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Sommerforschung: Einem Eiswürfel beim Schmelzen zusehen

Wenn das Thermometer über 30 Grad steigt, stecken Kinder wie Erwachsene in der Zwickmühle: Soll man jede hektische Bewegung vermeiden oder doch lieber schneller lecken, bevor das Eis ganz geschmolzen ist? Die Wissenschaft hilft diesmal wenig, denn erst jetzt hat sie herausgefunden, wie das Schmelzen überhaupt anfängt.
Eis essen
Es passiert ganz schnell und ohne Vorwarnung: Eben sah die Eistüte noch wie auf dem Werbefoto aus, jetzt läuft und tropft es an allen Ecken. Wie ärgerlich, denkt manch einer dabei, wird Zeit, dass die Wissenschaft endlich etwas gegen schmelzendes Eis erfindet.

Würden wir ja gerne, mögen Forscher darauf antworten, wenn wir überhaupt wüssten, was beim Schmelzen eigentlich passiert. Denn während der umgekehrte Vorgang – also das Gefrieren einer Flüssigkeit zu einem Festkörper – theoretisch wie praktisch gut untersucht ist, weigert sich der Übergang von fest zu flüssig hartnäckig, seine Geheimnisse preis zu geben.

Immerhin fehlt es den Wissenschaftlern nicht an Ideen. So haben sie die Grenzbereiche zwischen verschiedenen Teilkristallen im Verdacht, sich besonders leicht aufzulösen. Schuld soll die Freie Energie sein, die ab bestimmten Temperaturen günstiger ausfällt, wenn sich ein Flüssigkeitsfilm bildet. Zumindest theoretisch. Denn was praktisch passiert, konnten sie bislang lediglich an den Oberflächen von Festkörpern beobachten, wo sowieso alles ein wenig anders abläuft als mitten drin.

Rechtzeitig zum Sommer stellen nun Physiker um Ahmed Alsayed von der Universität von Pennsylvania eine Methode vor, mit der sie erstmals direkt in das Zentrum des Geschehens schauen können. Allerdings wählten sie als Studienobjekt weder Eis noch Schokolade, sondern ein künstliches Mikrogel aus winzigen Kügelchen. Das hat den Vorteil, sein Volumen bereits bei geringen Temperaturanstiegen gewaltig zu vergrößern und damit unter dem Mikroskop alles ganz deutlich zu offenbaren.

Schmelzen in Großaufnahme | Dieser zweidimensionale Schnitt durch einen dreidimensionalen Kristall beginnt an den Grenzflächen zwischen zwei Teilen zu schmelzen. Die bunten Kreise zeigen die Positionen und Bewegungszustände der Kügelchen im Gel an. Am ruhigsten sind Stellen in rot, am dynamischsten geht es bei violett zu.
In kleinen Temperaturschritten ließ Alsayeds Team Kristalle des Mikrogels vor sich hin schmelzen und zeichnete mit einer Kamera die Veränderungen und Bewegungen auf. Die Bilder zeigen deutlich, dass die Theorie goldrichtig lag. Tatsächlich kommt es zuerst an den Grenzbereichen zwischen Teilkristallen und um Fehler im Kristall herum zu Bewegungen. Hier findet eine Art "Vorschmelze" statt, die sich schließlich durch den ganzen Körper fortsetzt.

Was lernen wir daraus für das sommerliche Eisessen? Immer zuerst dort lecken, wo die Kugeln Risse und Furchen haben. Und wenn das große Schmelzen erst einmal angefangen hat, dann gibt es nur eine Rettung: So schnell schlecken, wie die Zunge mitmacht. Erfrischungen wollen eben manchmal heiß erkämpft sein.

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