News: Eine Frage des Charakters
Wer beim Körnerstreit im Vogelhäuschen zu schüchtern ist, muss sich mit den am Boden landenden Resten begnügen. Doch manchmal haben auch die Vorsichtigen den Schnabel vorn, wenn es um Überlebensfragen geht. Oder dienen beide Extreme nur dazu, den Durchschnitt aufzufrischen?
Nehmen Sie sich einmal die Zeit und betrachten Sie eine Gruppe Kohlmeisen in Ihrem Garten, in den Bäumen vor Ihrem Bürofenster oder im Park. Auf den ersten Blick sehen die munteren Vögel mit ihrem gelben Bauch und dunklen Köpfchen alle fast identisch aus. Und doch, schon bald zeigen sich deutliche Charakterunterschiede: Einer ist immer ein bisschen vorwitziger als die anderen im Erkunden der Umgebung, ein anderer lugt dagegen viel vorsichtiger und aufmerksamer in alle Richtungen, bevor er sich in Bewegung setzt, und ein dritter zeigt sich zwar nicht ganz so schüchtern, aber auch nicht so übermütig wie andere Gesellen.
Denn auch Kohlmeisen (Parus major) haben ihren eigenen Charakter: Werden sie mit einer neuen Umgebung konfrontiert, gibt es die Schnellen, die tollkühn bis aggressiv das Ungewohnte erkunden. Äußere Reize lassen sie kalt, sie handeln nach bewährter Routine. Das andere Extrem bilden die Langsamen, die sich nur zögerlich und schüchtern vorwagen, sofort auf äußere Einflüsse reagieren und sich damit eher auf die jeweiligen Umgebungsbedingungen einstellen. Und wie überall in der Lebewelt existiert natürlich die ganze Bandbreite von Persönlichkeitstypen dazwischen.
Niels Dingemanse vom Netherlands Institute of Ecology und seine Kollegen interessierten sich nun für die Auswirkungen der Charakterunterschiede auf das Überleben und den Fortpflanzungserfolg der Tiere. Um diese Merkmale im Freiland verfolgen zu können, mussten sie ihre fliegenden Probanden allerdings erst einmal einem Persönlichkeitstest unterziehen. Also gingen sie auf Meisenpirsch und ließen die Tiere nach einer Nacht im Labor am nächsten Tag in einem künstlichen Gehege zeigen, ob sie nun zur schüchternen oder draufgängerischen Sorte gehörten – oder irgendwo dazwischen lagen. Nach bestandenem Test brachten sie die Vögel zurück an den Fangort und beobachteten in den Jahren von 1999 bis 2001 deren weiteres Schicksal.
Dabei zeigte sich etwas Verblüffendes: Im ersten und im dritten Jahr sahen die Überlebenschancen am besten für forsche Weibchen und schüchterne Männchen aus, im zweiten Jahr lagen die Verhältnisse jeweils genau umgekehrt. Die Erklärung dafür fällt noch relativ leicht: Die Winter von 1999 und 2001 waren arm an Bucheckern, während im dazwischen liegenden Winter reichlich Nahrung vorhanden war. Da Weibchen sich nicht um Territorien kümmern müssen, gibt bei ihnen wohl vor allem das Nahrungsangebot den Ausschlag für die Lebenserwartung – und wenn wenig für alle da ist, zahlt sich Aggressivität aus. Ist der Tisch dagegen reich gedeckt, kommen auch die Zurückhaltenden zum Zuge, und das letztendlich sogar erfolgreicher, weil sie gleichzeitig weniger gefährdet sind, anderen hungrigen Lebensraumbewohnern selbst als Mahlzeit zu dienen. Das Fazit lautet also: Magere Winter begünstigen vorwitzige Weibchen, nach reichen Wintern haben die Langsamen den Schnabel vorn.
Bei den Männchen hingegen spielt wohl der Revieranspruch die größere Rolle, vermuten die Wissenschaftler. Nach reichen Wintern ist die Konkurrenz groß, und die Aggressiven werden sich verstärkt durchsetzen. Waren dagegen die Bucheckern knapp und ist der Nistplatzmarkt dementsprechend entspannt, kann das Risiko der Vorwitzigkeit wieder überwiegen. Also sehen die Folgen genau umgekehrt aus wie bei den Weibchen: Von mageren Wintern profitieren die Zurückhaltenden, nach reichen Wintern die Draufgänger.
