Fatale Inzucht: Ein Weltreich in den Betten
»Die Ehe ist ein nützes Ding«, heißt es in Albrecht von Eybs Ehebüchlein von 1472, »durch die werden die Land gemehret.« Ob der fränkische Humanist beim Schreiben dieser Zeiten speziell die Heiratspraktiken der Fürsten seiner Zeit im Blick hatte, ist nicht ganz klar. Den Nagel auf den Kopf hat er damit aber getroffen.
Machtpolitik, das war bis zur Entstehung der Nationalstaaten am Ende des 18. Jahrhunderts vor allem: Heiratspolitik. »Im europäischen Hochadel der Frühen Neuzeit wurde der fürstliche Heiratsmarkt zu einer Börse für Luxusgüter. Die höfische Frau war Handels- und Spekulationsobjekt. Zweijährige Prinzessinnen wurden an den Meistbietenden verschachert, Säuglinge auf dem Heiratsmarkt gehandelt wie Aktienpakete und selbst Ungeborene versprochen«, so die französische Sozialanthropologin Agnès Fine. Ein Königreich als Mitgift: Das war das Ziel des zynischen Heiratsschachers. Als gewiefteste Spekulanten auf diesem Gebiet erwiesen sich die österreichischen Habsburger.
»Begnadeter Begatter«
In ihren Kreisen nahm die Tendenz zur Verwandtenehe mit der Zeit immer groteskere Formen an. So heiratete Philipp II. von Spanien (1527-1598), der vor England die Armada verlor, in erster Ehe seine Cousine Maria von Portugal und in vierter Ehe seine Nichte Maria von Österreich. Mehr noch: Philipp IV. von Spanien, Ehemann seiner eigenen Nichte Marianne, gab seine Tochter Margarete, deren Großonkel er zugleich war, dem Bruder seiner Frau, Kaiser Leopold I., in die Ehe. Damit wurde er zum Schwiegervater seines Schwagers. Marianne zur Schwiegermutter ihres Bruders, Leopold zum Onkel seiner Frau. Getreu der Devise: Alles bleibt in der Familie.
Den Grundstein dafür legte ein Fürst, der gerade zu jener Zeit, als unser Chronist Albrecht von Eyb die Institution Ehe feiert, die Pubertät durchmacht: der spätere Kaiser Maximilian I. (1459-1519) aus dem Hause Habsburg. In den Betten des Hochadels wird der Mann, dessen Tod sich am 12. Januar 2019 zum 500. Mal jährt, ein Weltreich gewinnen.
Doch anno 1477 ist er, den man später den »letzten Ritter« nennen wird, gerade erst 18 Jahre alt. Auf dem jungen Max, dem einzigen Sohn des römisch-deutschen Kaisers Friedrich III., ruht die Hoffnung des Reichs. Frisch und tatendurstig behauptet er sich vor allem gegen die Intrigen des Königs von Frankreich – und vollzieht den ersten großen Heiratscoup der Habsburger.
Maria von Burgund, die Erbin Herzogs Karls des Kühnen und Eigentümerin eines üppigen, strategisch wichtigen Pakets von Provinzen zwischen Frankreich und Deutschland, bangt in ihrem Schloss zu Gent: Wird es der ihr versprochene junge Held Maximilian schaffen, vor den französischen Truppen zur Stelle zu sein, die die wehrlose Braut nach Paris entführen wollen? Sie, die stolze 20-Jährige, als Zwangsgattin eines französischen Prinzen, der noch im Sandkasten spielt?
Niemals! Um das zu verhindern, findet sich die Erbin Burgunds – seinerzeit die reichste Partie Europas – sogar zu einer Stellvertreterhochzeit bereit: Pfalzgraf Peter von Veldenz steigt zu ihr ins Bett. Auf dem Paradebett liegt der Lückenbüßer neben der Herzogin, in silberner Rüstung, das blanke Schwert zwischen ihr und sich, von Ehrenwachen mit Fackeln beleuchtet. Dann entblößt Maximilians Gesandter in Gegenwart des gesamten burgundischen Hofs sein Bein bis zum Knie und schiebt es in das Bett der Herzogin. »Trauung per procurationem« nennt man das zur damaligen Zeit. Aus heutiger Sicht ein absurdes, damals aber sehr gebräuchliches Schauspiel, um andere Bewerber fernzuhalten. In diesem Fall wäre es jedoch nicht einmal nötig gewesen: Maximilian kommt noch rechtzeitig vor den französischen Soldaten angeritten und heiratet seine Gattin noch einmal persönlich.
