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Kosmologie: Ein Universum auf der Festplatte

Letzte Sicherheit wird es niemals geben. In Ermangelung von Augenzeugen vom Anfang des Universums sind Kosmologen auf Theorien und Simulationen angewiesen. Ein neues Computermodell bestätigt nun die Vorstellungen zur Entstehung der ersten Galaxien.
Verteilung der Dunklen Materie im Universum
Nicht nur im Kino, auch in den Tiefen des realen Weltraums spielt die dunkle Seite eine gewichtige Rolle. Während die so genannte Dunkle Energie als natürlicher Gegenspieler der Gravitation die Galaxien auseinandertreibt, zwingt die Dunkle Masse sie mit ihrer Schwerkraft zu den bekannten Strukturen wie Sternsystemen oder Galaxienhaufen. Ein bedeutsames Wechselspiel der dunklen Kräfte also, die keineswegs böse, dafür aber umso geheimnisvoller sind.

Obwohl die Dunkle Energie schätzungsweise siebzig Prozent des Universums ausmacht, weiß die Wissenschaft praktisch nichts über sie. Und auch nach der Dunklen Materie sucht sie bislang vergebens, woran wohlklingende Kandidatennamen wie "Macho" oder "Wimps" nicht wirklich etwas zu ändern vermögen. Dunkel ist eben fast so gut wie unsichtbar – selbst in den modernsten und besten Teleskopen zeigt sich kein Schimmer der Kräfte, die das Schicksal des gesamten Kosmos bestimmen.

Da drängt sich gleich die Frage auf, woher wir denn überhaupt wissen, dass da draußen "etwas" ist. Die Antwort lautet wie bei einem Mord ohne Zeugen: Indizien. Ohne Dunkle Materie hätten sich keine Galaxien und anderen Strukturen ausbilden können, und ohne Dunkle Energie würde das Weltall nicht so expandieren, wie es nach unseren Beobachtungen eben expandiert. Theoretisch zumindest. Denn alles, was wir von der Geschichte des Universums mitbekommen, ist ein ultrakurzer Schnappschuss. Oder besser gesagt: eine Reihe von Schnappschüssen, denn jeder Blick durch ein Teleskop ist ja wegen der endlichen Geschwindigkeit des Lichts zugleich eine Reise in die Vergangenheit. Darum haben Astronomen eine ungefähre Vorstellung, wie das Weltall zu verschiedenen Zeitpunkten ausgesehen hat. Aber reicht dieses Wissen für einen Film der kosmischen Evolution?

Streng genommen nicht. Zwar haben Theoretiker in den letzten Jahrzehnten hervorragende Modelle entwickelt, die beinahe alle Beobachtungen erklären können. Doch es klaffen immer noch große Wissenslücken – besonders wenn es um die dunklen Teile des Universums geht. Das macht Simulationen, die wirklich nur auf den Grundgesetzen der Astrophysik aufbauen, zur Zeit noch unmöglich. Was geht, sind phänomenologische oder semi-analytische Modelle, die manche Tatsachen einfach als gegeben hinnehmen. In dieser Klasse haben Wissenschaftler des Virgo-Konsortiums um Volker Springel vom Max-Planck-Institut für Astrophysik nun einen neuen Meilenstein errechnen lassen. Millenium Run nennen sie ihre Computersimulation, die alle Vorgänger in den Schatten stellt.

Dunkle Materie | Die Verteilung der Dunklen Materie im Universum auf unterschiedlichen Skalen: Das Bild im Hintergrund zeigt einen Schnitt durch die Millennium-Simulation auf einer Gesamtbreite von mehr als neun Milliarden Lichtjahren. Auf solch riesigen Skalen erscheint das Universum fast homogen, doch die überlagerte Serie von Vergrößerungen zeigt ein komplexes "kosmisches Netz" aus dunkler Materie auf Skalen bis zu etwa 300 Millionen Lichtjahre. Diese Großraumstruktur besteht aus Filamenten, die große Leerräume umspannen und sich in massereichen Halos aus Materie treffen. Die größten dieser Halos sind mächtige Galaxienhaufen, die über eintausend Galaxien enthalten, welche von der Simulation als Halosubstruktur aufgelöst werden.
Eine Besonderheit des Millenium Run liegt darin, dass die Simulation im großen Maßstab den Einfluss der Dunklen Materie berücksichtigt hat. Ohne genau festzulegen, um welche Art von Teilchen es sich eigentlich handelt, zogen über zwei Millionen dunkle "Etwasse" an den Atomen des virtuellen Universums. Angefangen ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall bis in die Gegenwart, entwickelte sich ein würfelförmiges Computerweltall mit über zwei Billionen Lichtjahren Kantenlänge. Wie in der realen Welt entstanden Sterne, Galaxien, Galaxienhaufen, langgestreckte Metastrukturen und weit gehend leere Regionen.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen aus dem Superrechner gehört das frühzeitige Auftreten von Quasaren. Bei diesen Objekten handelt es sich um extrem hell strahlende Zentren von Galaxien. Wissenschaftler vermuten, dass sie in ihrer Mitte ein gewaltiges Schwarzes Loch mit fast einer Milliarde Sonnenmassen beherbergen. Alle Materie, die aus der Umgebung in diesem Schlund verschwindet, strahlt beim Sturz so hell, dass die Leuchtkraft eines Quasars die Helligkeit der Sonne um das zehnbillionenfache übertrifft.

Diese großen Zahlen an sich sind nicht das Problem – vielmehr geht es um den Zeitpunkt, wann die ersten Quasare auftauchen. Den Beobachtungen zufolge leuchteten sie nämlich bereits 850 Millionen Jahre nach dem Urknall. War das genug Zeit, um ein derart gewaltiges Schwarzes Loch hervorzubringen? Es war! Der Millenium Run hat bestätigt, dass langsame ("kalte") Dunkle Materie die Entwicklung automatisch zu frühen Quasaren führt. Eine beruhigende Bestätigung der aktuellen kosmologischen Modelle.

Auch wenn die virtuelle Welt im Computer den wirklichen Kosmos nicht tatsächlich widerspiegeln kann, helfen Simulationen wie der Millenium Run auf ihre Weise, Abläufe zu verstehen, die sich über Milliarden Jahre hingezogen haben. Je feiner die Theorien werden, umso exaktere Aussagen machen die Modelle. Und weil das Millenium noch jung ist, darf man gespannt sein auf die Resultate des nächsten Laufs.

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