Antarktis: Eisverlust bewirkt rapiden Landanstieg
In den letzten 25 Jahren hat die Westantarktis mehr als drei Billionen Tonnen Eis verloren – was alleine schon weltweit die Meeresspiegel um durchschnittlich acht Millimeter steigen ließ, so eine Studie in »Nature«. Dieser Prozess hat sich zudem in den letzten fünf Jahren der Datenreihe beschleunigt, während eine Billion Tonnen Eis schmolzen. Das entspricht einer Verdreifachung verglichen mit den Jahrzehnten zuvor, so die Autoren kritisch. Die Situation mache auch eine geologische Besonderheit der Region aus, schreiben Valentina Barletta von der Technischen Universität Lyngby und ihr Team in »Science«. Gleichzeitig könne die Geologie hier womöglich den schlimmsten Szenarien zum Meeresspiegelanstieg entgegenwirken.
Der westantarktische Eisschild liegt in einem riesigen Becken, dessen Hänge landeinwärts bis zu einem Kilometer tief abfallen. Große Teile davon liegen also unter dem Meeresspiegel und werden vom Ozean nur durch niedrige Bergrücken an der Küste und dicke, auf dem Meeresboden liegende Eispakete abgeschirmt. Viele Glaziologen sorgen sich daher, dass erwärmtes Meerwasser diese Blockade im Lauf der Zeit abschmelzt und die Gletscher hinter den Wall zurückdrängt. Dann könnte Salzwasser über den Rand und unter den Eisschild strömen, diesen heben und von unten abtauen – was eventuell die gesamte Eismasse der Region destabilisieren würde. Doch wie Barletta und Co entdeckt haben, könnte die Geotektonik der Menschheit etwas Aufschub gewähren.
Das Gewicht der Eismassen drückt die Erdkruste nach unten, doch wenn dieser Einfluss verringert wird, setzt auch wieder der gegenläufige Prozess ein: Das Land hebt sich. Dies lässt sich beispielsweise in Skandinavien beobachten, das sich seit Ende der letzten Eiszeit beträchtlich gehoben hat (während die gegenüberliegende Küste wie in Mecklenburg-Vorpommern in Relation dazu absinkt) – in den letzten 12 000 Jahren um bis zu 900 Meter. Und auch heute noch setzt sich diese Aufwärtsbewegung mit teilweise einem Zentimeter pro Jahr fort. Diese als Isostasie bezeichnete Ausgleichsbewegung findet derzeit auch in der Westantarktis statt, wo sich durch den Eisverlust das auflagernde Gewicht ebenfalls verringert.
Das Tempo mit dem dieser Aufstieg vonstattengeht, überraschte Barletta und ihr Team allerdings. Um bis zu vier Zentimeter pro Jahr drückt die Erdkruste stellenweise nach oben, was eine der höchsten Raten weltweit bedeutet. Und dies könne sich noch weiter beschleunigen, so die Wissenschaftler. Sie rechnen mit einer Verdreifachung des Tempos bis zum Ende des Jahrhunderts, wenn die Region noch mehr und noch schneller Eis verliert. Um bis zu acht Meter könnte sich das Land und das verbliebene Eis darauf heben, was am Ende die Gletscher stabilisieren könnte: Dem Ozean würde dadurch der Weg unter das Eis erschwert oder unmöglich gemacht – trotz steigendes Pegels.
Eine weitere Arbeit in »Nature« deutet an, dass dieser Ausgleich auch nach dem Ende der letzten Eiszeit gewirkt hat. Die Wiedererwärmung hatte dafür gesorgt, dass sich die Gletscher der Westantarktis hunderte Kilometer hinter die Linie zurückzogen, an der sie heute auf dem Meeresboden aufliegen. Die einsetzende Isostasie sorgte dann jedoch dafür, dass die Gletscher wieder wachsen konnten, weil die Landhebung sie dem schmelzenden Meerwasser entzog. Diese Dynamik könne uns heute jedoch nur eine Atempause verschaffen, so Ted Scambos vom National Snow and Ice Data Center in Boulder gegenüber »Science«. Wenn die Menschheit weiterhin in diesem Umfang Treibhausgase produziere und sich die Erderwärmung fortsetze, werde der westantarktische Eisschild schmelzen – und die Meeresspiegel langfristig steigen lassen, so der Glaziologe.
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