Die beiden, so wird berichtet, mögen einander wirklich, was seinerzeit die Ausnahme von der Regel war. »Heiraten von Krone zu Krone dienten gemeinhin einzig und allein dem Zweck, die Macht der Dynastie zu sichern oder auszubauen«, erläutert der Berliner Historiker Leonhard Horowski die Motivation für solche »Konvenienzehen«, bei der die Liebe meist auf der Strecke blieb. Entscheidend war aber auch im Fall der Eheschließung von Maximilian und Maria, dass das Haus Habsburg mit der Braut die reichen Territorien Brabant, Flandern, Burgund, Luxemburg und Artois gewann: ein Herzogtum mit den Ausmaßen eines Königreichs. Fortune im Ehebett freilich gehört zu einer erfolgreichen Heiratspolitik wie der Burgunderwein zum Wildbret.
Maximilian hat beides. Der burgundische Hofchronist Jean Molinet (1435-1507) attestiert ihm, er sei »ein begnadeter Begatter und richtiger Mann, der von Gott, der Nachkommenschaft schickt, geliebt wird, denn unsere edle Herzogin und Prinzessin Maria empfing und fand sich schwanger mit einem lebensfähigen Kind«. Dieses Kind, der erstgeborene Prinz Philipp, wird später »der Schöne« genannt.
Bizarrer Potenztest
Wohl dem also, der in dieser Zeit nicht nur den Ruf eines Begatters genoss, sondern diesem auch gerecht wurde. Wie wichtig es den gekrönten Häuptern Europas mit der Zeugungsfähigkeit ihrer männlichen Mitglieder war, zeigt ein Beispiel am Fürstenhof zu Mantua, wo sich gegen Ende des 16. Jahrhundert der Infant der Adelsfamilie Gonzaga einem aus heutiger Sicht äußerst bizarren Ritual unterziehen musste. Bevor der künftige Herzog von Mantua, Vincenzo Gonzaga (1562-1612), die Florentiner Prinzessin Eleonora de Medici (1566-1611) heiraten durfte, wollten die Brauteltern einen handfesten Beweis. Hierzu musste sich Vincenzo im März 1584 einer höchst delikaten Erprobung unterziehen, sprich: seine Manneskraft testieren. Vor einer Kommission eigens akkreditierter Gesandter hieß man ihn, hochoffiziell das Lager zu besteigen, um seine »Qualifikation« in einem außerehelichen Potenztest an einer auserwählten Jungfrau zu beweisen. So wie es Albrecht von Eyb in seinem eingangs zitierten Ehebüchlein formulierte: »Ein junger Mann, der den Hafen der Ehe ansteuert, muss sich seit alters her je nach Stand qualifizieren.« Während bei Heiraten unter Bauern und Bürgern »Feld und Häuser gemehret werden, stehen bei fürstlichen Ehen die politischen Vorteile im Vordergrund«.
Zwar berichten die Quellen der Zeit nicht sonderlich oft von derartigen Praktiken. Doch kann man mit Magdalena S. Sánchez, Neuzeithistorikerin am Gettysburg College, davon ausgehen, »dass es in einer Zeit, in der die Fortpflanzung als der eigentliche, gottgewollte Zweck einer ehelichen Gemeinschaft galt, durchaus öfter vorkam, dass man einen solchen Ehetest vom Schwiegersohn in spe verlangte, dies aber angesichts prüder Moralvorstellungen nicht so gern an die große Glocke hängte«. Zumal das Ausbleiben des Kindersegens auch zur Annullierung der Ehe führen konnte.
Das war im Übrigen keine unbegründete Sorge. Dass im Lauf der Jahrhunderte immer mehr adelige Brautpaare mit gemeinsamen Vorfahren vor den Altar traten, wirkte sich nicht gerade förderlich auf deren Zeugungsfähigkeit aus. Inzucht bahnte den Habsburgern den Aufstieg zu Macht und Ruhm. Doch wie lange konnte diese Strategie aufgehen?
Maximilian wird sich darüber keine Gedanken gemacht haben. Er hat andere Sorgen: 1482 stirbt seine Frau Maria an den Folgen einer verheimlichten Frühgeburt, und noch im gleichen Jahr muss er seine erste Tochter unter ungünstigen Bedingungen verheiraten. Die zweijährige Prinzessin Margarete kommt beim Friedensschluss mit Frankreich als Geisel an den französischen Hof. Dort wird das Wickelkind formell mit jenem Jungen verheiratet, dem er selbst zwei Jahre zuvor die Ehefrau weggeschnappt hatte. Der dreizehnjährige Dauphin, Kronprinz Karl von Frankreich, wird zu Maximilians Schwiegersohn in spe.
