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Mikrobe von Loch Ness: Seltsamer Einzeller jagt mit superlangem Origami-Hals

Eine Mikrobe lässt sich binnen Sekunden einen Hals wachsen, der 30-mal so lang ist wie ihr Körper. Bisher war rätselhaft, wie das geht. Die Erklärung liefert Origami.
Lacrymaria olor ist im wahrsten Sinne ein Schwanenhalstierchen.
Mikrobe von Loch Ness: Der lange Hals von Lacrymaria olor birgt mehrere biomechanische Geheimnisse.

Der Einzeller Lacrymaria olor hat eine der kuriosesten Jagdtechniken überhaupt. Der etwa 40 Mikrometer messende Einzeller hat einen ovalen Körper mit einem kleinen Fortsatz am Ende. Wittert er Nahrung, streckt er diesen Hals binnen Sekunden um rund das 30-Fache seiner eigenen Körperlänge aus, um so auch weit entfernte Beute zu greifen. Doch wie Lacrymaria das bewerkstelligt, ohne dass die dabei entstehenden enormen Zugkräfte seine Zellmembran zerreißen, war bisher völlig rätselhaft. Irgendwo, vermuteten Fachleute, muss der Organismus die zusätzliche Länge verstauen, um sie so schnell abrufen zu können.

Nun haben Eliott Flaum und Manu Prakash von der Stanford University das Rätsel wohl gelöst. Wie sie in der Fachzeitschrift »Science« berichten, sind Zellmembran und innere Struktur des Einzellers ähnlich wie Origami gefaltet und lassen sich einfach auseinanderziehen und wieder zusammenlegen. Dadurch seien die Kräfte auf die Membran und die Energiekosten sehr gering, schreiben die beiden Forscher. Lacrymaria olor strecke den Hals im Lauf seines Lebens unfallfrei rund 20 000-mal aus.

Die ungewöhnliche Jagdtechnik des winzigen Einzellers bringt gleich eine ganze Reihe potenzieller Probleme mit sich. Es kostet ziemlich viel Energie, die Zellmembran derart drastisch zu verformen – und mit der Geschwindigkeit, mit der Lacrymaria olor seinen Hals ausstreckt, könnte der Einzeller ohnehin nicht genug neues Membranmaterial erzeugen. Und während der Hals außerordentlich flexibel sein muss, um die schnelle Bewegung zu erlauben, muss der dünne Fortsatz gleichzeitig steif und stabil sein, um nicht einfach bei erster Gelegenheit umzuknicken. Lacrymaria löst all diese Probleme, indem es die Membran des Halses in mehreren Lagen faltet.

Die Faltlinien haben eine komplizierte geschwungene Geometrie, um sich zu einem Zylinder entfalten zu können. Unter der gefalteten Membran liegt ein Netz aus spiralförmig gewundenen Röhren, die zusammen mit der Membran eingefaltet sind und ihrerseits bei der geordneten Faltung und Entfaltung helfen. Das Prinzip ähnelt dem so genannten Yoshimura-Origami, bei dem ein Zylinder aus einem Gitter gefalteter Rhomben besteht und sich ausstrecken und zusammenfalten lässt. Eine Frage allerdings ist noch offen: Wenn sich mikrometergroße Objekte im Wasser aufeinander zubewegen, entsteht eine abstoßende Kraft, so dass der vorschnellende Hals die Beute wegtreiben lassen müsste. Warum das hier nicht passiert, ist unklar – noch sind nicht alle Rätsel um Lacrymaria olor gelöst.

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