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News: Ein Universum voller WIMPs

Auf der ganzen Welt zeigen sich die Astronomen beschämt, daß sie bis heute noch nicht den Stoff gefunden haben, der für 90 Prozent der Materiedichte im Universum verantwortlich sein soll - die sogenannte Dunkle Materie. Meist tragen sie dabei dennoch ein eigenartiges Lächeln auf den Lippen. Denn das, was sie suchen, bevölkert in Unmengen den Himmel und durchdringt in enormen Strömen unsere Körper, ohne das wir davon Notiz nehmen. Es ist unsichtbar und somit ein wissenschaftliches Mysterium, wie es sich jeder Forscher wünscht. Italienische Physiker meinen nun, die fehlende Materie entdeckt zu haben - doch ihre Kollegen sind skeptisch.
Das Konzept von der Dunklen Materie geht auf die offensichtliche Diskrepanz zurück, die sich bei der Bestimmung der Massendichte im Kosmos mit drei unterschiedlichen Methoden ergibt: dem direkten Zählen von Sternen, leuchtendem Staub und Gas; der Messung des Anteils leichter Elemente sowie der Analyse der Bewegungen von Galaxien und Galaxienansammlungen. Die verschiedenen Ergebnisse lassen sich erst dann unter einem Dach vereinen, wenn man annimmt, daß das Universum zu 90 Prozent aus einem unsichtbaren, sehr exotischen Material besteht.

Diese Dunkle Materie könnte – sollte sie jemals nachgewiesen werden – eine der größten Fragen der modernen Physik beantworten: Warum unterscheiden sich die fundamentalen Kräfte der Natur – die Gravitation, der Elektromagnetismus, die schwache und die starke Kernkraft – so immens in ihrer Stärke? Dafür müßten nämlich die bekannten Quantenphänomene, die eher für einen Ausgleich unter den Kräften sorgen – namentlich der Kampf zwischen den kraftvermittelnden und den materiebehafteten Teilchen – aufgehoben werden.

Eine Möglichkeit, dies zu erreichen ist die sogenannte Supersymmetrie, die eine Verschmelzung der beiden Teilchenfamilien vorsieht. Zu dem Photon (das die elektromagnetische Kraft vermittelnde Teilchen) gäbe es das "Photino" (das prognostizierte, zugehörige Masseteilchen), zum Quark ein zugehöriges "squark" und so fort. Für jede heute bekannte Teilchensorte existiert, so glauben die Anhänger der Supersymmetrie-Hypothese, ein noch massereicheres "S-Teilchen", das seiner Entdeckung harrt.

Die Suche nach solchen S-Teilchen ist eines der zentralen Ziele heutiger Elementarteilchenphysik. Am leichtesten sollte dabei noch die Entdeckung des "Neutralino" fallen. Zwar hat es sich seiner Entdeckung bis heute erfolgreich entzogen, doch wissen Teilchenphysiker auch, daß dieses Teilchen nur relativ schwach mit normaler Materie reagiert. Nach Berechnungen dürfte es allerdings fünfzig bis einige hundertmal schwerer sein als das Proton. Daher auch sein Name WIMP (weakly interacting massive particle), was soviel bedeutet wie "schwach wechselwirkendes schweres Teilchen".

Unter Physikern gelten die WIMPs als die aussichtsreichsten Kandidaten für die gesuchte Dunkle Materie. Denn die beim Urknall entstandene Anzahl von WIMPs ist nach den Berechnungen der Teilchenphysiker genauso hoch, wie die von den Astronomen geschätzte Menge an Dunkler Materie. Auch die sehr flüchtigen Neutrinos tragen zwar zur Gesamtmasse der Dunklen Materie ihr Schärflein bei, doch sind sie nach heutigen Erkenntnissen zu massearm, um die Galaxienentstehung in Gang gebracht zu haben.

