Weltkulturerbe: Einstürzende Altbauten
Der November ist ein schlechter Monat für Pompeji. Kaum fegen die Herbststürme übers Land, schon melden die Verwalter der berühmten Stätte neue Verluste an der altertümlichen Bausubstanz. Vor drei Jahren stürzte die Schola Armatorum in sich zusammen, eine Art antikes Klubhaus für paramilitärisch organisierte junge Männer. Die Aufregung damals war groß: Präsident Giorgio Napolitano sprach von "nationaler Schande", Archäologen, Welterbeschützer, Politiker und Kulturbeflissene in ganz Europa schreckten auf. Im Frühjahr 2011 beschloss daraufhin die damalige italienische Regierung wegen "der außerordentlichen Notwendigkeit und Dringlichkeit", in den folgenden drei Jahren insgesamt 236 Millionen Euro in den Schutz der antiken Stadt zu stecken. Der Ministerpräsident hieß damals Silvio Berlusconi. Ausgerechnet er wollte also plötzlich eine fantastische Summe in den Erhalt der Stätte investieren. Dabei war gerade in seiner Amtszeit (nicht nur wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise) der italienische Kulturetat radikal gekürzt worden: Lediglich 1,1 Prozent des Staatshaushalts blieben für Museen, Theater, Kino und die vielen archäologischen Stätten vorgesehen! So fehlte natürlich auch in Pompeji, das ohnehin schon über Jahrzehnte vernachlässigt worden war, hinten und vorne das Geld. Dabei blieb es auch.
Ende November dieses Jahres stürzte dort wieder eine antike Mauer ein – und der Presse außerhalb Italiens war dies nicht viel mehr als kleine Meldungen am Rande wert. Besorgte oder gar alarmierende Kommentare wie vor drei Jahren, als man die in sich zusammengeklappte Schola Armatorum fälschlicherweise als "Haus der Gladiatoren" betrauerte, suchte man vergebens.
Nun war die eingestürzte Mauer diesmal ja auch nur eineinhalb Quadratmeter groß – und das Haus Nummer 21, zu dem sie gehörte, hatte nicht nur keinen klingenden, sondern überhaupt keinen Namen. Inzwischen hat man sich, so scheint es, daran gewöhnt, dass Pompeji vor sich hin bröckelt, dass Weltkulturerbe in Europa unwiederbringlich verloren geht: Über ein Dutzend Bauten sind in den letzten drei Jahren teilweise oder gänzlich zusammengekracht.
Die antike Stadt gehört wahrscheinlich zu den bekanntesten archäologischen Stätten weltweit, sicher jedoch zu den bedeutendsten in Europa. Bei einem Vulkanausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. wurde Pompeji unter meterhohen Aschebergen begraben und dadurch weit gehend konserviert. Innerhalb weniger Stunden räumten ihre Bewohner angesichts des grollenden Vulkans damals die Stadt. Die Körper jener Unglücklichen aber, denen es am Tag der Katastrophe nicht mehr gelungen war zu entkommen, blieben in der abgekühlten Asche als Hohlräume erhalten. Heute zeugen Gipsabgüsse von den letzten, tragischen Momenten in ihrem Leben. Privathäuser und öffentliche Gebäude, Bordelle und Tempel, Garküchen und Latrinen – alles blieb so erhalten, wie es die Menschen zurückgelassen hatten. Seit den ersten systematischen Ausgrabungen Mitte des 18. Jahrhunderts gewannen Generationen von Archäologen daher unvergleichliche direkte Einblicke in den Alltag einer römischen Kleinstadt.
Erst 1997 nahm die UNESCO Pompeji in ihre Liste des Welterbes auf. Seither mahnte die UN-Organisation für Kultur alljährlich bei wechselnden italienischen Regierungen an, die Hinterlassenschaft gebührend zu bewahren. Doch es fehlte an Mitteln und wohl auch am Willen – schließlich kamen zur vernachlässigten Stätte alljährlich rund 2,5 Millionen Besucher aus dem In- und Ausland. Mit dem akuten Verfall der antiken Bauten, der vor wenigen Jahren einsetzte, erlangten die Auswirkungen der amtlichen Gleichgültigkeit allerdings eine neue Qualität.
Im Jahr 2012 stieß Berlusconis Nachfolger, Ministerpräsident Mario Monti, das "Große Pompeji-Projekt" (Grande Progetto Pompei) an – die Rettung der Stadt vor dem Untergang. Und es gab neue, realistischere Zahlen: Mit insgesamt 105 Millionen Euro wollten nun Rom und die EU gemeinsam bis zum Sommer 2015 die Restaurierung und Sicherung der 66 Hektar großen Stätte ermöglichen. Das Welterbe schien gesichert.
