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Radioastronomie: Eine neue Bonner Durchmusterung

Das galaktische Antizentrum
Seit Beginn 2009 führt das 100-Meter-Radioteleskop Effelsberg unter Federführung des Argelander-Instituts für Astronomie eine Durchmusterung des gesamten nördlichen Himmels durch. Wissenschaftler des Argelander-Instituts und des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie, beide in Bonn, untersuchen in dem Forschungsvorhaben die 21-Zentimeter-Linienstrahlung des neutralen atomaren Wasserstoffs der Milchstraße und ihrer Umgebung bis zu einer Entfernung von 750 Millionen Lichtjahren.

Durchmusterungen oder systematische Kartierungen des Himmels haben in Bonn eine lange Tradition. Dabei spannt sich ein Bogen von den optischen Sternkatalogen Argelanders über Vermessungen des gesamten Himmels und der Ebene der Milchstraße im Radiokontinuum bis zu den aktuellen Himmelskarten in der Wasserstofflinie.

Eines der ersten wissenschaftlichen Ergebnisse unter Nutzung des "Effelsberg-Bonn HI Surveys" (EBHIS) wurde nun in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics als "highlight" gewürdigt.

Mit dem 100-Meter-Radioteleskop Effelsberg wird der gesamte nördliche Himmel im Licht des häufigsten Elements des Universums, des atomaren Wasserstoffs (HI), kartiert. Noch nie zuvor wurde ein solches Projekt mit einem der größten Radioteleskope der Welt für den Nordhimmel unternommen. Unter der Leitung von Jürgen Kerp führt ein Team von Wissenschaftlern des Argelander-Instituts für Astronomie der Universität Bonn (AIfA) und des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) dieses einzigartige Projekt durch. Neben der lokalen Umgebung unserer Sonne werden die gesamte Milchstraße sowie alle Galaxien bis zu einer Entfernung von 750 Millionen Lichtjahren simultan erfasst. Die riesige Sammelfläche des 100-Meter Radioteleskops und ein spezieller Sieben-Horn-Empfänger bei 21 Zentimeter Wellenlänge machen dieses ambitionierte Projekt überhaupt erst möglich.

Der wissenschaftliche Nutzen solcher Himmelsdurchmusterungen liegt darin begründet, dass hochenergetische Strahlung, beispielsweise Röntgenlicht, von sehr weit entfernten Galaxien das Gas der Milchstraße durchdringen muss, bevor es von irdischen Teleskopen detektiert werden kann. Leider wird diese Strahlung dabei stark abgeschwächt. Die Radiobeobachtungen erlauben nun, diese Abschwächung exakt zu bestimmen und damit die gemessenen Werte der hochenergetischen Strahlung zu korrigieren.

Benjamin Winkel vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie ist seit Beginn an dem Projekt beteiligt. Er kombinierte mit dem Bonner Team und Philipp Richter von der Universität Potsdam die neuen EBHIS-Daten mit denjenigen der Parkes-Himmelsdurchmusterung (Galactic All-Sky Survey, GASS). Dabei untersuchte er im Detail den Hochgeschwindigkeitswolken-Komplex "Galactic Center Negative" (GCN). Die statistische Untersuchung der Wolken gibt Aufschluss über den Ursprung und die physikalischen Eigenschaften von Komplex GCN. Die jetzt veröffentlichte Arbeit gibt Hinweise darauf, dass das Gas auf die Scheibe der Milchstraße stürzt.

Die vielen kleinen Wolken lösen sich durch Wechselwirkungsprozesse langsam auf; sie werden ionisiert. Das Wasserstoffatom trennt sich dabei in ein Proton und ein Elektron auf und die Wolken lassen sich mit dem Radioteleskop nicht mehr direkt untersuchen. Es wird vermutet, dass bislang nur die Spitze des Eisbergs von Komplex GCN beobachtet wird. Die "Einverleibung" oder Akkretion von frischem Gas in die Milchstraße spielt für die Astronomen eine zentrale Rolle, um die beobachtete konstante Sternentstehungsrate in der Milchstraße erklären zu können.

Es handelt sich dabei um riesige Strukturen aus kaltem Gas, die sich im Halo unserer Milchstraße befinden. Die erheblich verbesserte Empfindlichkeit und Auflösung der neuen Kartierungen (EBHIS und GASS) gegenüber der älteren LAB-Kartierung zeigt nun erstmalig, dass zumindest der Komplex GCN nicht, wie lange geglaubt, von wenigen großen diffusen Objekten dominiert wird. Er besteht vielmehr aus Hunderten von winzigen Wölkchen.

Für mehr als ein Jahrzehnt werden EBHIS und GASS als eine der wesentlichen Ressourcen für die radioastronomische Forschung dienen. Danach wird das Square Kilometer Array (SKA), das Radioteleskop der Zukunft, ein völlig neues Kapitel der Radioastronomie aufschlagen. Die heutigen Kartierungen werden aber auch dann noch unentbehrlich sein, um die mit dem SKA gewonnenen Daten absolut zu eichen.

MPIfR / Red.
  • Quellen
MPIfR, 15. Oktober 2011

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