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Galaktisches Zentrum: Einsteineffekt an Stern um Schwarzes Loch nachgewiesen

Wenn die schnellsten Sterne der Galaxis um das Schwarze Loch Sagittarius A* kreisen, dreht sich ihre Bahnachse mit. Das passt zu Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie.

Im Zentrum unserer Galaxis drehen die Sterne sich im Tanz: Was Einstein bereits vor 100 Jahren vorhersagte, hat eine Forschergruppe unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching nun an einem der schnellsten Sterne unserer Galaxis beobachtet. Die dadurch erstmalig nachgewiesene Choreografie folgt der allgemeinen Relativitätstheorie: Die ovale Bahn des Sterns S2 dreht sich im Raum – und zwar genau in der Weise, wie es laut allgemeiner Relativitätstheorie sein soll.

Von anderen Himmelskörpern ist derselbe Tanz schon lange bekannt. Der berühmteste Vertreter ist der sonnennächste Merkur. Im Lauf der Jahrhunderte hat die Menschheit ein erstaunliches Maß an Kreativität an den Tag gelegt, um dessen seltsame Bahndrehung zu erklären: Asteroiden, Staub oder ein Zusatzplanet namens Vulkan. Die keplerschen Gesetze sagen vorher, dass ein Himmelskörper, der um ein Zentralobjekt kreist, eine immer gleiche geschlossene Bahnellipse beschreibt. Dabei bleibt das zentrale Gestirn stets in einem der beiden Brennpunkte der Ellipse. Doch die Realität ist noch etwas komplizierter: Sonne und Planeten sind keine perfekten Kugeln, außerdem beeinflussen sich die Bahnen der Planeten gegenseitig – vor allem der Gasriese Jupiter zerrt an den kleinen inneren Planeten. Als Konsequenz bleiben die Keplerellipsen nicht an Ort und Stelle, sondern drehen sich ganz langsam im Raum um die Sonne (siehe Grafik unten). Alle Planetenbahnen lassen sich dadurch präzise beschreiben – alle, bis auf die von Merkur. Denn seine Bahn dreht sich jedes Jahrhundert ein winziges bisschen mehr, als es Himmelsmechaniker auf Basis der newtonschen Physik erwarten würden – und zwar um 43 Bogensekunden mehr.

Rosettenbahn | Diese künstlerische Darstellung illustriert die Bahn, auf der S2 das galaktische Zentrum umkreist. Allerdings ist sie stark übertrieben: Die Bahn von S2 dreht sich pro Umlauf um nur 0,2 Grad – gerade einmal ein Zehntel des hier dargestellten Effekts.

Die Lösung dieses Problems war der erste große Erfolg der allgemeinen Relativitätstheorie. Als Albert Einstein im Jahr 1915 seine Formeln für die Krümmung der Raumzeit durch Massen und andere Energieformen aufstellte, hatte er ein Heureka-Erlebnis. Seine Theorie sagte auch einen Zusatzeffekt voraus, der die Bahn eines Himmelskörpers um eine Zentralmasse verändert: Die Krümmung der Raumzeit verdreht die Ellipsenbahn und sorgt dafür, dass sie nicht mehr geschlossen wird. Somit verschiebt sich der zur Zentralmasse nächste Punkt, die Periapsis, mit jedem Umlauf ein klein wenig. Eine derartige Periapsisdrehung tritt besonders markant bei jedem Körper auf, dessen Bahn nah genug am Zentralobjekt vorbeiläuft – so auch bei Merkur. Im Sonnensystem heißt der sonnennächste Punkt das Perihel. Einstein berechnete den relativistischen Anteil der Periheldrehung von Merkur – und kam auf 43 Bogensekunden. »Dieser berühmte Effekt, erstmals bei der Umlaufbahn des Planeten Merkur um die Sonne beobachtet, war der erste Beweis für die allgemeine Relativitätstheorie«, sagt MPE-Direktor Reinhard Genzel in einer Stellungnahme. »100 Jahre später haben wir nun denselben Effekt bei der Bewegung eines Sterns entdeckt, der die kompakte Radioquelle Sagittarius A* im Zentrum der Milchstraße umkreist.«

Eine Spiralgalaxie wie die Milchstraße besteht aus einigen hundert Milliarden Sternen; in der Kernregion der Galaxie tummeln sich besonders viele. 27 000 Lichtjahre von uns entfernt liegt in ihrer Mitte das eigentliche galaktische Zentrum: Sagittarius A*, ein gewaltiges Schwarzes Loch von 4,2 Millionen Sonnenmassen. Bereits in den 1990er Jahren fanden Astronomen heraus, dass ein paar Dutzend Sterne, die S-Sterne, das größte Schwarze Loch der Galaxis in nächster Nähe umrunden. Sie bekommen den Zug seiner Schwerkraft so sehr zu spüren, dass sie auf einige tausend Kilometer pro Sekunde katapultiert werden. Im Unterschied zu den Planetenbahnen im Sonnensystem, die in einer Ebene liegen, bewegen sich die S-Sterne im ganzen 3-D-Volumen um das Loch. Ihre Abstände zur Schwerkraftfalle sind nur wenige Male so groß sind wie die Bahnradien der Planeten im Sonnensystem. Nach relativistischen Maßstäben sind die Sterne noch weit weg vom Loch. Dennoch gelang es nun den Astronomen, die Drehung der Bahn durch die gewaltige und sehr kompakte Zentralmasse zu messen.

