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News: Eis unter Druck

Theoretisch sollte gewöhnliches Wassereis unter extrem hohem Druck seine Struktur fundamental ändern und die starke Bindung innerhalb der Moleküle sowie der schwache Zusammenhalt zwischen ihnen gleichwertig werden. Bislang jedoch widersprachen sich die experimentellen Ergebnisse der Labors.
Das Eis aus dem Kühlschrank, so wie es beim Gefrieren von Wasser entsteht, ist nur eine Form von Wassereis: So wie Kohlenstoff als schwarzer Graphit aber auch als glasklarer Diamant vorkommen kann, so kann auch Eis in vielen so genannten Modifikationen auftreten. Mittlerweile sind bereits mehr als zehn verschiedene Kristallformen von Eis bekannt; das Eis im Kühlschrank nennt die Wissenschaft Eis I.

Es gehört zu den molekularen Eisformen, die aus intakten H2O-Molekülen aufgebaut sind. Sie bestehen aus zwei Wasserstoffatomen, die über je eine starke chemische – kovalente – Bindung mit einem Sauerstoffatom verbunden sind. Zusätzlich sind die Wasserstoffmoleküle selbst über die viel schwächeren und längeren Wasserstoffbrückenbindungen miteinander verknüpft und bilden somit eine Art Netzwerk im dreidimensionalen Raum.

Die Frage, was mit diesem Netzwerk passiert, wenn man Eis stark zusammendrückt, hat Wissenschaftler seit langer Zeit beschäftigt und zu Spekulationen veranlasst. Vor etwa 25 Jahren vermuteten sie aus theoretischen Überlegungen heraus, dass der Unterschied der kovalenten Bindungen und der Wasserstoffbrückenbindungen beim Komprimieren des Eises immer geringer würde. Im Grenzfall, so die Vermutung, sollte der Unterschied sogar völlig verschwinden. Diese Eisform taufte Wilfried Holzapfel von der Universität Paderborn Eis X, wobei das "X" im Sinne der römischen Zahl "Zehn" zu verstehen ist.

Danach begann die Jagd nach Eis X, die ein Vierteljahrhundert dauerte. Erst gegen Ende der neunziger Jahre ergaben Experimente in Hochdruckzellen, den Diamantstempelzellen, deutliche Hinweise auf jene seltene Modifikation des Eises. In solchen Zellen lassen sich Drücke erzeugen, wie sie im Erdinnern herrschen. Weltweit konnten bis jetzt nur drei Laboratorien in Japan, den USA und Frankreich solche Experimente erfolgreich durchführen – lieferten jedoch prompt unterschiedliche Ergebnisse beziehungsweise Interpretationen.

So wiesen die Ergebnisse einer der drei Arbeitsgruppen auf einen deutlich höheren Druck hin, ab dem Eis X entsteht. Zudem deutete sich noch die Existenz einer weiteren, bisher unbekannten Phase von Eis an. Mit theoretischen Methoden konnte nun Dominik Marx von der Ruhr-Universität Bochum in Zusammenarbeit mit Magali Benoit von der Université Montpellier II und Aldo Romero von der Pontificia Universidad Católica de Chile in Santiago die Kontroverse klären und den damit verbundenen Streit beigelegen.

Aufwändige quantenmechanische Computersimulationen der Experimente bei Zimmertemperatur gaben erste Hinweise, dass die Interpretation der Daten der einen Gruppe womöglich nicht ganz korrekt war. Die Bochumer Rechnungen veranlassten die Experimentatoren, ihre alten Daten neu auszuwerten – und diese Neuauswertung zeigte klar, dass man beim ersten Mal von irreführenden Modellannahmen ausgegangen war. Die sehr realistischen Computersimulation stimmten nun hingegen überzeugend mit den neuen Messergebnissen überein. Damit belegen alle drei Experimente nun die Theorie über die Existenz von Eis X und die Kontroverse ist beigelegt, aber auch die Hoffnungen auf eine weitere, exotische Phase jenseits von Eis X hat sich in Luft aufgelöst.

Aber die Rechungen haben noch mehr in sich: Sie zeigten sehr detailliert, wie genau molekulares Eis in Eis X übergeht, das heißt, wie sich Wasserstoffbrückenbindungen und kovalente Bindungen aufgrund des äußeren Drucks angleichen. Dies passiert über eine Art von Eis, bei dem die Wasserstoffatome quasi nicht mehr wissen, zu welchem Sauerstoffatom sie gehören, was dazu führt, dass sie dauernd zwischen ihren beiden Nachbarn hin und her hüpfen.

Dies wäre eine sehr dynamische Form von Eis, die sich somit nicht mehr den berühmten statischen Eisregeln fügt, die unter anderem Linus Pauling in den dreißiger Jahren ausgearbeitet hat. Andere Wissenschaftler haben bereits spekuliert, dass diese unkonventionellen Formen der Wasserstoffbrückenbindungen, wie sie bei Eis unter hohem Druck erzeugt werden, beispielsweise eine wichtige Rolle bei Enzymkatalysen spielen könnten, bei denen Wasserstoffbrücken und -transfer an biochemischen Prozessen beteiligt sind.

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