Doch die Forscher interessierten sich auch für den Nachwuchs. Zunächst einmal zeigte sich auch hier das nach Jahren wechselnde Muster: Nur wenige Jungmeisen überstanden Hungerwinter, und hier überlebten vor allem die Durchschnittscharaktere. Nach Buchecker-Schlemmerzeiten dagegen blieben der Meisengesellschaft eine Menge Jungmitglieder erhalten, seltsamerweise nun aber vor allem diejenigen mit ausgeprägtem Persönlichkeitsprofil beider Extreme. Übrigens: Welchen Charaktertyp ein Jungvogel zeigt, darin haben offensichtlich Mamas Gene das Sagen, während Papa keinen Einfluss hat.
Der größte Bruterfolg war dabei Paaren gegeben, die sich nach dem Motto "Gleich und gleich gesellt sich gern" gefunden hatten – doch konnten die Forscher diese Analyse aufgrund von Datenmangel nur für das Jahr 2000 machen. Seltsamerweise scheint sich dieses Partnermotto aber unter den Kohlmeisen keiner großen Beliebtheit zu erfreuen, denn die meisten Vertreter wählten denn doch den gegensätzlichen Typ. Aber warum?
Zum einen wäre es natürlich schlicht möglich, dass sich darin die gegensätzlichen Überlebenschancen der beiden Extrem-Charaktertypen ausprägten, die ja in einem Jahr zu jeweils vielen vorwitzigen Weibchen und schüchternen Männchen und im Folgejahr zu umgekehrten Verhältnissen führten. Die Wissenschaftler aber vermuten eine andere Erklärung, für den noch einmal ein Blick auf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Vogelerwachsenen nötig ist: Hier zeigte sich nämlich, dass die Durchschnittstypen bei allen wirtlichen oder noch so unwirtlichen Bedingungen am zuverlässigsten durchkamen und somit insgesamt betrachtet die höchste Lebenserwartung aufwiesen.
Wenn aber das Mittelmaß das Mittel der Wahl ist, warum gibt es dann überhaupt noch Extreme? Hier reicht nun der Blick auf den Charakter allein nicht aus, sondern nun sind die Gene gefragt. Je vielfältiger das Erbgut eines Organismus ist, desto flexibler kann er häufig reagieren. Insofern hilft es natürlich mehr, wenn er von seinen Eltern jeweils möglichst Verschiedenes oder gar Gegensätzliches erbt – auch wenn daraus nach außen "nur" Durchschnitt entsteht.
Denn auch Kohlmeisen (Parus major) haben ihren eigenen Charakter: Werden sie mit einer neuen Umgebung konfrontiert, gibt es die Schnellen, die tollkühn bis aggressiv das Ungewohnte erkunden. Äußere Reize lassen sie kalt, sie handeln nach bewährter Routine. Das andere Extrem bilden die Langsamen, die sich nur zögerlich und schüchtern vorwagen, sofort auf äußere Einflüsse reagieren und sich damit eher auf die jeweiligen Umgebungsbedingungen einstellen. Und wie überall in der Lebewelt existiert natürlich die ganze Bandbreite von Persönlichkeitstypen dazwischen.
Niels Dingemanse vom Netherlands Institute of Ecology und seine Kollegen interessierten sich nun für die Auswirkungen der Charakterunterschiede auf das Überleben und den Fortpflanzungserfolg der Tiere. Um diese Merkmale im Freiland verfolgen zu können, mussten sie ihre fliegenden Probanden allerdings erst einmal einem Persönlichkeitstest unterziehen. Also gingen sie auf Meisenpirsch und ließen die Tiere nach einer Nacht im Labor am nächsten Tag in einem künstlichen Gehege zeigen, ob sie nun zur schüchternen oder draufgängerischen Sorte gehörten – oder irgendwo dazwischen lagen. Nach bestandenem Test brachten sie die Vögel zurück an den Fangort und beobachteten in den Jahren von 1999 bis 2001 deren weiteres Schicksal.