»Beischlaf« im Harnisch
Dessen ungeachtet plant der inzwischen zum römisch-deutschen König gekrönte Witwer kaum acht Jahre später seinen zweiten Ehehandstreich gegen Frankreich. Nach dem Tod des Herzogs der damals noch selbstständigen Bretagne erscheint ihm keine Prinzessin liebens- und erstrebenswerter als die vierzehnjährige Erbin des Landstrichs am Atlantik: Anna. Fatalerweise halten Maximilian militärische Verpflichtungen von einer so weiten Brautfahrt ab. Deshalb schickt er, so der Chronist Jakob Unrest, »seiner Diener einen, genannt Herbolo von Pohlheim, gen Britannia zu empfangen die königliche Braut. Der ward Ende 1489 in der Stadt Rennes ehrlich empfangen, und daselbst beschlief von Pohlheim die königliche Braut, als der Fürsten Gewohnheit ist, dass ihre Sendboten die fürstlichen Bräute in ihrem Harnisch beschlafen. Da das alles geschehen, war der Kirchgang mit dem Gottesdienst mit gutem Fleiß vollbracht«. Wieder nutzte Maximilian das Ritual der Eheschließung per procurationem, um die Ehe mit der fernen Braut formgültig zu vollziehen.
Karl VIII., sein inzwischen zum König von Frankreich herangewachsener künftiger Schwiegersohn, schäumt. Mit Bestechungen bis hinauf zum Papst erzwingt er die Annullierung seiner Bindung an Maximilians Tochter sowie der Stellvertreterhochzeit in der Bretagne, deren Hauptstadt Rennes er prompt mit 30 000 Mann belagert. So zwingt er die junge Herzogin Anna schließlich in sein Ehebett und die Bretagne unter die Krone Frankreichs. Margarete, die acht Jahre lang als künftige Königin in Frankreich gelebt hatte, wird wie ein nicht angenommenes Paket nach Burgund zurückgeschickt.
Doch Maximilian lässt es sich nicht verdrießen. 1493 wählt er die hübsche, unstandesgemäße, aber mit einer überaus üppigen Barschaft ausgestattete Bianca Maria Sforza zur zweiten Ehefrau. Sie ist eine Nichte des Herzogs von Mailand, eines Emporkömmlings. Maximilian verheiratet außerdem seinen Sohn Philipp den Schönen mit Johanna, der Tochter der spanischen Königin Isabella, und macht auf diese Weise Habsburg zur Weltmacht: Denn das Schicksal will es, dass um das Jahr 1500 herum nicht weniger als fünf mögliche spanische Thronfolger dahingerafft werden. Eben diese Johanna, später »die Wahnsinnige« genannt, wird damit zur Alleinerbin Spaniens. Philipp der Schöne stirbt zwar früh und unter dubiosen Umständen. Aber seinem Sohn Karl ist die Krone nicht mehr zu nehmen: Spanien gehört den Habsburgern, und damit fallen ihnen auch alle überseeischen Besitzungen zu, die nach der Wiederentdeckung Amerikas 1492 erobert werden. Im weltumspannenden Reich der Habsburger geht fortan die Sonne nicht mehr unter.
Wiener Heiratspoker
Dass die Glückssträhne von Felix Austria nicht abreißt, dafür sorgt kein anderer als Maximilian selbst. Mit einem brillanten dynastischen Schachzug gelingt es ihm, das Herrschaftsgebiet der Österreicher weit in den Osten auszudehnen: Man feiert die »Wiener Doppelhochzeit« vom 22. Juli 1515. »Drei Kinder und der graugewordene Kaiser empfingen an diesem Tag zugleich das heilige Sakrament der Ehe«, berichtet der kaiserliche Chronist Johannes Cuspinian, alias Johannes Spießheimer (1473-1529).
Maximilian hatte mit Vladislav II., dem König von Böhmen und Ungarn, ausgehandelt, dass beider Familien durch Heirat verbunden würden. Vladislavs Sohn Ludwig (1506-1526) soll Maximilians Enkeltochter Maria (1505-1558) heiraten, Vladislavs Tochter Anna (1503-1547) den Habsburger Karl oder dessen Bruder Ferdinand. Weil zum Zeitpunkt der Verhandlungen noch unklar ist, welcher der beiden Enkelsöhne Maximilians für die Liaison verfügbar sein würde, tritt er selbst – inzwischen 56 Jahre alt und zum zweiten Mal verwitwet – vor den Traualtar. Per procuratorem ehelicht er die zwölfjährige Anna für einen seiner Enkel.
