Geotektonik: Ein Stich in den Supervulkan
Spektrum.de: Herr Harms, Sie und Ihre Kollegen planen, die Phlegräischen Felder bei Neapel zu Forschungszwecken anzubohren. Bei manchen Kollegen stößt das Vorhaben auf starke Kritik. Wie hoch ist das tatsächliche Risiko?
Ulrich Harms: Es gibt in vulkanischen Gebieten sehr viele Bohrungen, die in den letzten Jahrzehnten erfolgreich und ohne Probleme durchgeführt wurden. Die Voraussetzung hierfür ist, dass angemessene Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Die Bohrung muss auf Überdrucksituationen vorbereitet sein – etwa durch heiße Dämpfe und Gase –, die mit heutiger Technik aber beherrschbar sind, wenn vernünftig gearbeitet wird.
Viele Menschen haben vielleicht die Sorge, dass die Magmenkammer angebohrt wird, wodurch es zu einem künstlichen Vulkanausbruch kommen könnte. Ist diese Vorstellung tatsächlich abwegig?
Dazu müssten schon extrem viele widrige Umstände zusammenkommen. Im Fall der Phlegräischen Felder gibt es eine sehr detaillierte geophysikalische Vorerkundung. Wir wissen also, wie tief die Magmenkammer liegt und wie tief wir bohren wollen. Das überlappt sich nicht.
Es würde wissenschaftlich für uns auch keinen Sinn machen, die Magmenkammer anzubohren, denn die hohen Temperaturen würden jedes Messinstrument in kürzester Zeit überfordern und zerstören. Vor drei Jahren wurde in Island in einem vulkanischen Gebiet gebohrt, in dem man geothermische Energiegewinnung aus so genannten überkritischen Fluiden testen wollte. Die Bohrung sollte bis in vier oder fünf Kilometer Tiefe geführt werden, traf aber bereits auf halbem Weg auf eine Magmentasche.
Was passierte dann?
Die Bohrmannschaft hat dies zuerst gar nicht registriert, sondern sich gewundert, warum die Bohrung plötzlich schneller voranging als zuvor. Erst als sie mehrmals den Bohrstrang zurückziehen mussten, weil dieser festsaß, erkannten sie, dass glasiges Bohrklein gefördert wurde – und bemerkten, dass sie in eine kleine Magmenblase gebohrt hatten. Daraufhin wurde die Bohrung ohne Probleme beendet und verrohrt. Jetzt wird dort versucht, die magmatische Wärme als Energiequelle zu nutzen. Aber nochmals: In den Phlegräischen Feldern ist es überhaupt nicht die Absicht, Magma anzuvisieren.
Welche wissenschaftlichen Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit dort?
Wir bearbeiten zwei Kernthemen: zum einen das vulkanische Risiko, das mit den Phlegräischen Feldern in Verbindung gebracht wird. Das Gebiet dort hebt oder senkt sich stark innerhalb weniger Wochen – was man seit Langem von einem alten römischen Hafen kennt. Dort kann man auch heute noch römische Säulen sehen, an denen auf halber Höhe Muscheln siedelten. Das Hafenbecken lag also einmal deutlich tiefer als heute. Der Vulkan zeigt folglich magmatische Aktivität, die nicht genauer bekannt ist: Bläht sich die Magmenkammer, weil sie sich füllt? Oder passiert das, weil Gestein auskristallisiert und Fluide freigesetzt werden? Diesen Phänomenen wollen wir näher auf die Spur kommen. Dazu müssen wir in die Tiefe bohren, denn Verkehr und Bautätigkeiten erschweren zum Beispiel seismische Messungen an der Oberfläche. In einer Tiefe von 1,5 bis 2 Kilometern gibt es außerdem eine geophysikalische Grenze, deren Natur bislang unbekannt ist und die wir ergründen wollen.
Und der zweite Punkt?
Der andere Themenblock widmet sich der geothermischen Erkundung: Lässt sich die Wärmeenergie nutzen, die dort gespeichert ist? Dazu müssen wir die Temperatur in der Tiefe messen und wissen, wie viel Wasser dort gespeichert ist.
Wie tief wollen Sie bohren?
