Exoplaneten: Einsame Planeten helfen beim Verständnis der Sternentstehung
Früher war alles einfacher. Zum einen waren da Sterne: riesige, selbstleuchtende Gaskugeln. Dann gab es noch Planeten, mit sehr viel geringerer Masse, die das Licht ihres Heimatsterns jeweils nur reflektierten. Sterne entstehen aus dem Kollaps gigantischer Gaswolken; Planeten bilden sich in der Gas- und Staubscheibe rund um einen jungen Stern. Irgendwo dazwischen lagen, etwas weniger eindeutig, Braune Zwerge: weniger massereich als ein Stern, so dass tief in ihrem Inneren keine Kernfusionsreaktionen einsetzen konnten, aber massereicher als Planeten.
Nun haben zwei neue Entdeckungen die Grenze zwischen diesen verschiedenen Objektsorten noch weiter verwischt: Sie zeigen, dass auch frei im All treibende Objekte mit ähnlicher Masse wie die Planeten auf die gleiche Weise entstehen können wie Sterne.
Die erste Entdeckung gelang einem internationalen Astronomenteam unter der Leitung von Michael Liu von der Universität Hawaii. Die Astronomen entdeckten mit dem Pan-STARRS1 (PS1)-Teleskop auf Hawaii ein exotisches junges Himmelsobjekt mit gerade einmal dem Sechsfachen der Jupitermasse, das für sich allein durch den Weltraum treibt – ganz ohne Heimatstern.
Das Objekt mit der Katalognummer PSO J318.5-22 befindet sich von der Erde aus gesehen in einem Abstand von nur 80 Lichtjahren im Sternbild Steinbock. Es hat ähnliche Eigenschaft wie die gigantischen Gasplaneten, die man in der Nähe einiger junger Sterne gefunden hat. Mit rund zwölf Millionen Jahren ist das Objekt, gemessen an den Zeitskalen der Stern- und Planetenentstehung, noch recht jung.
Seit 1995 haben Astronomen rund tausend Exoplaneten entdeckt – allerdings fast immer nur auf indirektem Weg, über ein leichtes Schlingern oder eine leichte Verdunkelung des Heimatsterns, die sich auf einen Planeten zurückführen lassen. Nur von einer Handvoll von Exoplaneten gibt es Abbildungen – und zwar jeweils von Planeten mit jungen Heimatsternen (weniger als 200 Millionen Jahre alt). In Masse, Farbe und Energieausstoß hat PSO J318.5-22 große Ähnlichkeit mit den auf diesen Abbildungen sichtbaren Objekten.
Niall Deacon vom Max-Planck-Institut für Astronomie, einer der Koautoren des Fachartikels, der die Entdeckung beschreibt, erklärt, warum der Fund für die Astronomen ein Glücksfall ist: "Es ist ungemein schwierig, die bisherigen Planeten, von denen es Abbildungen gibt, eingehender zu untersuchen. Direkt neben dem Planeten leuchtet schließlich jeweils der sehr viel hellere Heimatstern. PSO J318.5-22 dagegen kreist nicht um einen Stern und wird sich daher ungleich einfacher untersuchen lassen. Davon erhoffen wir uns Erkenntnisse über die Eigenschaften und Strukturen von Gasriesen wie Jupiter in einer frühen Phase ihrer Entwicklung."
Mit einer Masse von nur sechs Jupitermassen ist PSO J318.5-22 eines der masseärmsten frei im All treibenden Objekte, die außerhalb unseres Sonnensystems nachgewiesen werden konnten – womöglich sogar das masseärmste. Herkömmliche Planeten werden in Gas- und Staubscheiben rund um ihren in Entstehung befindlichen Heimatstern geboren. Aber wie ist es mit Einzelobjekten so geringer Masse? Können sich frei treibende Objekte, aber zum Beispiel auch Braune Zwerge ganz allgemein, auf die gleiche Weise bilden wie herkömmliche Sterne? Eine umfangreiche Untersuchung, die zeitgleich von einer weiteren Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Viki Joergens (MPIA) veröffentlicht wurde, legt das nahe.