Dazu nutzten die Astronomen den Stern, der von allen S-Sternen am besten untersucht ist. S2 kommt dem Schlund von Sagittarius A* näher als die meisten seiner Geschwister (siehe Grafik unten). 15-mal so schwer wie unsere Sonne und mit der Spektralklasse B2 wesentlich heißer, leuchtet er zudem besonders hell. Gerade einmal 15 Jahre und sieben Monate benötigt S2, um das Schwarze Loch zu umrunden. An seinem nächsten Punkt zum Schwarzen Loch, der Periapsis, erreicht er Spitzengeschwindigkeiten von fast drei Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Hier liegt der ideale Ort, um die Bewegung von S2 zu verfolgen, weil die Wirkung der Gravitation des Schwarzen Lochs – und damit die relativistischen Effekte – am stärksten sind.

Die Bahnen der Sterne S2, S38 und S55 um das zentrale Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße | Im unmittelbaren Umfeld des massereichen Schwarzen Lochs im Zentrum unseres Milchstraßensystems befinden sich zahlreiche Sterne, die es mit hohen Geschwindigkeiten auf elliptischen Bahnen umkreisen. Hier sind exemplarisch die Orbits der Sterne mit den Bezeichnungen S2, S38 und S55 hervorgehoben. Der Ort des Schwarzen Lochs ist mit einem blauen Kreis markiert.

Bereits zur Zeit des Durchgangs im Jahr 2002 konnten Genzel und seine Kollegen die Bahn von S2 vermessen und die damals noch umstrittene These eines Schwarzen Loches im Zentrum der Milchstraße stützen. Von der für relativistische Messungen nötigen Genauigkeit war die damalige Technologie hingegen noch weit entfernt. Die nächste Chance dafür bot sich erst bei der darauf folgenden Periapsispassage am 19. Mai 2018.

Dazwischen lagen 15 Jahre und sieben Monate, in denen die Zeit nicht stillstand. Adaptive Optiken, eines der wichtigsten Verfahren, um hohe Auflösungen zu erzielen, hatten bereits in den 1990er Jahren Einzug in die Astronomie gehalten; seitdem wurde die Technologie mit jedem Jahr besser. Mit Hochdruck wurden neue Instrumente entwickelt – auch unter Mitwirkung des MPE. Zum nächsten Stichtag wollten Genzel und seine Kollegen bereit sein: Wenige Jahre nach dem ersten Versuch entstanden Pläne für ein Infrarotinterferometer namens GRAVITY, das Abstände am Himmel auf millionstel Bogensekunden genau bestimmen soll. Es wurde am Very Large Telescope (VLT) installiert, das die Europäische Südsternwarte ESO in Chile betreibt: Ein Zusammenschluss aus vier Acht-Meter-Spiegeln, die das Licht bündeln können, so dass die Auflösung des VLT der eines einziges Superteleskop mit 130 Meter Spiegeldurchmesser gleicht. Mit ausreichend Vorlauf erblickte GRAVITY 2016 das Licht des Himmels (siehe Bild unten).

GRAVITY-Instrument | Das Very Large Telescope auf dem Cerro Paranal in Chile beherbergt im Interferometrielabor das GRAVITY-Instrument (kleines Bild). Es kombiniert das von allen vier Teleskopen eingefangene Licht.

Dann kam der Stichtag: Auf 30 millionstel Bogensekunden genau bestimmte GRAVITY den Abstand des Sterns S2 zu Sagittarius A*. Zusammen mit dem VLT-Spektrografen SINFONI und weiteren Kameras verrieten die Daten einen ersten Einsteineffekt, die Gravitationsrotverschiebung: Die extreme Masse des Schwarzen Lochs verlangsamt die Zeit auf dem Stern und damit auch dessen Licht – seine Frequenz sinkt; es wird röter. Die rosettenförmige Bahn konnten die Forscher damals noch nicht nachweisen. Ein Indiz dafür hatten Wissenschaftler um Marzieh Parsa am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn allerdings schon im Jahr 2017 beim Vergleich älterer Beobachtungen mit einer Simulation gefunden.

Jetzt, mit 54 hochpräzisen Datenpunkten von 2016 bis 2019 und der Unterstützung von zahllosen Messungen anderer Instrumente, gelang dem GRAVITY-Team schließlich der Nachweis der einsteinschen Rosettenbahn von S2. Eine Drehung von etwa ein Fünftel Grad pro Umlaufbahn ergibt sich aus der Relativitätstheorie; die Forscher ermittelten mit einer Messunsicherheit von 17 Prozent genau diesen Wert. Im Vergleich zu Merkur mit seinen 43 Bogensekunden pro Jahrhundert sind 0,2 Grad in unter 16 Jahren gewaltig. Neben anderen astronomischen Quellen verblasst allerdings auch der Tanz von S2: Der Doppelpulsar PSR J0737-3039 etwa verursacht eine Bahndrehung von 17 Grad – pro Jahr.

Die Übereinstimmung des beobachteten Werts mit der einsteinschen Theorie bestätigt – wieder einmal – die allgemeine Relativitätstheorie. Das Milieu der S-Sterne und des Schwarzen Lochs ist viel extremer, als der kleine Planet Merkur auf seiner Bahn um die Sonne. Hier zeigen die Messwerte, dass vorrangig die relativistische Raumkrümmung für den Tanz der Sternbahn von S2 verantwortlich ist und nicht, wie bei Merkur, ein Konglomerat verschiedener Effekte. Weitere Massen wie etwa ein zweites, kleineres Schwarzes Loch von mehr als 100 Sonnenmassen in der näheren Umgebung, schließen die Ergebnisse damit aus.

Für weitere Erkenntnisse bräuchte es eine noch bessere Auflösung. Genzel und seine Kollegen hoffen auf das Extremely Large Telescope, das im Jahr 2025 an den Start gehen soll. Fortsetzung folgt – vielleicht in den nächsten, nunmehr noch etwa 13 Jahren und sechs Monaten.

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