Dabei zeigte sich etwas Verblüffendes: Im ersten und im dritten Jahr sahen die Überlebenschancen am besten für forsche Weibchen und schüchterne Männchen aus, im zweiten Jahr lagen die Verhältnisse jeweils genau umgekehrt. Die Erklärung dafür fällt noch relativ leicht: Die Winter von 1999 und 2001 waren arm an Bucheckern, während im dazwischen liegenden Winter reichlich Nahrung vorhanden war. Da Weibchen sich nicht um Territorien kümmern müssen, gibt bei ihnen wohl vor allem das Nahrungsangebot den Ausschlag für die Lebenserwartung – und wenn wenig für alle da ist, zahlt sich Aggressivität aus. Ist der Tisch dagegen reich gedeckt, kommen auch die Zurückhaltenden zum Zuge, und das letztendlich sogar erfolgreicher, weil sie gleichzeitig weniger gefährdet sind, anderen hungrigen Lebensraumbewohnern selbst als Mahlzeit zu dienen. Das Fazit lautet also: Magere Winter begünstigen vorwitzige Weibchen, nach reichen Wintern haben die Langsamen den Schnabel vorn.
Bei den Männchen hingegen spielt wohl der Revieranspruch die größere Rolle, vermuten die Wissenschaftler. Nach reichen Wintern ist die Konkurrenz groß, und die Aggressiven werden sich verstärkt durchsetzen. Waren dagegen die Bucheckern knapp und ist der Nistplatzmarkt dementsprechend entspannt, kann das Risiko der Vorwitzigkeit wieder überwiegen. Also sehen die Folgen genau umgekehrt aus wie bei den Weibchen: Von mageren Wintern profitieren die Zurückhaltenden, nach reichen Wintern die Draufgänger.
Doch die Forscher interessierten sich auch für den Nachwuchs. Zunächst einmal zeigte sich auch hier das nach Jahren wechselnde Muster: Nur wenige Jungmeisen überstanden Hungerwinter, und hier überlebten vor allem die Durchschnittscharaktere. Nach Buchecker-Schlemmerzeiten dagegen blieben der Meisengesellschaft eine Menge Jungmitglieder erhalten, seltsamerweise nun aber vor allem diejenigen mit ausgeprägtem Persönlichkeitsprofil beider Extreme. Übrigens: Welchen Charaktertyp ein Jungvogel zeigt, darin haben offensichtlich Mamas Gene das Sagen, während Papa keinen Einfluss hat.
Der größte Bruterfolg war dabei Paaren gegeben, die sich nach dem Motto "Gleich und gleich gesellt sich gern" gefunden hatten – doch konnten die Forscher diese Analyse aufgrund von Datenmangel nur für das Jahr 2000 machen. Seltsamerweise scheint sich dieses Partnermotto aber unter den Kohlmeisen keiner großen Beliebtheit zu erfreuen, denn die meisten Vertreter wählten denn doch den gegensätzlichen Typ. Aber warum?
Zum einen wäre es natürlich schlicht möglich, dass sich darin die gegensätzlichen Überlebenschancen der beiden Extrem-Charaktertypen ausprägten, die ja in einem Jahr zu jeweils vielen vorwitzigen Weibchen und schüchternen Männchen und im Folgejahr zu umgekehrten Verhältnissen führten. Die Wissenschaftler aber vermuten eine andere Erklärung, für den noch einmal ein Blick auf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Vogelerwachsenen nötig ist: Hier zeigte sich nämlich, dass die Durchschnittstypen bei allen wirtlichen oder noch so unwirtlichen Bedingungen am zuverlässigsten durchkamen und somit insgesamt betrachtet die höchste Lebenserwartung aufwiesen.
Wenn aber das Mittelmaß das Mittel der Wahl ist, warum gibt es dann überhaupt noch Extreme? Hier reicht nun der Blick auf den Charakter allein nicht aus, sondern nun sind die Gene gefragt. Je vielfältiger das Erbgut eines Organismus ist, desto flexibler kann er häufig reagieren. Insofern hilft es natürlich mehr, wenn er von seinen Eltern jeweils möglichst Verschiedenes oder gar Gegensätzliches erbt – auch wenn daraus nach außen "nur" Durchschnitt entsteht.
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