Aviäre Influenza: Eine Frage der Hygiene
Wieder einmal blinder Alarm: Auch der zweite vermeintliche Geflügelpest-Ausbruch in einem deutschen Zuchtbetrieb - diesmal in der Nähe des oberfränkischen Lichtenfels - erwies sich als Fehlmeldung: Die vorsorglich gekeulten Enten litten nicht unter dem hoch pathogenen H5N1-Vogelgrippevirus. Medien, Politik und Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnen dennoch unisono vor einem weiterhin hohen Infektionsrisiko für Hausgeflügel und haben dabei vor allem Zugvögel im Visier. Doch wie substanziell ist dieser Verdacht in Deutschland wirklich? spektrumdirekt befragte dazu Franz Bairlein, den Leiter des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven.
spektrumdirekt: In einem Artikel der Fachzeitschrift Science spricht die WHO davon, dass H5N1 sich mittlerweile an mindestens eine Art von wildem Wassergeflügel so angepasst hat, dass das Virus diese Tiere nicht mehr unmittelbar tötet. Im gleichen Text wird gemeldet, dass chinesische Wissenschaftler in 3,1 Prozent von knapp 1100 untersuchten lebenden Wildenten Antikörper gegen H5N1 gefunden haben, was ja ebenfalls auf eine vorhergehende Infektion hindeutet. Dann müssten doch aber auch lebende Tiere mit diesem Virus gefunden werden?
Franz Bairlein: Schon vor dem Science-Artikel gab es Hinweise, dass H5N1 in Wildvogelarten weit weniger pathogen ist, als dies für das Hühnchen definiert ist. Hinweise darauf sind beispielsweise die am Flughafen Brüssel oder in Saudi-Arabien beschlagnahmten Greifvögel, die H5N1-Träger, aber äußerlich gesund waren. Auch die derzeitige so genannte "Ausbruchssituation" in Europa ist für mich ein deutlicher Hinweis darauf, dass H5N1 in Wildvögeln eine sehr viel geringere Tödlichkeit hat. Die zahlreichen toten Schwäne bei Rügen sind etwas, was um diese Jahreszeit in der Natur dazu gehört. Wir haben auch in diesem Winter nirgendwo "unnatürliche", das heißt ungewöhnliche Wildvogelsterblichkeit beobachtet. Sie wäre aber dann zu erwarten gewesen, wenn diese Vögel an H5N1 primär verstorben wären.
spektrumdirekt: Gibt es denn ähnliche Untersuchungen jetzt auch schon für Deutschland oder Europa?
Bairlein: Vor der öffentlichen Diskussion um H5N1 haben wir solche Vögel nur einfach nicht beprobt. Mit dieser Diskussion werden sie nun getestet – und es ist auch gut so. So zeigen uns diese Fälle an, dass wir das Virus offensichtlich schon relativ weit verbreitet in unseren Wildvogelbeständen haben. Um so wichtiger ist es, dass wir umgehend ein flächendeckendes Monitoring unter lebenden Wildvögeln hinbekommen, da wir nur so die wirkliche Verbreitung des Virus aufdecken können – mit den Todfunden allein lässt sich dies nicht schaffen. Und seit längerem schlage ich Untersuchungen auf Antikörper in den hiesigen Vögeln vor, da wir die entsprechenden Hinweise schon länger kennen.
spektrumdirekt: Eine These lautet, dass Reiher- und Tafelenten das Virus nach Deutschland gebracht haben könnten. Welche Entenarten wurden denn in China überhaupt untersucht?
Bairlein: Eine detaillierte Liste der in China untersuchten Entenarten liegt mir nicht vor, meist wird in den Publikationen leider nur von "Wildenten" gesprochen. Dies ist sehr bedauerlich, da nur eine genauere Kenntnis der betroffenen Arten vernünftige Einschätzungen möglicher Ausbreitungsszenarien erlaubt. Was die Pathogenität und die Häufigkeit in Wildvögeln angeht, darf ich darauf hinweisen, dass in einer weiteren Studie in China immerhin 13 115 Proben – darunter 4674 Enten – untersucht wurden und dabei gerade sechsmal H5N1 nachzuweisen war.
spektrumdirekt: Wie könnte denn überhaupt ein Vogelzug von China nach Mittel- und Westeuropa ausgesehen haben?
