Eine Portion Forschung: So wird Eiscreme besonders gut
Aufzeichnungen lassen vermuten, dass Menschen schon seit Jahrhunderten Eiscreme genießen. Aber noch nie gab es so viele Geschmacksrichtungen wie heute. Die Geschmacksvielfalt ist riesig, sie reicht von süß bis herzhaft, von klassischer Vanille oder Schokolade über Amarena-Kirsch bis hin zu Ziegenmilch-Rosmarin oder Ingwer-Orange.
Die Vielfalt ist unter anderem der Chemie zu verdanken. Professionelle Speiseeishersteller haben im 20. Jahrhundert stark von den Erkenntnissen der Kristallografie profitiert. Weil sich die Struktur von Eis darstellen ließ, waren plötzlich innovative Rezepturen möglich und somit alle erdenklichen Sorten.
Aus chemischer Sicht ist Speiseeis ein heterogenes Stoffgemisch aus einer Flüssigkeit und darin fein verteilten Festkörpern, ein komplexes kolloidales System also. Jede einzelne Komponente hat eine wichtige Funktion: Die Luftbläschen, umhüllt von Fettkügelchen und Proteinen, mildern beispielsweise das Kälteempfinden und sorgen für Weichheit und Geschmeidigkeit. Der Fettanteil bestimmt den Geschmack und die Cremigkeit, beeinflusst, wie viel Luft enthalten ist und bei welchem Wert die Gefriertemperatur liegt. Ist der Fettanteil zu hoch, wird es rasch zu schmierig im Mund. Proteine wiederum begünstigen ebenfalls die Luftaufnahme, liefern aber fast keinen Geschmack. Und dann gibt es noch Fasern im Eis, die es stabil machen.
Serie: »Eine Portion Forschung«
Was steckt in unseren Lebensmitteln? Wie ernähren wir uns in der Zukunft? Und welche Entwicklungen machen das möglich? Eine neue Videoserie von »Spektrum der Wissenschaft« und »Scientific American« serviert Ihnen fortan regelmäßig eine Portion Forschung.
See the English-language version of this piece at »Scientific American«.
Ein Rezept für Süße und Cremigkeit
Zucker sind die kritischste Komponente. Denn Zucker entscheiden maßgeblich darüber mit, ob ein Eis weich oder fest ist. Sie regeln die Süßkraft (»Potere Dolcificante«, kurz POD) – je höher der POD-Wert, desto süßer schmeckt der Zucker – und die Gefrierhemmung (»Potere Anti-Congelante«, kurz PAC), auch Anti-Gefrierkraft genannt. Die Gefrierhemmung gilt als Indikator für die Formbarkeit der Eiscreme bei einer bestimmten Temperatur. Je höher der Wert, desto weicher ist die Eiscreme.
Saccharose ist der Standard für beides: Sie hat eine Gefrierhemmung von 1 und eine Süßkraft von 1. Oder, falls man so lieber rechnen mag, von jeweils 100. Die anderen am häufigsten verwendeten Zucker sind Dextrose (PAC 190; POD 70), Invertzucker (PAC 190; POD 130) und Fruktose (PAC 190; POD 170).
In der professionellen Eisherstellung sind die Rezepturen für eine Serviertemperatur von minus 11 Grad Celsius ausgelegt. Die Anti-Gefrierkraft muss also zwischen 260 und 280 liegen, damit das Eis gut formbar ist. In Restaurants sinkt die Serviertemperatur auf minus 18 Grad, daher muss die Gefrierhemmung höher sein. Theoretisch sinkt die Serviertemperatur um ein Grad je 20 Punkte PAC-Erhöhung. Bei minus 18 Grad sollte Eis also eine Gefrierhemmung zwischen 400 und 420 haben, was sich auf den Anteil der Feststoffe auswirkt, die zwischen 40 und 45 Prozent liegen würden. Im Wesentlichen auf den Zucker.
Hier ein Rezept für ein Kilogramm Eis:
- 700 Gramm (g) Wasser (PAC 0, POD 0),
- 200 g Saccharose (PAC 100, POD 100)
- 50 g Dextrose (PAC 190, POD 70) und
- 50 g Invertzucker (PAC 190, POD 170).
PAC und POD sind anteilig zu berechnen. Das Ergebnis wäre also eine Anti-Gefrierkraft von 390 und eine Süßkraft von 320. Die Serviertemperatur beträgt in unserem Szenario etwa minus 17 Grad.
Zu viel Luft macht Eis zu schaumig
Ein weiterer Faktor, der sich direkt auf die Qualität auswirkt, ist der Luftanteil. Ist dieser unzureichend, wird das Eis zu zäh; ist er dagegen zu hoch, wird es zu schaumig und verliert an Geschmack. Dieser Prozentwert wird beschrieben durch die Volumenzunahme, auch »Overrun« genannt. Der Wert ergibt sich, wenn die Grundmasse der Produktmischung, berechnet bei einem vorgegebenen festen Volumen vor der Luftzufuhr, durch die endgültige Masse im gleichen Volumen nach der Luftzufuhr dividiert wird. Der optimale Overrun für ein Eis liegt zwischen 30 und 40 Prozent.
Schließlich gibt es noch die neutralen Komponenten. Ihre Aufgabe ist es, die Zubereitung für ein optimales Endergebnis auszubalancieren. Dazu gehören Emulgatoren, die Wasser und Fette verbinden. Ebenso Stabilisatoren, die feste Bestandteile mit Wasser binden und so die Konsistenz beeinflussen.
In der Regel machen sie 0,5 Prozent der Mischung aus. Am häufigsten verwendet: Johannisbrotkernmehl, Karrageen – langkettige Kohlenhydrate aus bestimmten Algen –, Mono- und Diglyceride von Speisefettsäuren, also Mono- beziehungsweise Diester des Glycerins mit natürlich vorkommenden Fettsäuren, und Xanthan. Letzteres wird durch Fermentation aus zuckerhaltigen Substraten gewonnen und dient als Verdickungs- und Geliermittel.
Die Zukunft: Inuline statt Fette
Lange Zeit hat sich die Eisindustrie darauf konzentriert, die Geschmackspalette zu erweitern. Nun liegt der Fokus auf weniger kalorienhaltigen und nicht so süßen Zubereitungen. Dazu werden Zucker durch Polyole und Fette durch Inuline ersetzt.
Die Produktion solch neuer Eissorten ist bislang begrenzt. Doch es ist zu erwarten, dass sie sich bald durchsetzen.
Eiscreme kann die Lebensfreude erhöhen
Gastronomen setzen auf Eiscreme, um Kunden glücklich zu machen. Doch auch Ärztinnen und Ärzte wissen Speiseeis zu schätzen, wie eine im Magazin »Clinical and Translational Oncology« veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2012 zeigt. Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, wie sich Eis als Nahrungsergänzung auf die Lebensqualität von mangelernährten Krebspatienten auswirkt. Das Ergebnis: Der Verzehr von Speiseeis – eine spezielle Rezeptur mit hohem Proteingehalt – erhöhte die Lebensqualität der Patientinnen und Patientinnen, minderte Ängste und verbesserte ihr Sozialverhalten.
Dieser Text ist zuerst bei »Investigacion y Ciencia« unter dem Titel »Helados« erschienen. Der Artikel wurde zur besseren Lesbarkeit angepasst.
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