Nach Waldbrand: Ein Wald darf sich allein erholen
Die Flammen fraßen sich im Rekordtempo durch die knochentrockenen Nadelschichten und Grashalme am Boden. Und sie schlugen hoch, bis weit in die Kronen hinauf, verwandelten unzählige Bäume in lodernde Fackeln. In das Feuergeprassel mischten sich donnernde Explosionen. Dann war wieder einmal Munition aus dem Zweiten Weltkrieg hochgegangen. Es waren apokalyptische Bilder, die im heißen und trockenen August 2018 aus verschiedenen Regionen Brandenburgs kamen. Mehr als 400 Hektar Kiefernwald standen allein in der Nähe der Stadt Treuenbrietzen in Flammen. Komplett.
»Wir dachten erst, dass sich zumindest ein paar der Bäume mit noch grünen Nadeln erholen würden«, sagt der Waldexperte Pierre Ibisch von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung (HNE) Eberswalde. Tatsächlich zeigen Kiefern zum Beispiel auf den Kanarischen Inseln eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit gegen Waldbrände. Schon nach kurzer Zeit sprießen direkt aus den schwarz verkohlten Stämmen und Ästen erneut frische, grüne Nadeln. Allerdings ist die Kanarenkiefer eine speziell auf Feuerfestigkeit getrimmte Überlebenskünstlerin. Mit einer dicken Borke und anderen Anpassungen schützt sie sich vor dem Verbrennen.
Die Waldkiefern, die in Brandenburg wachsen, nicht: »Auf den verbrannten Flächen hat so gut wie keine überlebt«, sagt Ibisch.
Allerdings wirkt er nicht, als fände er das besonders schade. Viele Naturschützer sehen in den weitläufigen Brandenburger Kiefernforsten monotone, artenarme Holzwüsten. Auch für den Klimawandel sind diese Flächen schlecht gerüstet. Denn in trockenen, heißen Sommern genügt ein Funke, um die dürren Nadeln und das Gras im Unterwuchs in Flammen aufgehen zu lassen.
»Diese brandgefährlichen Monokulturen«, sagt Ibisch, könnten wir uns »einfach nicht mehr leisten«. Zumal sie sich ungünstig auf den Wasserhaushalt der Landschaft auswirken. Gefragt ist der Umbau hin zu gemischten Beständen mit vielen Laubbäumen. Dass solche einem Feuer besser trotzen können, hat sich bei Treuenbrietzen gezeigt, wo man knapp zehn Jahre vor den Bränden an einigen Stellen Stieleichen gepflanzt hatte. Viele davon haben überlebt und sind wieder ausgetrieben.
Es ist jedoch gar nicht so einfach, aus einem bestehenden Kiefernforst einen Mischwald zu machen. Denn Kiefern verändern den Boden, so dass unter ihnen kaum andere Pflanzen hochkommen. Was dort gut wächst, ist allerdings das Wald-Reitgras. Und dessen dichte, trockene Bestände sind nicht nur der perfekte Zunder für Waldbrände. Sie sind auch konkurrenzstark und erschweren die Keimung von neuen Bäumen. Die knabbernden Mäuler des Wildes tun ein Übriges, um keimende Laubgehölze zu dezimieren.
Ausgerechnet das Feuer aber könnte nun zum Verbündeten des Waldumbaus werden, hoffen Pierre Ibisch und sein Team. Sie koordinieren ein vom Bund finanziertes, zunächst auf fünf Jahre angelegtes Projekt, in dem Fachleute verbrannte Flächen bei Treuenbrietzen und Jüterbog untersuchen. Mitarbeiter von insgesamt acht verschiedenen Forschungseinrichtungen und Naturschutzorganisationen gehen darin der Frage nach, wie sich der Wald wieder erholt – und zwar mit und ohne Zutun des Menschen – und wie er gegen künftige Brände resistenter werden kann. »Pyrophob« tauften sie ihr Vorhaben, was so viel wie »feuerabweisend« bedeutet.
Maschinen oder Natur?
Wer heute die Schauplätze des einstigen Flammeninfernos besucht, nimmt ganz unterschiedliche Eindrücke mit. Denn während die zuständigen Förster einige Flächen nach dem Brand sehr intensiv behandelt haben, wurden auf anderen nur wenige Maßnahmen durchgeführt, und wieder andere blieben komplett sich selbst überlassen.
