Sternentstehung: Eine dichte Gaswolke ohne intensive Sternentstehung
Das Zentrum unseres Milchstraßensystems ist ein turbulenter Ort. Nicht weit entfernt vom zentralen Schwarzen Loch finden sich zahlreiche Sterne und große Ansammlungen aus Gas und Staub, die sich mit hohen Geschwindigkeiten bewegen. Eine von ihnen ist die bohnenförmige Wolke G0.253+0.016, die sich über rund 30 Lichtjahre erstreckt. Sie enthält mehr Materie als die Region um den berühmten Orionnebel, rund 200 000 Sonnenmassen in einem Areal von rund 20 Lichtjahren Durchmesser. Eigntlich müssten sich hier hunderte von massereichen Sternen bilden, aber die Astronomen konnten nur sehr wenige massearme Sterne in der Wolke entdecken. Tatsächlich beträgt die Sternentstehungsrate nur ein 45-stel der theoretisch erwarteten.
Eine Forschergruppe um Jens Kauffmann am California Institute of Technology in Pasadena, Kalifornien, untersuchte G0.253+0.016 nun genauer in unterschiedlichen Spektralbereichen. Sie verwendeten dazu das Submillimeter Array (SMA) auf dem Mauna Kea, eine Ansammlung von acht Radioteleskopen, die den Himmel im Bereich der Submillimeterwellen erfassen. Zudem setzten sie CARMA ein, das "Combined Array in Millimeter-wave Astronomy", ein Verbund aus 23 Radioteleskopen, der sich im südlichen Kalifornien befindet.
Zur Überraschung der Astronomen sah das Innere der Gaswolke nicht so aus, wie sie es anhand theoretischer Überlegungen erwartet hatten. Eigentlich waren sie davon ausgegangen, dass sich im Inneren von G0.253+0.016 zahlreiche Wolkenkerne befinden, also lokal verdichtete Ansammlungen aus Gas und Staub. Solche Kerne sind so dicht, dass sie sich unter ihrer eigenen Schwerkraft zusammenziehen und schließlich zahlreiche Sterne in ihrem Inneren hervorbringen. Tatsächlich fanden sich aber so gut wie gar keine Wolkenkerne. Für die Untersuchungen beobachteten die Forscher mit dem SMA die Wellenlänge des Moleküls N2H+. Dieses Molekül existiert nur in Regionen mit hoher Dichte und zeigte sich in der Wolke nur in geringen Konzentrationen. Die Astronomen vermuten, dass sich die Gas- und Staubansammlungen in der Wolke zu schnell bewegen, als dass sich Wolkenkerne bilden könnten.
Um festzustellen, ob die Wolke noch von ihrer eigenen Schwerkraft zusammengehalten wird oder kurz davor ist, auseinanderzureißen, setzte das Forscherteam dann den CARMA-Verbund ein. Die Messdaten zeigen, dass sich die Gas- und Staubmassen in G0.253+0.016 etwa zehnmal so schnell bewegen wie in vergleichbaren Wolken. G0.253+0.016 ist tatsächlich kurz davor, in kleinere Bruchstücke zu zerfallen.
Ein unerwartetes Ergebnis der Untersuchung mit CARMA war der Nachweis hoher Konzentrationen des Moleküls Siliziummonoxid (SiO). Diese Verbindung tritt nur in Wolken auf, in denen schnell strömendes Gas auf silikathaltige Staubpartikel aufprallt und dabei das SiO freisetzt. In ruhigen Gas- und Staubwolken findet es sich sonst nur in geringsten Spuren.
SiO zeigt sich meist in der Nähe junger Sterne, von denen Gasstrahlen ausgehen. Diese graben sich tief in die Gas- und Staubwolke ein, aus denen die Sterne hervorgegangen sind. Die hohen, in G0.253+0.016 beobachteten Konzentrationen deuten dagegen darauf hin, dass die Wolke in Wirklichkeit aus zwei kollidierenden Wolkenfetzen besteht. Dabei werden Stoßwellen freigesetzt, welche die Wolke im Gesamten durchdringen.
G0.253+0.016 mag eines Tages Sterne hervorbringen, allerdings muss die Wolke erst "ruhiger" werden, so dass sich in ihr Wolkenkerne bilden können. Dieser Prozess wird aber wohl mehrere hunderttausend Jahre benötigen. In dieser Zeitspanne wird sich G0.253+0.016 aber eine große Strecke um das galaktische Zentrum herum bewegt haben. Dabei könnte sie möglicherweise mit anderen Wolken zusammenstoßen oder von der Schwerkraft des galaktischen Zentrums durch Gezeiteneffekte auseinander gezogen werden. In diesen Fällen wird G0.253+0.016 niemals zu einer Brutstätte von Sternen werden.
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