Inzwischen hat Italien mit Enrico Letta einen neuen Regierungschef – und zur Sanierung Pompejis geschah kaum etwas. Vor wenigen Wochen erst mahnte der Österreicher Johannes Hahn, EU-Kommissar für Regionalpolitik, Eile an und drohte unverhohlen damit, den europäischen Geldhahn zuzudrehen: "Italien und die Region Kampanien riskieren es, Finanzmittel für die Stätte zu verlieren."
Es ist allerdings gar nicht so einfach, die zugesagten Gelder auch effizient einzusetzen. Pompeji liegt nahe bei Neapel. Bei Bauaufträgen schneidet allzu oft das organisierte Verbrechen mit, Korruption ist auf lokaler und regionaler Ebene keine Seltenheit. Noch konnte sich die Regierung in Rom nicht mit der unmittelbar zuständigen Soprintendenza archeologica di Pompei darauf einigen, wie das Geld an der Camorra vorbei verteilt werden kann. Die Zentralregierung will einen externen Kommissar einsetzen, der die Mittel verwaltet, verteilt und ihren Einsatz kontrolliert. Die Soprintendenza möchte diese Rolle selbst übernehmen. Abgesehen davon dürfte es zudem noch kein umfassendes Konzept für die Restaurierung der Stätte geben. Bislang sind auf dem Gelände jedenfalls gerade einmal fünf kleine Baustellen eingerichtet worden – viel zu wenig natürlich. Sollten nämlich die zugesicherten EU-Gelder nicht bis Juni 2015 eingesetzt werden, verfallen sie automatisch.
Auch der UNESCO dauert dieses Hin und Her viel zu lange. Des ewigen Mahnens müde, drohte sie seit drei Jahren damit, Pompeji aus der Welterbe-Liste zu streichen. Ende November unterzeichneten schließlich Vertreter der UNESCO und der Soprintendenza ein Abkommen, das den Vertretern der Weltorganisation die oberste Aufsicht über die Restaurationsarbeiten einräumt.
Möglicherweise kommt nun endlich auch von anderer Seite Bewegung in die Sache: Das Pompeii Sustainable Preservation Project, eine Task Force führender europäischer Forschungsinstitutionen unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik (IBP) und des Lehrstuhls für Restaurierung der technischen Universität München (TUM), will Strategien für eine nachhaltige Konservierung und den dauerhaften Erhalt der Stadt entwickeln. Das Konsortium will unabhängig von staatlichen oder EU-Subventionen arbeiten und setzt auf Fundraising. "Daher suchen wir private Förderer", sagt Projektkoordinator Ralf Kilian vom IBP. Zehn Millionen Euro brauchen die Restaurateure – und es sieht ganz gut aus: Die Gespräche mit drei potenziellen internationalen Geldgebern seien bereits in einer sehr konkreten Phase.
In den USA ist es üblich, private Gelder für die wissenschaftliche Arbeit zu akquirieren, in Europa betreten die Forscher damit wenn nicht Neuland, so doch spärlich beackertes Gelände. Obgleich etwa die Restauration von Pompejis Nachbarstadt Herculaneum, die ebenfalls 79 n. Chr. dem Ausbruch des Vesuvs zum Opfer fiel, von dem amerikanischen Unternehmer David Packard finanziert wurde.
So ungewöhnlich wie die Finanzierung ist auch der wissenschaftliche Ansatz des Projekts, das auf drei Säulen ruhen soll: Ausbildung, Forschung und Restaurierung. Im Zuge der unmittelbaren Arbeit zur Rettung der bedrohten Bauten in Pompeji sollen Fachkräfte ausgebildet werden, welche die entwickelten Methoden auch an anderen Stätten einsetzen können. "Kulturdenkmäler können kleine Universitäten sein, wenn Restaurierung durch Ausbildung und durch geistes- wie naturwissenschaftliche Spitzenforschung bereichert wird", sagt Klaus Sedlbauer, der Leiter des IBP. Zudem wollen die Retter aus Deutschland nicht nur restaurieren und rekonstruieren, sondern Möglichkeiten der "präventiven Konservierung" erforschen. Dabei geht es darum, Lösungen zu finden, die den Verfall archäologischer Stätten von vornherein verhindern oder zumindest verzögern.
Kilian ist zuversichtlich, dass das Konsortium im Sommer 2014 die Arbeiten aufnehmen kann. Die Forscher wollen sich in dem auf zunächst zehn Jahre angelegten Projekt ausschließlich einem der insula genannten Häuserblöcke in Pompeji widmen, da diese, so Kilian, "natürliche Einheiten" der Stätte seien. Pompeji besteht aus 110 insulae – die Rettung kann also noch lange dauern. Schon vor dem nächsten November könnten die Verantwortlichen in Kampanien allerdings relativ preisgünstige Vorkehrungen treffen: Dächer über den am meisten gefährdeten Gebäuden würden diese vor den heftigen Regengüssen wenigstens notdürftig schützen, welche die alljährlichen Herbststürme mit sich bringen.
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