Den eintönigsten Anblick in diesem Freilandlabor bieten jene Bereiche, die in klassischer Weise »aufgeräumt« wurden. Dazu gehören die meisten Flächen in Privatbesitz sowie ein Teil des Stadtwaldes von Treuenbrietzen. Hier haben die Forstmaschinen ganze Arbeit geleistet, sämtliche verkohlten Stämme entfernt und den Boden umgepflügt. Anschließend wurden neue Kiefern, aber auch Birken, Eichen und weitere Arten gepflanzt, um den Kahlschlag möglichst rasch wieder in einen Wald zu verwandeln.
Sonderlich vielversprechend sehen die Ergebnisse der Bemühungen bisher nicht aus. Gut gediehen sind vor allem die Zitterpappeln, die von selbst gekommen sind. »Das sind typische Pioniere, die sich zuerst auf Brandflächen ansiedeln«, erklärt Pierre Ibisch. Die leichten Samen dieser Bäume schweben zu Myriaden in der Luft, haben aber an den meisten Stellen keine Chance gegen konkurrenzstärkere Arten. Doch wo ein Feuer gewütet hat, finden sie alles, was sie für einen perfekten Start ins Leben brauchen: genügend freie Fläche und eine Ascheschicht, die voller Nährstoffe steckt und Wasser speichert.
Diese Schicht haben die Maschinen beim Pflügen allerdings zerstört. Und auch sonst hat der Baumnachwuchs auf den aufgeräumten Kahlschlägen mit harschen Bedingungen zu kämpfen. In der schattenlosen Weite heizt sich der Boden im Sommer durchaus bis 50 Grad auf, und der Wind pfeift ungebremst über die Fläche. »Es ist geradezu bewundernswert, dass die Pappeln es hier trotzdem schaffen«, sagt Ibisch.
Viele andere Bäume haben dieses Glück dagegen nicht. Das gilt vor allem für jene, die sich die örtlichen Forstwirte hier eigentlich wünschen würden. »Der größte Teil der 2019 gepflanzten Kiefern ist durch die Trockenheit schon wieder eingegangen«, sagt der Eberswalder Forscher und tritt mit der Schuhspitze auf den Boden. Das Erdreich staubt. Kein Wunder, dass es den nächsten Baumgenerationen schwerfällt, hier Fuß zu fassen. Die Kiefern, die von den Pflanzungen übrig blieben, sind vielleicht handgroß, ihre langen Nadeln braun. Und die neu gepflanzten Roteichen haben ebenfalls viele trockene Blätter.
Auch in anderen Regionen Europas haben Wissenschaftler ähnliche Erfahrungen gemacht. Offenbar ist es nicht unbedingt eine gute Idee, die verbrannten Flächen komplett abzuräumen und neu zu bepflanzen. Das hat sich zum Beispiel nach einem besonders heftigen Waldbrand gezeigt, der 2005 in den italienischen Westalpen wütete. In einem von Kiefern dominierten Bergwald im Aostatal wurden anschließend auf einigen Flächen alle toten Bäume gefällt und entfernt, auf anderen wurden sie nur umgesägt und liegen gelassen. Im Rest des verbrannten Waldes führte ausschließlich die Natur Regie.
Die hatte dabei offenbar bessere Erfolgsrezepte als die Forstwirte, zeigen die Untersuchungen eines Forscherteams um Enrico Marcolin von der Universität Padua: Ohne die toten Bäume herrschte auf den Flächen ein sehr harsches Mikroklima, der Boden trocknete aus und heizte sich stark auf. Die Empfehlung der Forscher ist daher klar: Wenn man die Stämme schon fällen wolle, solle man das Totholz zumindest liegen lassen. Denn so könne man den nächsten Baumgenerationen geschützte Kinderstuben mit günstigen Keimungsbedingungen schaffen. Falls keine Sicherheitsgründe dagegen sprechen, solle man die Flächen aber am besten ganz sich selbst überlassen.
Tote für das Leben
Das sieht Pierre Ibisch genauso. Die toten Kiefern könne man ohnehin nur noch als Hackschnitzel zur Energiegewinnung nutzen. Kein sonderlich lukratives Geschäft. Der Wissenschaftler hält es daher für sinnvoller, die Baumleichen stehen zu lassen – als Investition in den Waldumbau: »Tot sind diese Kiefern fast wertvoller als lebendig.« Und zwar nicht nur als Schattenspender und Windbrecher. Denn irgendwann werden sie natürlich umfallen. Dann können ihre liegenden Stämme und aufragenden Wurzelteller neue Lebensräume und Verstecke für allerlei Waldbewohner schaffen. Und gleichzeitig wird das Mikado der umgestürzten Bäume zu einer sehr effektiven Barriere für hungriges Wild. So entstehen geschützte Bereiche, in denen neue Baumgenerationen ungestört von knabbernden Mäulern aufwachsen können.