Die Fäden des Habsburger Machtgespinsts reichen nun bis nach Ungarn und Böhmen, zumal schon ein Jahr später König Vladislav stirbt. Maximilians Enkel und Nachfolger Ferdinand kann nun die kleine Anna, die sein Großvater schon einmal für ihn geheiratet hat, richtig heimführen. Und der 10-jährige Prinz Ludwig besteigt als Ludwig II. den ungarischen Thron. Damit sind zwei minderjährige Schwiegerkinder unter den Flügeln des Habsburger Adlers. Ungarns Nachwuchskönig schafft es noch über die Pubertät hinaus, dann aber fallen Böhmen und Ungarn endgültig für vier Jahrhunderte in den Schoß der Österreicher.
Seine erfolgreiche Heiratspolitik nehmen sich Maximilians Erben zum Vorbild – und treiben sie immer weiter auf die Spitze. Um die Macht zu konzentrieren, sucht man nach Möglichkeiten, vormals getrennte Zweige derselben Dynastie wieder zusammenzuführen. Habsburger heirateten Habsburger. Ethische Bedenken ob derart enger verwandtschaftlicher Beziehungen kamen den Familienmitgliedern in all der Zeit kaum in den Sinn, im Gegenteil. Glaubte man doch, »durch Fortpflanzung unter Gleichen die ›göttliche Kraft guten Blutes‹ innerhalb eines engen exklusiven Zirkels noch stärken zu können«, so die Wiener Sozialanthropologin Gabriele Rasuly-Paleczek.
Gefährliche Blutsbande
Zwar wurde das Geschick und Glück des Hauses Habsburg auf dem Gebiet der Heiratspolitik sprichwörtlich – »Andere führen Kriege, Du glückliches Österreich, heirate«. Doch niemand konnte damals ahnen, welche fatalen biologischen Folgen die Verwandtschaftsehen für die Nachkommenschaft der Dynastie haben würden. Genforscher wie Alan Bittles von der Murdoch University im westaustralischen Perth haben in den vergangenen Jahren die Folgen von Ehen im engen und engsten Verwandtschaftskreis untersucht. Gerade bei abstammungsverwandten Verbindungen über einen längeren Zeitraum hinweg, so der Wissenschaftler, steige bei den Nachkommen das Risiko von Gendefekten.
Wie eng die Habsburger miteinander verbandelt waren, haben Genetiker um Gonzalo Álvarez von der Universidad de Santiago de Compostela gezeigt. Die Wissenschaftler ermittelten für 3000 Dynastiemitglieder einen Inzuchtkoeffizienten. Dieser gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass an einer beliebigen Stelle eines Chromosoms auf Grund blutsverwandter Vorfahren zwei gleiche Genvarianten vorliegen. Bei Maximilians Sohn Philipp dem Schönen, dem ersten spanischen Habsburgerkönig, liegt der Wert bei 0,025. Beim letzten Vertreter dieser Linie, Karl II. (1661-1700), erreicht er 0,254. Das entspricht in etwa dem eines Kindes, dessen Eltern Geschwister sind.
Wie sich die jahrhundertelange Inzucht konkret auf die Betroffenen ausgewirkt hat, hat der vormalige Leiter der Berliner Charité, Hans-Joachim Neumann, in seinem 2002 erschienen Buch über »Erbkrankheiten in europäischen Fürstenhäusern« eindrücklich beschrieben. Diese spiegelten sich sowohl im äußeren Erscheinungsbild als auch in der »inneren Disposition« der Familienmitglieder wieder. Augenfällige Merkmale sind ein ausladendes, spitz nach unten zulaufendes und markant vorstehendes Kinn sowie eine fleischig verdickte Unterlippe, wie Porträts aus der damaligen der Zeit zeigen. Mediziner sprechen vom Vererbungsmodus der mandibulären Prognathie, eine Kieferfehlstellung, bei der die unteren Schneidezähne vor den oberen stehen und das Kinn überdurchschnittlich groß entwickelt ist. Beim letzten Spross der spanischen Linie der Habsburger war diese Fehlbildung besonders stark ausgeprägt. Es wird berichtet, dass Karl II. einen derart unförmigen Kiefer hatte, dass er ihm Schwierigkeiten beim Kauen bereitete und ihm auf Grund seiner extrem dicken Zunge der Speichel die Mundwinkel herunterlief.
