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Neurobiologie: Ein uraltes Virus hilft uns offenbar beim Lernen

Anscheinend hat das Gehirn vor Millionen von Jahren ein Virus für seine Zwecke eingespannt. Seitdem geistert es durch unser Gehirn - und ermöglicht uns ein Langzeitgedächtnis.
Arc wird vor allem in den Nervenzellausläufern, den Dendriten, erzeugt

Wer das Langzeitgedächtnis von Mensch und Tier untersucht, dem begegnet früher oder später das Protein Arc, das für die dauerhafte Speicherung von Informationen unentbehrlich zu sein scheint. Zumindest können sich Mäuse, denen es gentechnisch entfernt wurde, nichts länger als 24 Stunden merken. Doch welche Aufgaben Arc in den Hirnzellen übernimmt, das war jedoch lange Zeit unklar – was gut daran liegen könnte, dass die Lösung des Rätsels aus gänzlich unerwarteter Richtung zu kommen scheint.

Bei Arc, so entdeckten nun Hirnforscher um Jason Shepherd von der University of Utah in Salt Lake City, scheint es sich um das Überbleibsel eines Virus zu handeln, das vor Hunderten von Millionen Jahren ins Erbgut von Mensch und Tier geriet und seitdem von Generation zu Generation weitervererbt wurde. So weit, so gewöhnlich, denn entsprechende Abschnitte machen bei den Säugetieren rund die Hälfte des genetischen Materials aus. In aller Regel haben sie aber ihre ursprünglichen viralen Eigenschaften längst verloren.

Nicht so Arc. Liegen in einer Zelle ausreichend Arc-Proteine vor, organisieren sich diese zu Hohlkörpern, die einer Virushülle, dem so genannten Kapsid, sehr ähnlich sehen, wie die Forscher beim Blick durch das Elektronenmikroskop verblüfft feststellten. "Als wir die Kapside sahen, wussten wir, dass wir auf etwas Interessantes gestoßen waren", erzählt Shepherd, der seit Jahrzehnten an diesem Protein forscht.

Arc bildet virusähnliche Kapside | Zeichnerisch dargestellt ist sind hier die virusartigen Kapseln, die Arc ohne äußeres Zutun bildet. Sie schnüren sich in Form von Membranvesikeln ab und gelangen so ins intrazelluläre Medium.

Das Team begann mit weiteren Untersuchungen. Und so stellte sich heraus, dass die Kapsel aus Arc-Proteinen immer noch die Fähigkeit hat, ihre eigene Bauanleitung in Form von RNA im Inneren festzuhalten und sich dabei immer wieder auch andere vorbeischwimmende RNA-Sequenzen schnappt und einverleibt. Mitsamt dieser Fracht, so beobachteten Shepherd und Kollegen, wandert die Arc-Kapsel an die Zellmembran, umhüllt sich dort mit der Außenschicht der Zelle und driftet ins umgebende Medium. Trifft sie auf ein Nachbarneuron, dockt sie an, wird aufgenommen, zerfällt und gibt die RNA frei.

Damit funktioniert Arc fast noch genau so wie ein Virus, das auf diese Weise seinen Wirt überfällt – nur mit dem Unterschied, dass in diesem Fall der Wirt einen Nutzen davonträgt. Welchen, das ist leider immer noch unklar. Als wahrscheinlich dürfte nun gelten, dass das Exvirus mit seiner Transporttätigkeit einen weiteren Kommunikationskanal zwischen den Hirnzellen eröffnet.

So weit sind Shepherd und Kollegen für ihre Veröffentlichung im Fachmagazin "Cell" gekommen. Um die Wirkungsweise von Arc vollständig aufzuklären, wäre es insbesondere spannend zu erfahren, welchen Inhalt die Arc-Kapseln – außer ihrer eigenen Bauanleitung – normalerweise von Zelle zu Zelle transportieren. Es könnte sich hier beispielsweise um den Bauplan spezieller Rezeptoren handeln, also von Andockstellen für Neurotransmitter, mit denen Neurone Signale austauschen. Eine Vermutung der Forscher ist, dass Nervenzellen mit Hilfe der Arc-Frachter sicherstellen, dass das Erregungsniveau in den neuronalen Netzwerken trotz der ständigen Veränderung, die die Lernvorgänge mit sich bringen, ausbalanciert bleibt. Auch an der Fähigkeit des Gehirns, vor allem in der Kindheit plastisch auf Veränderungen zu reagieren, scheint Arc beteiligt zu sein.

Die Erbgutsequenz unseres Arc-Proteins dürfte vor rund 350 bis 400 Millionen Jahren ins Genom vierbeiniger Landwirbeltiere geraten sein. Wie groß der Nutzen dieses speziellen Frachters für ein Nervensystem ist, belegt die Tatsache, dass die Evolution sich gleich zweimal bei diesem Virus bedient hat: Denn auch bei Taufliegen findet sich ein Abkömmling dieses Ursprungsvirus, der allerdings zu einer anderen Zeit in den Insektenstammbaum geraten sein muss und seitdem seine eigene Entwicklung durchgemacht hat.

Doch auch hier übernimmt Arc als RNA-Frachter Aufgaben im Nervensystem, wie ein Team um Vivian Budnik von der University of Massachusetts Medical School in Worcester in einer gleichzeitig erscheinenden Publikation in "Cell" erläutert. Bei ihren eigenen Untersuchungen haben Budnik und Kollegen festgestellt, dass bei den Taufliegen die Arc-Kapside RNA von Neuron zu Muskelzelle befördern und dabei entscheidend an der Anpassungsfähigkeit der neuronalen Verknüpfung mitwirken.

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