WIMPs sind im Vergleich zu den Neutrinos eher statisch, was ihre Entdeckung durch eine italienische Gruppe von Physikern jetzt begünstigte. Zum Einsatz kamen dabei Szintillatoren – Teilchendetektoren, die Licht aus dem Zusammenstoß von Teilchen mit Atomen messen.

In der Natur treten allerdings praktisch überall Elementarteilchen auf, zum Beispiel als Produkte radioaktiver Zerfallsprozesse. Um die WIMPs von ihnen unterscheiden zu können, nutzte die als DAMA bekannte Gruppe unter Leitung von Rita Bernabei von der Universität Rom "Tor Vergata" eine Aussage ihrer amerikanischen Kollegen Andrezej K. Drukier, Katherine Freese und David N. Spergel. Deren Theorie zufolge unterliegt der WIMP-Strom nämlich jahreszeitlichen Schwankungen. Im Gegensatz zu unserem Sonnensystem, das sich um das Zentrum der Milchstraße bewegt, sollten die WIMPs keine organisierte Bewegung vollführen. Um die von den Astronomen vermutete, gravitative Wirkung ausüben zu können, müßten sie sphärisch gleichmäßig verteilt sein. Eine Rotationsbewegung würde diese Gleichverteilung nur stören. Daraus folgt, daß die Erde im Juni von mehr WIMPs getroffen wird, weil dann ihre Eigenbewegung um die Sonne in die gleiche Richtung zeigt wie die Wanderung des Planetensystems um das Zentrum der Milchstraße. Natürlich auf der Erde vorkommende Elementarteilchen sollten von dieser Schwankung selbstverständlich nicht betroffen sein.

Tatsächlich konnte DAMA schon in ihren ersten beiden Meßperioden eine solche Variation des galaktischen WIMP-Stroms nachweisen. Die Ergebnisse lassen auf ein Teilchen schließen, das etwa sechzigmal schwerer ist als das Proton, gleichzeitig aber auch eine Billion Mal schlechter mit anderen Teilchen wechselwirkt.

Nicht zuletzt deswegen wurde das Ergebnis bisher von vielen Fachleuten sehr skeptisch betrachtet, obwohl es im Rahmen der theoretisch erwarteten Grenzen liegt. Bernard Sadoulet von der University of California in Berkeley, Jonathan R. Ellis vom CERN in Genf und viele andere argumentieren, DAMA habe bisher nur gezeigt, daß die Energie der Teilchen im Juni höher sei als im Dezember. Eine konkrete Abnahme der Teilchenenergie von Juni bis Dezember bzw. eine Zunahme von Dezember bis Juni wurde dagegen nicht nachgewiesen. Wegen der schlechten Energieauflösung der Szintillatoren könnten die vorliegenden Daten ebensogut durch das Eigenrauschen der Apparaturen entstanden sein. Andere Wissenschaftler beklagen, daß DAMA bisher noch nicht einmal die Rohdaten zur Überprüfung ihrer Ergebnisse freigegeben hätte.

Mehrere konkurrierende Forschergruppen versuchen momentan, die DAMA-Ergebnisse mit einem anderen Detektortyp zu überprüfen. Dabei werden kleinste elektrische Ströme gemessen, wie sie durch einströmende Teilchen in einem Germaniumkristall ausgelöst werden. Um WIMPs auch direkt nachweisen zu können und sich somit nicht allein auf den umstrittenen Jahreszeiten-Effekt verlassen zu müssen, sucht die Gruppe um Bernard Sadoulet gleichzeitig auch nach verräterischen Schwingungen im Kristall, die entstehen, wenn WIMPs direkt auf Atomkerne treffen. Eine andere Nachweismethode bevorzugen Laura Baudis und ihre Kollegen am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Dort sollen die Teilchen durch verschiedene Schichten von Detektoren laufen, die jeweils für bestimmte Teilchensorten sensitiv sind. Sollte die Existenz von WIMPs sich bestätigen, so würde sich der Wissenschaft ein ganz neues, bisher unbekanntes Universum öffnen, von dem niemand weiß, welche Überraschungen es noch bereit hält.

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