Eine Portion Forschung: Marinieren in modern
»Mazerieren«, das klingt erst einmal kompliziert. Obwohl die gerade sehr trendige Küchentechnik im Prinzip ganz einfach ist: Man braucht nicht viel mehr als Zeit, legt eine Zutat in Flüssigkeit und lässt beide dann für eine Weile in Ruhe, damit sie sich austauschen können. Am Ende ist die Flüssigkeit aromatisiert, oder die feste Einlegware hat einen neuen Geschmack, womöglich gar eine weichere, saftige Konsistenz. Und sie kann länger haltbar sein: Schon vor Jahrhunderten hat man Lebensmittel so oder so ähnlich mehr oder weniger erfolgreich vor dem Verderben geschützt. Über die Zeit ist dabei mit allerlei verschiedenen säuerlichen Flüssigkeiten, alkoholischen Destillaten, Ölen und Fetten experimentiert worden.
Wenn man es genau nehmen will, kann Mazerieren – oder die Mazeration – im Einzelnen also vieles bedeuten. Für Lebensmittelchemiker oder ambitionierte Gastronomen ist die Bezeichnung auch viel zu unkonkret: Es gibt allerlei subtile Varianten, Kniffe und Nuancen. Das moderne Einlegen kann etwa in Sole ablaufen, wenn sich eine Speise in stark gesalzenem oder gezuckertem Wasser verändert. Lang bekannt ist Pökeln mit Salzen und bestimmten Säuren, vor allem zum Haltbarmachen von Wurst und Fleisch. Das trockene oder nasse Beizen erfolgt meist mit einer mehr oder weniger starken Säure, die bei Wildfleisch den Wildgeschmack dämpft oder dem »Graved Lachs« Wasser entzieht und ihn würzt. Andere Unterarten des Mazerierens fallen mehr oder weniger unter den eher vertrauten Oberbegriff des Marinierens, bei dem Gemüse, Fisch oder Fleisch in Mischungen aus Öl, Salz, einer Säure oder einem Alkohol sowie aromatischen Kräutern eingelegt werden. In der kulinarischen Tradition des Westens wird Wildbret wohl schon seit der Antike mit Hilfe von Wein und anderen Getränken zart und geschmacklich verfeinert.
Eiweiß sauer machen
Aus Lateinamerika schwappt seit ein paar Jahren eine noch mal ganz andere Variante in den Rest der Welt: Wohl täglich öffnet irgendwo auf der Welt eine neue Cevichería, oft nach dem Vorbild der Restaurantempel des peruanischen Starkochs Gastón Acurio. Für eine typische »Ceviche« mazerieren Koch oder Köchin Fisch sowie Meeresfrüchte im Saft von Zitrusfrüchten und weiteren Zutaten, die sich von Land zu Land unterscheiden. Die Säuren lockern und lösen die Proteinmolekülketten der eingelegten Speisen, ohne dass diese erhitzt werden müssen. Das verändert Aussehen und Textur der Speise sehr charakteristisch und sorgt für den typischen Geschmack.
Um eine noch innovativere Form des Denaturierens – also der Zerlegung von Proteinketten bei der Zubereitung einer Speise – geht es auch bei einer anderen neuen Mode der Gastronomie: dem Niedrigtemperaturgaren bei unter 100 Grad Celsius. Dieses »Sous-vide« ist in Hobbyküchen auch zum Trend geworden, weil die für die Vakuumtechnik nötigen Absaugegeräte immer erschwinglicher werden.
Luft raus, Geschmack rein in der Hightechküche
Beim Sous-vide wird eine (möglichst aromatische) Flüssigkeit unter niedrigem Druck effizient in einen Feststoff gezwungen, der dadurch seinen Geschmack eher subtil oder ziemlich dramatisch verändert. Gerade ohnehin schon poröse Lebensmittel eignen sich für das Niedrigtemperaturgaren. In Frage kommt allerlei, was im Ganzen, gehackt und geschnitten oder gar granuliert oder als Granulat mit Luft gefüllte Bläschen im Inneren einschließt. Die zu garenden Stücke kommen in ein abgeschlossenes Gefäß, in dem eine Luftextraktionsanlage ein schwaches Vakuum erzeugt. Dabei wird auch die Luft aus jeder Pore des Lebensmittels abgesaugt. Nun kommt die Einlegeflüssigkeit hinzu und nimmt den Platz der Luft in den Poren ein, sobald der Atmosphärendruck wiederhergestellt wird: Das eingelegte Lebensmittel wird nicht nur oberflächlich, sondern bis ins Innerste getränkt.
Serie: »Eine Portion Forschung«
Was steckt in unseren Lebensmitteln? Wie ernähren wir uns in der Zukunft? Und welche Entwicklungen machen das möglich? Eine neue Videoserie von »Spektrum der Wissenschaft« und »Scientific American« serviert Ihnen fortan regelmäßig eine Portion Forschung.
Die Stärke des Vakuums und die Größe der Poren haben einen großen Einfluss darauf, wie durchdringend die Mazerierung die Speise am Ende ummodelt. Sous-vide-Profis können an weiteren Stellschrauben drehen: Sie regulieren etwa die Kochtemperatur, wo die Vakuumgeräte sonst in der Regel bei Raumtemperatur arbeiten. Zum Einsatz kommt auch unterschiedliche Kochhardware vom kontinuierlich arbeitenden Vakuumgerät, einem Druckkochtopf wie dem »Gastrovac« bis hin zu Rotationsverdampfern für kulinarische Zubereitungszwecke. Der deutsche Sternekoch Stefan Marquard hatte vor einem Jahrzehnt noch auf ein Chemielaborgerät zurückgegriffen, um Speisen punktgenau zu vakuumgaren.
