Therapie: Hohe Dosis Psilocybin hilft jedem Dritten
In Deutschland erkrankt etwa jeder Fünfte mindestens einmal im Leben an einer Depression. Viele Betroffene profitieren von Antidepressiva oder einer Psychotherapie, aber bei einigen schlägt keine Behandlung an: Sie leiden an einer therapieresistenten Depression. Diesen Menschen macht ein Wirkstoff aus so genannten »magic mushrooms« Hoffnung: Psilocybin. In kleineren Studien gelang es, mit einer Kombination aus Psychotherapie und einer einmaligen Dosis des Psychedelikums die Symptome zumindest kurzfristig zu lindern. Nun wurde die Wirksamkeit erstmals in einer großen klinischen Studie überprüft.
Die 233 Probandinnen und Probanden erhielten einmalig 25, 10 oder 1 Milligramm Psilocybin. Jegliche weitere antidepressive Behandlung wurde eingestellt. Nach rund drei Wochen ließen bei etwa 30 Prozent der Personen, die mit der stärksten Dosis behandelt worden waren, die Symptome der Depression deutlich nach. In der 10-Milligramm-Gruppe war jedoch nur bei 9 Prozent und in der 1-Milligramm-Gruppe bei 8 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Besserung zu beobachten. Somit war bei der 10-Milligramm-Dosis der Effekt in etwa so groß wie bei der Kontrollgruppe.
In einem parallel zu der Studie erscheinenden Editorial fassen die Autoren die Studienergebnisse als interessant, aber auch ein wenig ernüchternd zusammen. Zwar habe die hohe Dosis die depressiven Symptome nach drei Wochen signifikant reduziert, allerdings konnte die Studie die höhere Wirksamkeit von Psilocybin aus vorangegangenen kleineren Studien nicht bestätigen.
»Es ist nicht ungewöhnlich, dass in kleineren Pilotstudien stärkere Effekte gezeigt werden als in größeren, gut kontrollierten Studien«, kommentiert Katrin Preller vom Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Zürich die Ergebnisse gegenüber dem Science Media Center (SMC). »Dass nicht alle Patienten gleichermaßen profitieren, ist bei psychiatrischen Erkrankungen nicht überraschend. In der Zukunft muss also besser untersucht werden, wer von der Therapie profitiert und wer nicht.«
So wirkt Psilocybin
Psilocybin wird im Körper schnell zu Psilocin umgewandelt – die psychoaktive Form der Substanz. Das Molekül durchdringt die Blut-Hirn-Schranke und dockt im Gehirn vor allem an den Serotoninrezeptor 5-HT2A an. Etwa 20 bis 40 Minuten nach der Einnahme setzen die ersten Effekte ein: Die Wahrnehmung von Raum und Zeit verändert sich. Anders als gängige Antidepressiva dämpft Psilocybin das Gefühlsleben nicht, vielmehr werden Emotionen und Sinneswahrnehmungen intensiver. Das hängt vermutlich mit einer Hemmung bestimmter Hirnregionen zusammen: Unter Einfluss von Psilocybin ist der Thalamus weniger aktiv. Er ist eine Art neuronaler Filter, der entscheidet, welche Reize ins Bewusstsein vordringen.
Bei Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung können halluzinogene Drogen eine Psychose auslösen. Kritiker betrachten dies als größte Gefahr beim Einsatz von Psychedelika in der Psychotherapie. Andere denken, dass bei einer gewissenhaften Auswahl der Patientinnen und Patienten der Nutzen das Risiko überwiegt. Vor allem psychisch labile Menschen sollten allerdings in keinem Fall selbst mit der Substanz experimentieren.
Psilocybin-Zulassungsstudie ist in Planung
Auch Nebenwirkungen wurden in der Studie untersucht. Rund drei Viertel aller Probanden litten nach der Einnahme unter Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Suizidgedanken, suizidales Verhalten oder Selbstverletzungen traten in allen Dosisgruppen auf. Nach Angaben der Firma Compass Pathways soll trotz der eher ernüchternden Ergebnisse demnächst eine Phase-III-Zulassungsstudie starten.
»Die Weiterführung der klinischen Prüfung ist definitiv gerechtfertigt«, sagt Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim gegenüber dem SMC. Die Ergebnisse seien zwar bei Weitem nicht so positiv, wie die ersten kleinen offenen Pilotstudien vermuten ließen, sie zeigten jedoch ganz klar, »dass Psilocybin bei therapieresistenter Depression wirksamer ist als ein Placebo«. Seiner Meinung nach bräuchten viele Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, eine zweite Dosis und dann wahrscheinlich auch weitere Dosen zu erhalten, um eine dauerhafte Verbesserung zu erreichen. »Das aber wird nur sinnvoll umsetzbar sein, wenn die Therapie in eine systematische psychotherapeutische Begleitung eingebettet wird. Das sieht das Behandlungsmodell von Compass Pathways derzeit nicht vor.«
Wege aus der Not
Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Erscheint Ihnen das Leben sinnlos oder Ihre Situation ausweglos? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.
Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 08001110111 und 08001110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 08001110333 und können sich auf der Seite www.u25-deutschland.de per Mail von einem Peer beraten lassen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.