Bairlein: Direkte Zugwege zwischen dem Qinghai-See in China (wo das H5N1-Virus wohl im Frühsommer 2005 erstmalig in größerem Ausmaß Wildvögel getötet hat; Anm. d. Red.) und dem Auftauchen von H5N1 dieses Typs in anderen Regionen gibt es so nicht. Ich persönlich habe deshalb seit langem darauf hingewiesen, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, dass sich dieses Virus in kürzeren Etappen verbreitet hat. Wir können davon ausgehen, dass dieses Virus in Wildvögeln weit weniger pathogen ist als in Hausgeflügel. So kann das Virus uns erreicht haben, ohne dass es fatale Ausbrüche gab. Und dass es in Neuseeland und Australien als Zielort für Zugvögel noch keine Nachweise gibt, ist ebenfalls ein Hinweis darauf, dass die teilweise geschürte Angst vor Zugvögeln keine wirkliche Begründung hat.
spektrumdirekt: Im erwähnten Artikel wird vermerkt, dass das Virus wohl schon länger in Hausgeflügel kursiert und erst 2005 in größerer Zahl Wildvögel befiel. Warum trifft dann aber H5N1 Hausgeflügel immer noch deutlich stärker als Wildgeflügel?
Bairlein: Die Pathogenität von H5N1 ist gegenüber Hühnchen definiert. In anderen Tieren – auch in Hausenten und Hausgänsen – ist die Sterblichkeit niedriger, und wir wissen seit langem, dass gerade Wildvögel ein sehr ausgeprägtes Immunsystem haben: Krankheitsbedingte Massensterben unter ihnen sind uns weltweit nur ausnahmsweise bekannt. Im Nutzgeflügel haben wir zudem die Situation der Massenhaltung, die zwangsläufig sehr viel engere Kontakte und damit Übertragungen bedingen, als dies bei Wildvögeln der Fall ist. Sogar koloniebrütende Vögel oder solche in Schlaftrupps halten Abstand zum nächsten Nachbarn, wodurch direkte Ansteckung sehr viel weniger passiert als im eng aufgestallten Nutzgeflügel.
spektrumdirekt: Wie groß ist denn nun die Gefahr, dass es durch Wildvögel in Deutschland zu einer Infektion von Geflügelbetrieben kommt?
Bairlein: Die Gefahr, dass über Wildvögel Nutzgeflügelbestände erreicht werden, halte ich nach wie vor für sehr gering. Allerdings kann niemand ausschließen, dass es nicht Sondersituationen geben kann, in denen so etwas passiert. Dann aber nicht, weil ein Wildvogel in den Hühnerstall spaziert, sondern weil durch menschliches Tun leichtfertig ein Eintrag geschieht. Ähnliches gilt für die Fälle, in denen Hausenten und Hausgänse so gehalten werden, dass sie in ihren Gehegen Zugang zu natürlichen Gewässern haben, über die dann ein Eintrag stattfinden könnte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Virus in einem Gewässer für einige Tage infektiös halten kann. Es ist also damit Sache der konsequenten Hygiene um die Haus- und Nutzgeflügelstallungen, um das ohnehin sicher nur minimale Risiko einer Übertragung von Wildvögel auf Nutzgeflügel weiter zu minimieren.
Franz Bairlein: Schon vor dem Science-Artikel gab es Hinweise, dass H5N1 in Wildvogelarten weit weniger pathogen ist, als dies für das Hühnchen definiert ist. Hinweise darauf sind beispielsweise die am Flughafen Brüssel oder in Saudi-Arabien beschlagnahmten Greifvögel, die H5N1-Träger, aber äußerlich gesund waren. Auch die derzeitige so genannte "Ausbruchssituation" in Europa ist für mich ein deutlicher Hinweis darauf, dass H5N1 in Wildvögeln eine sehr viel geringere Tödlichkeit hat. Die zahlreichen toten Schwäne bei Rügen sind etwas, was um diese Jahreszeit in der Natur dazu gehört. Wir haben auch in diesem Winter nirgendwo "unnatürliche", das heißt ungewöhnliche Wildvogelsterblichkeit beobachtet. Sie wäre aber dann zu erwarten gewesen, wenn diese Vögel an H5N1 primär verstorben wären.
spektrumdirekt: Gibt es denn ähnliche Untersuchungen jetzt auch schon für Deutschland oder Europa?