Obst im nicht traditionellen Sud
Pfiffige Varianten des Einlegens standen bei einigen Köchen schon um die Jahrtausendwende im Rezeptblock – vor allem, um so Obst- und Gemüsespeisen aufzupeppen. Zum weltweit beachteten Phänomen machte sie aber womöglich erst Albert Adrià, der Chef des Star-Restaurants »Tickets«, mit seiner in Sangria mazerierten Wassermelone.
Das echte Ceviche-Rezept
Wie bei allen Klassikern gilt auch für die Ceviche: Es gibt Streit, wenn jemand sein Rezept »Das Original« nennt. Hier eine Annäherung.
Man braucht:
In jedem Fall Fisch. Frisch muss er sein und in allerbester Qualität. Weniger wichtig ist die Sorte, es eignen sich Kabeljau und Zander ebenso wie Red Snapper. Dazu kommen Limetten, rote Zwiebel, Koriandergrün, Knoblauch und grüne Chili – alles andere ist Verhandlungssache und von Land zu Land unterschiedlich. Manche geben Shrimps zur Ceviche und reichern sie mit Palmenherzen oder Sellerie an. Als Beilage werden besonders gern gedämpfte Süßkartoffel und Maiskolben serviert.
Die Zubereitung (für vier Personen):
Mundgerechte Stücke aus 400 Gramm Fischfilet schneiden, ohne Gräten in eine Schüssel geben. Dazu kommen (wenn man mag) vorgekochte und abgekühlte Shrimps. Vier Limetten auspressen und den Fisch mit dem Saft bedecken. Eine in Streifen geschnittene kleine rote Zwiebel (sowie, wenn gewünscht, Stangenselleriescheiben) dazugeben. Chilischoten aufschneiden (und Samen entfernen, wer nicht gerne zu scharf isst), klein schneiden und zusammen mit zwei gewürfelten Knoblauchzehen beifügen. Salzen, pfeffern und zerkleinerte Korianderblätter untermischen. Aber Achtung, nicht zu grob mixen: Die Filetstücke sollten nicht zerfasern.
Und nun zum Mazerieren: Die Schüssel kommt für rund sechs Stunden abgedeckt in den Kühlschrank – genug Zeit, damit die Säuren die Fischproteine denaturieren und ihnen Aroma geben. Und am Ende gilt für die Ceviche oft: Einen Tag nach der Zubereitung schmecken Reste noch einmal besser.
Nach diesem Startschuss war kein Halten, zunächst in der Gastroszene Spaniens. Die Gebrüder Roca vom »Celler de Can Roca« imprägnierten verschiedene Früchte und Gemüse mit Aromen und Farben von Roter Bete, Grapefruit, Orange, Minze und anderen Zutaten. Seit etwa 2010 wird in Victor Quintillàs Restaurant »Lluerna« in Santa Coloma de Gramenet bei Barcelona der feste Mojito zum Klassiker: Der Modecocktail tränkt mit Limettenzesten garnierte Melonenwürfel, die möglichst wenig Eigengeschmack mitbringen. Virgilio Martínez setzt auf den sonst weitgehend unbekannten Geschmack aus den Anden: In seinem Restaurant »Central« in Lima verwendet er die Kaktusfrucht Sancayo für einen Sud zum Aufpeppen anderer Früchte.
Betrunkene Melone
Rezepte von Starköchen sind ja oft geheim. So könnte ein Leak aussehen:
Man braucht:
80 Gramm Zucker, 60 Milliliter Mineralwasser, einen guten halben Liter Rotwein, 100 Milliliter Grand Marnier, 150 Milliliter Brandy, eine Zimtstange, frische Minze, Zitronen- und Orangenzeste)
Zubereitung:
Melonenfruchtfleisch würfeln. Wasser und Zucker zu Zuckersirup kochen. Sirup mit Rotwein, Brandy und Grand Marnier sowie Orangen- und Zitronensaft zu einer Sangria mischen. Und nun die Mazerierung: Sangria mit Zimt, Minze nach Geschmack und Melonenstücken für 24 Stunden in den Kühlschrank. Mahlzeit. Oder Prost.
Der Trend zum innovativen Mazerieren und Marinieren in der Küche dürfte noch eine Weile anhalten – und zieht demnächst vielleicht aus den Gourmetrestaurants auch immer mehr in die Alltagsküche ein; schließlich werden verschiedene Haushaltsvakuumiergeräte allmählich preiswerter. In den großen Betrieben der Lebensmittelindustrie ist man ohnehin stets auf der Suche nach technisch-kulinarischer Innovation, und hier hat die Kommerzialisierung veränderter Fruchtgeschmacksrichtungen bereits begonnen. Auf den Kunden warten also demnächst Neuheiten wie Trauben mit Erdbeergeschmack. Und bis zur nächsten neuen, derzeit noch unvorstellbaren Zubereitungsvariante dauert es dann wahrscheinlich auch nicht mehr lange.
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