Direkt zum Inhalt

Sehsinn: Einzellige Algen sind die kleinsten Augen der Welt

Schon Zyanobakterien erkennen Lichtquellen und schwimmen darauf zu. Die Richtung finden sie, indem sie sich selbst als Linse benutzen und das Licht an ihrer Rückseite bündeln.
Augäpfel aus Glas

Das Süßwasser-Zyanobakterium Synechocystis ist bloß ein Einzeller – nutzt aber schon das Prinzip des Linsenauges, um sich auf eine Lichtquelle zuzubewegen. Dabei funktioniert sein gesamter Zellkörper als Linse, die das Licht zu einem hellen Fleck auf der rückseitigen Membran bündelt. Wie die Arbeitsgruppe um Nils Schürgers von der Universität Freiburg berichtet, bilden die Algen auf der so beleuchteten Seite fadenartige Anhängsel, so genannte Pili, mit deren Hilfe sie sich dann direkt auf die Lichtquelle zu bewegen. Der Fotosynthese betreibende Organismus sei damit quasi das kleinste bekannte Linsenauge.

http://www.youtube.com/watch?v=n9Zs6dzPPXs
Phototaxis bei Synechocystis

Mit einem Fluoreszenzmarker gefärbte Synechocystis-Zellen schwimmen auf eine Lichtquelle am unteren Bildrand zu. Die Lichtflecken am hinteren Ende geben ihnen die Richtung vor. Sobald sie in den Laserfleck in der Bildmitte schwimmen, kehren sie jedoch die Richtung um.

Aus: Schürgers et al., Cyanobacteria use micro-optics to sense light direction. eLife 2016;5:e12620, DOI: 10.7554/eLife.12620

Wie Einzeller für sie günstige Orte finden und aufsuchen, ist nur zum Teil geklärt. Bakterien wie E. coli bewegen sich vorwiegend zu wichtigen Nährstoffen, indem sie sich zwar zufällig bewegen, aber bevorzugt in Richtung höherer Konzentration. Wie das Team um Schürgers zeigte, verlässt sich Synechocystis dabei nicht auf diesen so genannten "biased random walk" in einem Helligkeitsgradienten. Wenn das Licht in einer Region des Versuchsaufbaus heller war als in der anderen, bewegten sich die Algen dennoch nach wie vor zufällig. Auch der Schattentrick anderer Einzeller – Chlamydien zum Beispiel besitzen einen Augenfleck, der einen Schatten wirft und so die Richtung weist – ist hier nicht im Spiel, wie das Team zeigen konnte.

Dass die Zellen die Richtung trotzdem sehr genau erkennen können, ist klar: Erschien eine identifizierbare Lichtquelle, schwammen sie sofort darauf zu. Experimente mit Fluoreszenzmarkern enthüllten, dass auf der Zellmembran bei Beleuchtung ein deutlicher Lichtfleck erscheint, an dem sich Synechocystis orientiert. Die Zyanobakterien fühlen sich vom Licht allerdings keineswegs angezogen – der Überlebenstrick beruht vielmehr darauf, dass Synechocystis das Licht meidet. Diese auf den ersten Blick paradoxe Erkenntnis gewannen die Forscher mit Hilfe eines Lasers. Sobald der kohärente Lichtstrahl eine Seite der Zelle trifft, flüchten die Algen aus dem Lichtfeld. Der anziehende Effekt normaler Beleuchtung kommt also tatsächlich nur durch die Linsenwirkung des Zellkörpers zu Stande.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.