Das hängt sehr stark von der Temperatur im Gestein ab: Wir wollen bis zu einer Grenze von maximal 250 bis 300 Grad Celsius gehen – das ist weit entfernt von der Hitze, die in Magma herrschen würde. Der Zweck der Bohrung ist, dass wir dort Messgeräte installieren können – und deren Arbeitsfähigkeit hört meist bei etwa 200 Grad Celsius auf.
Warum haben Sie sich ausgerechnet diesen Standort am westlichen Stadtrand von Neapel ausgesucht – und keinen, der weiter von der Metropole entfernt ist? Das war schließlich auch ein Kritikpunkt.
Unsere Arbeit findet auf einem ehemaligen Fabrikgelände statt, das heute brachliegt. Wir sind damit relativ weit weg vom bewohnten Gebiet, während ansonsten die Caldera äußerst dicht besiedelt ist. Außerdem wollten wir möglichst nahe an das Hebungszentrum der Caldera heran, das in der Nähe dieser Brache liegt. Die Bohrung geht von hier aus nach Südwesten unter den Golf von Neapel, denn die Caldera liegt zur Hälfte unter Wasser.
Stoßen Sie mit Ihrer Arbeit in "neue Dimensionen" vor?
Nein, das kann man nicht unbedingt sagen. Bislang führten Geowissenschaftler in diesen Calderen, diesen flachen Kesselvulkanen wie den Phlegräischen Feldern, allerdings sehr wenige derartige Forschungsprojekte durch. Tiefe Bohrungen fanden nur im Fall des Long-Valley-Vulkans in Kalifornien statt.
Lassen sich aus Ihrer Arbeit Erkenntnisse für die Vorhersage von Vulkanausbrüchen gewinnen?
Dazu wollen wir natürlich beitragen. Denn Calderen zählen zu den Vulkanarten, die weit gehend unbekannt sind – auch weil sie so selten ausbrechen. In den Phlegräischen Feldern etwa kehren Eruptionen wohl nur nach mehreren zehntausend Jahren wieder. Wir wissen nur sehr wenig über das Gefährdungspotenzial, das von den etwa 150 bekannten Calderen-Vulkanen weltweit ausgeht. Deshalb wollen wir auch wissen, ob die Bewegungen der Phlegräischen Felder nun die letzten Zuckungen eines einschlafenden Vulkans sind oder die ersten Regungen eines wieder erwachenden.
Besteht eine Beziehung zwischen den Phlegräischen Feldern und dem nahen Vesuv, der ja ein völlig anderer Vulkantypus ist, aber nur wenige Kilometer entfernt aufragt?
Das ist eine Streitfrage. Es gibt Untersuchungen, die zumindest Parallelen nachweisen konnten: Es scheint so, dass sich der Vesuv ebenfalls zu heben beginnt, wenn dies in den Phlegräischen Feldern passiert. Das könnte auf eine unterirdische Beziehung zwischen den beiden Magmenkammern hinweisen. Die unterschiedliche chemische und mineralogische Zusammensetzung der Gesteine, die man aus Ausbrüchen beider Vulkane bislang kennt, deutet aber auf getrennte Entwicklungen.
Wie kommt es überhaupt dazu, dass derart unterschiedliche Vulkantypen so nahe beieinanderliegen?
Auch das wissen wir noch nicht. Aber die Frage ist natürlich sehr spannend: Warum sitzt ausgerechnet ein klassischer, durch Subduktion ausgelöster Vulkan wie der Vesuv nur 20 Kilometer entfernt von einem Caldera-Vulkan? Bei diesem dringt normalerweise eine gigantische Magmablase in die obere Erdkruste ein und verursacht dort einen ringförmigen Einbruch des darüberliegenden Gesteins. Entlang des Ringbruchs werden dann enorme Mengen Gas und Asche ausgeschleudert. Das beim Ausbruch freigesetzte Volumen wird anschließend schlicht durch das einbrechende Material von oben ersetzt: Das rutscht wie in einem Trichter nach unten. Diese Calderen können Durchmesser von 20 bis 40 Kilometer haben. Das macht diese Vulkane auch so gefährlich, weil gigantische Massen bei einer Eruption austreten.
Herr Harms, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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