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Raumfahrt: Ein Schloss aus Stein und Urin

Nicht nur Klopapier kann sich als kostbar herausstellen, auch dessen Subjekt offenbart bisweilen ungeahnte Potenziale. Die neueste Anwendung: Mondbeton aus Astronautenpipi.
Mondbasis

Der Bau einer Mondbasis ist ein logistischer Albtraum: Tonnenweise Beton auf den Mond zu schleppen, ist sperrig und extrem teuer – knapp 20 000 Euro kostet jedes Kilo Material. Besser wäre es, die Bausubstanz gleich vor Ort zusammenzumischen. Steine gibt es auf dem Mond reichlich; daraus lassen sich Geopolymere gewinnen, anorganische Materialien, die besonders stabil und langlebig sind und damit das ideale Basismaterial darstellen. Leider ist Wasser auf dem Mond Mangelware, und so gerät das Ergebnis recht zäh – es fehlt der Weichmacher. Nun haben ESA-Wissenschaftler um Shima Pilehvar zum Glück auch dafür einen passenden, reichlich vorhandenen und stetig nachwachsenden Rohstoff entdeckt. Im Fachmagazin »Journal of Cleaner Production« veröffentlichten sie ihre Experimente mit Harnstoff (lateinisch: Urea), einem wichtigen Bestandteil menschlichen Urins.

Harnstoff vermag Wasserstoffmoleküle aufzubrechen und die Viskosität von Flüssigkeiten zu verringern – kurz: sie auch bei geringem Wasserverbrauch weniger zäh fließen zu lassen. Wie gut das für Baumaterialien funktioniert, haben die Forscher im Labor ausprobiert. Mangels echter Mondgesteine nutzten sie dafür ein von der Europäischen Weltraumagentur ESA entwickeltes künstliches Polymer, das sie teils mit Harnstoff, teils mit anderen Weichmachern mischten. Aus dieser Mixtur wurden kleine Zylinder hergestellt und verschiedene Lagen aufeinandergeschichtet (siehe Bild unten) – per 3-D-Druck. Denn auch ein zukünftiges Mondhabitat soll gedruckt werden, um die menschliche Beteiligung an den Bauarbeiten und damit die Gefahren für die Astronauten zu minimieren.

Mondbeton-Proben | Mit Hilfe eines 3-D-Druckers haben die Forscher mehrere Lagen Mondbeton aufeinandergedruckt und verglichen: Beide Proben enthalten jeweils drei Prozent Weichmacher, einmal Harnstoff (links) und einmal den verbreiteten Weichmacher Naphthalin (rechts).

Im Vergleich zu üblichen Weichmachern wie Naphthalin und Polycarboxylat schlug sich der Harnstoffbeton in allen Belastungsproben gut. Die kleinen Zylinder hielten nicht nur ein Kilogramm Gewicht aus, ohne sich zu verformen; mehrere Gefrier- und Auftauzyklen zu durchlaufen, stärkte sie sogar noch. Extremere Temperaturschwankungen wollen Pilehvar und ihr Team im nächsten Schritt untersuchen – und auch sonst wird munter weitergeforscht: Wie gut kommt der Harnstoffbeton im Vakuum klar? Schützt er vor Meteoritenhagel und kosmischer Strahlung? Ebenfalls offen ist die Frage, wie man den Harnstoff denn nun aus dem Urin gewinnen soll – und ob das überhaupt nötig ist, denn vielleicht können auch die anderen Urinbestandteile, allen voran Wasser, ihren Beitrag zur Stabilität der neuen Mondbasis leisten. Womöglich können zukünftige Astronauten also pinkelnd ihren Lebensraum erweitern.

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