Eisbohrkern-Datierung: Als Europa auf Silbermünzen umstellte
Ein Eisbohrkern aus einem Gletscher der Walliser Alpen verrät, wann die westeuropäischen Herrscher des Frühmittelalters Silber als Zahlungsmittel einsetzten: Ungefähr um das Jahr 660 kam es zu dieser folgenschweren Entscheidung, die den Handel erleichterte und Hafenstädten wie London zu ihrem Aufstieg verhalf. Der neue Pfennig, auch Denier oder Penny genannt, erlaubte es den Menschen, viel geringere Beträge mit Münzen zu bezahlen als zuvor. Die Goldmünzen, die nach dem Ende des Römischen Reichs in Europa kursierten, seien für alltägliche Geschäfte zu wertvoll gewesen, schreibt das Forscherteam um Christopher Loveluck von der University of Nottingham, das jetzt mit naturwissenschaftlichen Methoden nach den Spuren dieser Umstellung fahndete.
Wie sie in ihrem Beitrag im Fachmagazin »Antiquity« erläutern, untersuchten sie in einem Bohrkern aus dem Gletscher des Colle Gnifetti jene Eisschichten, die aus dem 7. und 8. Jahrhundert stammen, auf ihren Bleigehalt. Ein Teil dieses Bleis wurde freigesetzt, weil das Silber damals aus stark bleihaltigen Erzen gewonnen wurde, es gelangte in die Luft und lagerte sich mit dem Schnee auf den Alpengipfeln ab.
Für das 7. Jahrhundert entdeckten die Forscher Hinweise auf zwei Phasen erhöhter Silberproduktion. Ein erster Anstieg um das Jahr 640 herum gehe darauf zurück, dass den Goldmünzen ein höherer Anteil Silber beigemischt wurde, wohl um die Menge des umlaufenden Geldes zu erhöhen. Schon 20 Jahre später verzeichnen Loveluck und Kollegen dann den zweiten Anstieg – dahinter dürfte der eigentliche Umstieg auf Silbermünzen stecken.
Vermutlich stammte das Silber, das zu den ersten Pfennigen geschlagen wurde, aus Minen in der westfranzösischen Stadt Melle, aus denen auch später die Karolinger unter Karl dem Großen ihr Silber bezogen. Hier wurde laut archäologischen Untersuchungen im 7. Jahrhundert das silberhaltige Galenit abgebaut. Das daraus gewonnene Edelmetall wurde zu Münzen verarbeitet, die sich in ganz Europa finden.
Mit der Datierung auf die Jahre um 660 verlegen sie die Anfänge der nachantiken Silberwährung, die sie auf den fränkischen Hausmeier Ebroin (gestorben 681) zurückführen, um ein bis zwei Jahrzehnte vor das von Münzforschern ermittelte Datum. Nach Meinung des Teams passe diese neue Chronologie viel besser zur wirtschaftlichen Entwicklung der Zeit. Um 680 – dem Beginn der Silbernutzung laut bisheriger Datierung – sei der Handel an den wichtigen Umschlagplätzen beiderseits des Ärmelkanals längst in vollem Gang gewesen. So aber könne man diesen Städten eine 15- bis 20-jährige Wachstumsphase zugestehen. Profiteure des erleichterten Handels in Europa waren Quentovic im heutigen Frankreich, Dorestad in den heutigen Niederlanden sowie allen voran London.
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