Direkt zum Inhalt

News: Ein unbekannter Weg zum Tumor

Krebsforscher haben etwas mit den ersten Weltumseglern gemeinsam: Auch sie entdecken - wissenschaftliches - Neuland und erschließen neue Wege. Eine internationale Forschergruppe hat nun bei einem seltenen Tumor der Kopfhaut einen neuen Mechanismus zur Tumorentstehung gefunden. Die Patienten tragen Defekte in einem Gen, dessen Produkt überraschende Ähnlichkeiten aufweist: Die mit ihm verwandten Proteine organisieren die zelluläre Infrastruktur und die Entsorgung von Proteinen.
Von der Form der ausgebildeten Geschwülste hat diese Erbkrankheit ihren Namen: Turbantumor-Syndrom oder Zylindromatose. Dahinter verbirgt sich die Neigung des Körper, turbanartige multiple Tumoren in den Haarregionen zu bilden – vor allem auf dem Kopf und im Nackenbereich. Zwar sind die Entartungen selten bösartig, aber sie können die Betroffenen erheblich entstellen. Das Vererbungsmuster ist dominant, die Krankheit bricht also schon aus, wenn nur eine der beiden Genkopien einer Zelle defekt ist. Bereits 1995 konnten Molekularbiologen um Michael Stratton, damals am Institute of Cancer Research in Surrey, das Gen auf dem Chromosom 16 lokalisieren. Dank eines umfassenden methodischen Ansatzes haben sie jetzt das verantwortliche Gen CYLD identifiziert und kloniert (Nature Genetics vom Juni 2000).

Die Bedeutung des Produktes von CYLD ist den Entdeckern allerdings noch nicht klar. Erste Hinweise auf die Funktion bekommen die Wissenschaftler, wenn sie die DNA-Sequenz in die Aminosäurenfolge eines Proteins übersetzen und mit bekannten Eiweißsequenzen vergleichen. Einige Abschnitte von CYLD ähneln Proteinen, welche die Anlagerung von Zellorganellen an die Mikrotubuli organisieren – ähnlich einer Rangierlok, die auf einem Verschiebebahnhof die Waggons auf das richtige Gleis setzt. Denn als Strukturen des Cytoskeletts organisieren Mikrotubuli die zellulären "Verkehrswege". Andere Regionen des CYLD-Proteins erinnern an Enzyme, die das Molekül Ubiquitin kontrollieren. Ubiquitin ist der zelluläre Protein-Marker, der anzeigt, dass sein Träger abgebaut oder entfernt werden soll.

"Funktionsausfälle in einem der beiden Bereiche könnten bewirken, dass eine Zelle zu einer Tumorzelle entartet", sagt Stratton. Das Besondere daran: Die Wissenschaftler hatten bisher keine dieser Bedeutungen mit Krebs in Verbindung gebracht. Daher könnte ihnen das CYLD-Gen tatsächlich einen ganz neuen Mechanismus zur Tumorentstehung erschließen. Der Genetiker Ramon Parsons von der Columbia University stimmt Stratton zu: "Dies ist eine gründliche, maßgebliche Untersuchung." Die zukünftige, darauf aufbauende Arbeit wird sicherlich sehr spannend sein.

  • Quellen

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.