Bairlein: Vor der öffentlichen Diskussion um H5N1 haben wir solche Vögel nur einfach nicht beprobt. Mit dieser Diskussion werden sie nun getestet – und es ist auch gut so. So zeigen uns diese Fälle an, dass wir das Virus offensichtlich schon relativ weit verbreitet in unseren Wildvogelbeständen haben. Um so wichtiger ist es, dass wir umgehend ein flächendeckendes Monitoring unter lebenden Wildvögeln hinbekommen, da wir nur so die wirkliche Verbreitung des Virus aufdecken können – mit den Todfunden allein lässt sich dies nicht schaffen. Und seit längerem schlage ich Untersuchungen auf Antikörper in den hiesigen Vögeln vor, da wir die entsprechenden Hinweise schon länger kennen.
spektrumdirekt: Eine These lautet, dass Reiher- und Tafelenten das Virus nach Deutschland gebracht haben könnten. Welche Entenarten wurden denn in China überhaupt untersucht?
Bairlein: Eine detaillierte Liste der in China untersuchten Entenarten liegt mir nicht vor, meist wird in den Publikationen leider nur von "Wildenten" gesprochen. Dies ist sehr bedauerlich, da nur eine genauere Kenntnis der betroffenen Arten vernünftige Einschätzungen möglicher Ausbreitungsszenarien erlaubt. Was die Pathogenität und die Häufigkeit in Wildvögeln angeht, darf ich darauf hinweisen, dass in einer weiteren Studie in China immerhin 13 115 Proben – darunter 4674 Enten – untersucht wurden und dabei gerade sechsmal H5N1 nachzuweisen war.
spektrumdirekt: Wie könnte denn überhaupt ein Vogelzug von China nach Mittel- und Westeuropa ausgesehen haben?
Bairlein: Direkte Zugwege zwischen dem Qinghai-See in China (wo das H5N1-Virus wohl im Frühsommer 2005 erstmalig in größerem Ausmaß Wildvögel getötet hat; Anm. d. Red.) und dem Auftauchen von H5N1 dieses Typs in anderen Regionen gibt es so nicht. Ich persönlich habe deshalb seit langem darauf hingewiesen, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, dass sich dieses Virus in kürzeren Etappen verbreitet hat. Wir können davon ausgehen, dass dieses Virus in Wildvögeln weit weniger pathogen ist als in Hausgeflügel. So kann das Virus uns erreicht haben, ohne dass es fatale Ausbrüche gab. Und dass es in Neuseeland und Australien als Zielort für Zugvögel noch keine Nachweise gibt, ist ebenfalls ein Hinweis darauf, dass die teilweise geschürte Angst vor Zugvögeln keine wirkliche Begründung hat.
spektrumdirekt: Im erwähnten Artikel wird vermerkt, dass das Virus wohl schon länger in Hausgeflügel kursiert und erst 2005 in größerer Zahl Wildvögel befiel. Warum trifft dann aber H5N1 Hausgeflügel immer noch deutlich stärker als Wildgeflügel?
Bairlein: Die Pathogenität von H5N1 ist gegenüber Hühnchen definiert. In anderen Tieren – auch in Hausenten und Hausgänsen – ist die Sterblichkeit niedriger, und wir wissen seit langem, dass gerade Wildvögel ein sehr ausgeprägtes Immunsystem haben: Krankheitsbedingte Massensterben unter ihnen sind uns weltweit nur ausnahmsweise bekannt. Im Nutzgeflügel haben wir zudem die Situation der Massenhaltung, die zwangsläufig sehr viel engere Kontakte und damit Übertragungen bedingen, als dies bei Wildvögeln der Fall ist. Sogar koloniebrütende Vögel oder solche in Schlaftrupps halten Abstand zum nächsten Nachbarn, wodurch direkte Ansteckung sehr viel weniger passiert als im eng aufgestallten Nutzgeflügel.
spektrumdirekt: Wie groß ist denn nun die Gefahr, dass es durch Wildvögel in Deutschland zu einer Infektion von Geflügelbetrieben kommt?
Bairlein: Die Gefahr, dass über Wildvögel Nutzgeflügelbestände erreicht werden, halte ich nach wie vor für sehr gering. Allerdings kann niemand ausschließen, dass es nicht Sondersituationen geben kann, in denen so etwas passiert. Dann aber nicht, weil ein Wildvogel in den Hühnerstall spaziert, sondern weil durch menschliches Tun leichtfertig ein Eintrag geschieht. Ähnliches gilt für die Fälle, in denen Hausenten und Hausgänse so gehalten werden, dass sie in ihren Gehegen Zugang zu natürlichen Gewässern haben, über die dann ein Eintrag stattfinden könnte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Virus in einem Gewässer für einige Tage infektiös halten kann. Es ist also damit Sache der konsequenten Hygiene um die Haus- und Nutzgeflügelstallungen, um das ohnehin sicher nur minimale Risiko einer Übertragung von Wildvögel auf Nutzgeflügel weiter zu minimieren.
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