Zudem ist Totholz gerade in trockenen Wäldern auf Sandboden ein wertvoller Wasserspeicher. Und da es sich nur langsam zersetzt, gelangt der darin enthaltene Kohlenstoff auch nur ganz allmählich wieder als Kohlendioxid in die Atmosphäre. Studien zeigen, dass dabei größenordnungsmäßig nicht mehr Treibhausgas frei wird, als die neu wachsenden Jungbäume verbrauchen. So betätigt sich das abgestorbene Holz also zudem als Klimaschützer.
Inwieweit all diese positiven Effekte in Brandenburg tatsächlich zum Tragen kommen, untersucht das Pyrophob-Team auf einer 28 Hektar großen Fläche im Stadtwald von Treuenbrietzen, die ihnen die Stadt für zehn Jahre überlassen hat und die sich nun ungestört entwickeln darf. »Als wir nach dem Brand zum ersten Mal hierher kamen, war alles komplett schwarz«, sagt Ibisch. »Der Boden war von einer klebrigen Ascheschicht überzogen, direkt darunter lag der Sand. Und kein Vogel war zu hören.«
Schwarze Stämme als stumme Zeugen des Brands
Von dieser Endzeitstimmung ist zwei Jahre später nichts geblieben. Zwar stehen die schwarzen Stämme noch als stumme Zeugen des flammenden Infernos. Doch überall dazwischen zeigt sich neues Leben. Auf dem verbrannten Holz wachsen viele Pilze, auch die Moose sind zurück und sorgen mit ihren Polstern für mehr Feuchtigkeit im Wald. Kräuter wie Fingerhut und das Schmalblättrige Weidenröschen sind Farbtupfer am Waldboden. Am auffälligsten aber sind die unzähligen Pappeln, die nach zwei Jahren teilweise schon zu stattlichen Höhen von mehr als zwei Metern aufgeschossen sind. An ihren Blättern knabbern Rote Pappelkäfer und verraten, dass die Nahrungsketten bereits wieder in Gang gekommen sind.
Vor allem aber haben jene Gehölze zusammen mit den Kräutern das in Kiefernwäldern sonst so typische dichte Gras im Zaum gehalten. Und dadurch bekommen nun immer mehr andere Bäume eine Chance. Auch die Samen von Birken, Weiden und Kiefern sind mit dem Wind herangeflogen und gekeimt. Und die Eichelhäher haben im Herbst zahlreiche Eicheln versteckt. Das machen die Vögel nicht auf einem Kahlschlag, sondern nur auf abwechslungsreichen Flächen. Die vielen Eichen, die nun hier wachsen, zeugen vom schlechten Gedächtnis der Häher.
Insgesamt gedeihen hier zwei Jahre nach dem Brand schon deutlich mehr Baumarten als vorher. Und das kostenlos und in einer Dichte, in der kein Förster sie pflanzen lassen könnte. Gewachsen sind die Bäume zudem nicht an von Menschen vorgegebenen Stellen, sondern genau dort, wo sie die besten Bedingungen gefunden haben. Auch die Tatsache, dass sie ein effektiveres Wurzelsystem bilden als ihre gepflanzten Artgenossen, verbessert ihre Zukunftschancen. Und anders als bei einer Pflanzung kommen noch ständig neue Samen nach, so dass sich auf den Flächen Bäume unterschiedlichen Alters mischen.
Trotzdem begrüßt längst nicht jeder Förster den Wildwuchs mit Begeisterung. Gerade Pappeln sind nicht besonders beliebt, weil sie kein wertvolles Holz bringen. Die Eberswalder Forscher aber sehen diese Pioniere sehr positiv. Denn Pappeln haben einen ganz anderen Einfluss auf den Boden als Kiefern. Durch ihr abfallendes Laub kurbeln sie die Humusbildung an, was wiederum wichtig für die Wasserspeicherung ist. Und anders als die Nadelbäume bilden sie an ihren Wurzeln eine enge Lebensgemeinschaft mit bestimmten Pilzen, was sich ebenfalls günstig auf die Bodeneigenschaften auswirkt.
