hat es zum Teil ernsthafte Nebenwirkungen – wir haben also keine Behandlungsmöglichkeiten", ergänzt Beck.
Überdies berichten Mediziner von vereinzelten, schweren Verläufen der Malaria tertiana: Organschäden wie Leber- und Nierenversagen, aber auch zerebrale Malaria mit Krampfanfällen und Bewusstseinstrübungen können auftreten [7]. Gerade bei Kindern verursacht P. vivax zum Teil schwere Schäden. "Vor allem Malariainfektionen in der Schwangerschaft sind besonders gefährlich – weniger für die werdende Mutter als für den Fötus. P. vivax ist dabei nicht milder als P. falciparum", ergänzt Mockenhaupt.
"In Entwicklungsländern, in denen die klinische Versorgung nicht so gut ist wie hier, sind solche Krankheiten sehr schwere Krankheiten. Wenn sich P. vivax also in der resistent geglaubten Bevölkerung ausbreitet, wird das ein zunehmend gesundheitliches und ökonomisches Problem", warnt Beck. Doch erst wenn der Mechanismus geklärt ist, mit dem P. vivax die natürliche Barriere umgeht, lassen sich Strategien entwickeln, um die Ausbreitung der Infektion einzudämmen.
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