Joergens und ihre Kollegen untersuchten ein Objekt mit der Katalognummer OTS44, das nur rund zwei Millionen Jahre alt ist – auf den Zeitskalen der Planeten- und Sternentstehung ein neugeborenes Baby. Das Objekt hat eine Masse von schätzungsweise zwölf Jupitermassen (also etwa doppelt so viel wie PSO J318.5-22). Es treibt ebenfalls alleine, ohne Heimatstern durch das All – allerdings in einem durchaus geselligen Gebiet: OTS44 ist Teil der Chamäleon-Sternentstehungsregion im südlichen Sternbild Chamäleon in einem Abstand von etwas mehr als 500 Lichtjahren von der Erde. Dort werden zahlreiche neue Sterne aus dem Kollaps von Gas- und Staubwolken geboren.
Genau wie ein junger Stern ist OTS44 von einer Scheibe aus Gas und Staub umgeben. Und, wie Joergens und ihre Kollegen zeigen konnten: Die Geburt ist noch gar nicht ganz abgeschlossen. Die Astronomen zerlegten das Licht von OTS44 mit Hilfe des SINFONI-Spektrografen am Very Large Telescope der ESO in Chile in seine Bestandteile. Dabei fanden sie Anzeichen dafür, dass OTS44 auch jetzt noch Materie aus der ihn umgebenden Scheibe auf sich zieht und sich dadurch seine Masse erhöht.
Durch den Vergleich von Daten verschiedener Teleskope – unter anderem des Weltraumteleskops Herschel – mit einem sorgfältig rekonstruierten Modell des frei fliegenden Planeten konnten Joergens und ihre Kollegen außerdem nachweisen, dass die Scheibe, die OTS44 umgibt, mindestens 30-mal soviel Masse in sich vereint wie die Erde. Anzeichen für die Scheibe selbst waren bereits zuvor von anderen Astronomen nachgewiesen worden. Sowohl die beachtliche Scheibe und das einfallende Material (Akkretion) sind klare Hinweise auf Entstehungsprozesse, wie sie für die Sternentstehung typisch sind. Zumindest von der Entstehung her scheint es keinen grundlegenden Unterschied zwischen Objekten wie OTS44 und herkömmlichen Sternen zu geben. OTS44 hat dabei mit die niedrigste, vielleicht sogar die allerniedrigste Masse aller Objekte, bei denen je eine Scheibe und einfallendes Material nachgewiesen werden konnten.
Joergens fährt fort: "Wenn PSO J318.-22 ein junges Himmelsobjekt ist, dann ist OTS44 ein regelrechtes Neugeborenes – und wir sehen, dass es genau so geboren wird wie ein normaler Stern. Für die Forscher, die sich mit der Sternentstehung beschäftigen, ist das eine Schlüsselinformation: Von Sternen bis hinunter zu Einzelobjekten mit der Masse von Planeten laufen die gleichen Prozesse ab."
Beide Objekte fügen sich nicht recht in die existierenden Kategorien ein. Einsamer Planet oder Brauner Zwerg mit extrem geringer Masse – wer auf Nummer sicher gehen möchte, der sollte allgemeiner von frei schwebenden Objekten mit planetaren Massen reden. Hubert Klahr (MPIA), ein Experte für die Simulation von Stern- und Planetenentstehung, der nicht an der hier beschriebenen Forschung beteiligt war, kommentiert: "Hier haben wir ein weiteres Zeichen dafür, dass unsere herkömmliche Einteilung von Planeten und Sternen, bei der man die Masse als Anhaltspunkt nimmt, uns nichts über die innere Struktur oder die Entstehungsgeschichte solcher Objekte sagt."
MPIA / Red.
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