News: Einzellig, gelb, schleimig und schlau
Der Schleimpilz, der in der Natur auf faulenden Blättern oder moderndem Holz zu finden ist, bildet ein Plasmodium. Das heißt, er besteht aus einer einzigen Zelle mit Milliarden von Zellkernen. Die strömen in der Zelle hin und her, verdoppeln sich in Sekundenschnelle und führen zur Ausbildung röhrenförmiger Strukturen, den so genannten Pseudopodien. Mit ihnen geht die amöbenähnliche Zelle auf Nahrungssuche – und zwar ohne sich allzu sehr abzumühen.
Das beobachtete eine Arbeitsgruppe um Toshiyuki Nakagaki vom Bio-Mimetic Control Research Center in Nagoya, nachdem sie den Organismus in ein Labyrinth setzten, eine Versuchsanordnung, in der normalerweise Ratten und Mäuse ihre Intelligenz unter Beweis stellen. Dieses 25 mal 35 Zentimeter große Labyrinth bestand allerdings aus einem Nährboden und einer aufgelegten Kunststoffschablone, die einen Teil der Agar-Oberfläche abdeckte und so die verwinkelten Pfade des Labyrinths bildete.
Physarum polycephalum durfte sich zunächst über das ganze Labyrinth ausbreiten und bedeckte bald die freie Agar-Oberfläche. Sodann stellten die Forscher an zwei Ausgängen eine Mahlzeit aus fein gemahlenen Haferflocken bereit. In allen Versuchen zog sich der Pilz umgehend soweit zurück, dass er nur noch den kürzesten aller Wege zwischen den beiden Futterstellen belegte. Dabei hatte der Organismus vier mögliche Verbindungen zur Auswahl, von denen die günstigste um 22 Prozent kürzer war als die nächstbeste.
Infolge eines lokal reich gedeckten Tisches beginnen die Plasmodien an dieser Stelle an, kräftig zu pulsieren. Die Wellen pflanzen sich von hier aus fort in Bereiche niedriger Frequenz. Je nachdem, ob ein Pseudopodium parallel oder senkrecht zu dieser periodischen Erregung liegt, wächst es an oder zerfällt. Auch diejenigen, welche in eine Sackgasse reichen, bilden sich zurück. Auf diese Weise bleibt schließlich ein kräftiges Plasmodium übrig, welches das Labyrinth auf kürzestem Wege durchläuft.
Mithilfe dieses Prinzips zellulärer Signalverarbeitung gelingt es dem Schleimpilz, neue Nahrungsquellen zu erschließen, und zwar mit minimalem Energieaufwand. Nakagaki sieht darin sogar ein Zeichen primitiver Intelligenz, und "Pille" McCoy würde ihm bestimmt beipflichten.
Siehe auch
- Spektrum der Wissenschaft 6/97, Seite 138
"Pilzgeschichten. Wissenswertes aus der Mykologie."
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.