Tatsächlich zeigt schon ein Griff, dass das Erdreich hier viel feuchter ist als in den nur einige hundert Meter entfernten Kahlschlägen. »Durch solche Prozesse bereiten die Pappeln anderen Baumarten wie etwa Eichen den Weg«, erklärt Pierre Ibisch. Auch für ihn ist es überraschend zu sehen, wie rasch auf der verbrannten Fläche im Stadtwald von Treuenbrietzen ein echtes Dickicht entstanden ist.
Wächst womöglich gar kein Wald nach?
Selbstverständlich ist das nicht. Denn es gibt durchaus Befürchtungen, dass sich in einigen Regionen der Erde die Wälder in Zukunft gar nicht von Bränden erholen werden. Wenn der Klimawandel dem Nachwuchs bestimmter Arten das Keimen schwer oder gar unmöglich macht, könnte sich die Gemeinschaft der Baumarten verändern. Im Extremfall kann es sogar dazu kommen, dass mancherorts gar keine Bäume mehr wachsen und der Wald einem Busch- und Grasland weicht.
Das befürchten Camille Stevens-Rumann von der University of Idaho und Kollegen für einige der mehr als 150 Waldbrandstellen, die sie im Westen der USA untersucht haben. Wo der Wald zuvor schon mit Trockenheit und Hitze zu kämpfen hatte, wächst er nach einem Brand kaum oder gar nicht nach. In den Rocky Mountains bemerkte das Team um Stevens-Rumann in einer anderen Studie, wie in einer ungewöhnlich trockenen Phase von 2000 bis 2015 die Baumkeimlinge in deutlich geringeren Dichten aus dem Boden schossen – wenn überhaupt.
Je weniger ausgewachsene Bäume als Samenlieferanten die Feuer überleben, umso kritischer wird es nach den Erkenntnissen der Forscherinnen für die Zukunft des Waldes. Einige Flächen im Westen der USA sind ihren Analysen zufolge schon jetzt so warm und trocken, dass dort wohl weder von Natur aus gekeimte noch gepflanzte Bäumchen überleben werden. Dort könnte es nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen sinnvoller sein, das Verschwinden des Waldes zu akzeptieren.
Gerüstet für die Zukunft?
Dazu dürfte es in Brandenburg zumindest in näherer Zukunft nicht kommen. Zwar befürchtet Pierre Ibisch, dass der Klimawandel auch für die hiesigen Bäume harte Zeiten mit sich bringen wird. Er ist aber einigermaßen optimistisch, dass diese Region Deutschlands vorerst ein Waldland bleiben kann. Gepflanzte Kiefern werden seiner Einschätzung nach hier künftig allerdings nicht zu neuen Plantagen heranwachsen. »Wenn sie überhaupt überleben, dann nur mit einem hohen Aufwand, der sich nicht rechnen wird.« Doch die Bilder von der sich selbst überlassenen Fläche bei Treuenbrietzen machen ihm Hoffnung. Denn dort sieht er, dass der zurückkehrende Wald tatsächlich ganz von selbst in der Lage ist, sich ein kühleres und feuchteres Reich zu schaffen und die Humusbildung anzukurbeln.
Um zu erkennen, ob man diese Prozesse unterstützen kann, werfen die Projektmitarbeiter immer mal wieder Samen von Hainbuchen, Linden und Eichen auf die Flächen. Und vielleicht lässt sich ja das Feuer selbst instrumentalisieren? Diese Idee spukt Pierre Ibisch häufig durch den Kopf, wenn er am Rand der verbrannten Fläche steht und den Blick über den verschont gebliebenen Kiefernforst nebenan schweifen lässt.
Denn inmitten des üblichen Unterwuchses aus gelb vertrocknetem Gras gibt es da ein paar grüne Inseln unter intakten Kiefern. »Dort sind Funken in den Bestand geflogen und haben nur ein paar einzelne Flecken entzündet«, sagt Ibisch. Offenbar genügt das schon, um den Pappeln den Weg zu ebnen. Vielleicht ließe sich mit kleinen, unter Aufsicht der Feuerwehr gelegten Bränden ja Ähnliches erreichen? »So könnten wir den Kiefernforsten möglicherweise einen gezielten Schubs in Richtung Mischwald geben«, sagt Ibisch.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.