Hervorgerufen wurde diese als »Habsburger Familientypus« bezeichnete Anomalie durch ein dominantes Gen mit hoher Penetranz, das fast durchweg direkt von einer Generation auf die nächste vererbt wurde, erläutert der Züricher Anthropologe Wolfgang Scheffrahn. Der Wissenschaftler spricht von einem »fast geschlossenen Merkmalskomplex«, der sich vom 15. bis zum 18. Jahrhundert nachverfolgen lässt, und durch die Töchter aus dem Hause Habsburg auch in andere europäische Fürstenfamilien übertragen wurde. Prompt wurden auch Bayerns Wittelsbacher, Englands Tudor, Italiens Farnese oder Portugals Braganza »kinnlastig«.
Akkumulierte Inzucht
Das Fatale an den endogenen Ehen war, dass die Degenerationserscheinungen von Generation zu Generation zunahmen. Warum das so ist, erklärt Gerard te Meerman, Dozent für Mathematische Genetik an der Universität Groningen, so: »Wenn wir genetisches Material erben, bekommen wir immer ein Chromosom von unserer Mutter und eines von unserem Vater. Es kommt häufig vor, dass Chromosomen beschädigt sind und beispielsweise die Anlage für eine Erbkrankheit tragen. Wenn bei einem der beiden Chromosomen eine Mutation auftritt, so ist das normalerweise kein Problem, weil das Gen ja noch auf dem anderen Chromosom unbeschädigt vorhanden ist. Wenn aber zwei Träger dieselbe Genmutation weitergeben, wird das Kind mit der Anomalie geboren. Manchmal reicht auch schon ein einziges mutiertes Gen, zum Beispiel bei den X-Chromosomen, da Jungs nur eins davon haben«.
Allerdings blieb es nicht nur bei der markanten Physiognomie. Viel schlimmer wog, dass sich durch die jahrhundertelange Inzucht Erbkrankheiten in die DNA der Habsburger einschlichen, die Auswirkungen auf den Bestand der Dynastie insgesamt hatten. Bei seinen genetischen Untersuchungen hat das Team um Gonzalo Álvarez auch die Kindersterblichkeit von acht Familien der spanischen Habsburger untersucht und dabei festgestellt, dass 80 Prozent der Kinder nicht älter als zehn Jahre wurden. Hauptverantwortlich waren dabei nicht Unfälle oder Komplikationen bei der Geburt, sondern Erkrankungen zwischen dem ersten Lebensmonat und dem zehnten Lebensjahr.
Verhextes Erbgut
Mit der Zeit verloren die Habsburger immer mehr die Fähigkeit, überhaupt noch Nachkommen in die Welt zu setzen. Strotzte einst Maximilian I. nur so vor Manneskraft, war es seinem Nachfahren Karl II. nicht einmal mehr möglich, Kinder zu zeugen. Offenbar, so wird vermutet, bekam Karl II. von seinen Eltern eine Erbkrankreit in die Wiege gelegt, die man heute als Kombinierte Hypophysen-Hormondefizienz (CPHD) kennt und die zu retardierendem Wachstum und Impotenz führen kann. Dies deckt sich mit zeitgenössischen Quellen, die den Infanten als »körperlich behindert und geistig zurückgeblieben« beschrieben, der erst mit vier Jahren sprechen und frühestens mit acht laufen konnte. Zudem war es am Hof in Madrid ein offenes Geheimnis, dass der König nicht in der Lage war, »seinen Mann zu stehen«. Seine erste Ehefrau, Marie Louise aus dem Haus Orleans, Nichte des französischen Königs Ludwig XIV., klagte über Karls vorzeitige Ejakulation, seine zweite Gemahlin, die Wittelsbacherin Maria Anna von Pfalz-Neuburg, über seine Impotenz.
»El Hechizado«, der Verhexte, nannte man deswegen im katholischen Spanien den zeugungsunfähigen König, weil man glaubte, dass der Leibhaftige persönlich seine Hände im Spiel gehabt hatte. Wie dem auch sei. Ohne Nachkommen gezeugt zu haben, starb die spanische Linie des österreichischen Adelsgeschlechts mit Karls Tod anno 1700 aus. Spaniens Geschicke lenkte fortan eine neue Dynastie – die französischen Bourbonen.
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