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News: Elektronen schalten zwischen Bild und Spiegelbild

Sie stehen vor einem Spiegel und betrachten ihr bildliches Gegenüber. Plötzlich, die Luft ist wie elektrisiert, geschieht irgendetwas, und Sie wissen nicht mehr, auf welcher Seite des Spiegels Sie sich befinden, was jetzt Spiegelbild ist und was Wirklichkeit. Viele Moleküle sind solche Ungewissheit gewohnt: Sie treten in zwei Gestalten auf, die einander ähneln wie Bild und Spiegelbild, aber über identische chemische Eigenschaften verfügen. Sie sind dabei normalerweise auf eine Form festgelegt und können diese nicht nachträglich ändern, ohne interne Bindungen zu lösen. Diese Festlegung ließ Chemikern keine Ruhe und so konstruierten sie ein Molekül, das zwischen beiden Formen umgeschaltet werden kann.
Viele Moleküle in der Natur sind chiral, das heißt, dass von ihnen zwei Formen – so genannte Enantiomere – existieren, die einander gleichen wie Bild und Spiegelbild. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Milchsäure, die, je nachdem in welche Richtung sie polarisiertes Licht dreht, als rechts- (+) oder linksdrehend (-) bezeichnet wird. In der Natur tritt meist die eine Variante viel häufiger auf als die andere. Lebewesen bilden in der Regel immer nur die eine, für sie nutzbare Form. Die andere ist, obwohl mit denselben chemischen Eigenschaften ausgestattet, für den Organismus häufig nutzlos, manchmal sogar schädlich.

Wenn Chemiker Moleküle im Reagenzglas synthetisieren, entstehen beide Formen zu gleichen Teile, obwohl in der Regel nur die eine Variante gewünscht ist. Die Trennung dieses Gemischs ist sehr aufwändig. Bakterien hingegen schaffen es, Substanzen enantiomerenrein zu bilden, deswegen sind sie als Produzenten von bioaktiven Stoffen auch so begehrt. Nachträglich die Form zu wechseln, ist praktisch unmöglich. Dazu müssten nämlich einzelne kovalente Bindungen gelöst und anderer Stelle wieder geknüpft werden, ganz so, als würde man von einem linken Handschuh den Daumen abschneiden und neben dem kleinen Finger wieder annähen, um daraus einen rechten zu machen.

Für manche Chemiker, darunter auch Steffen Zahn und James Canary von der New York University, stellt dieses Problem eine große Herausforderung dar. Die beiden konstruierten jetzt aus der Aminosäure Methionin, zwei Farbstoffmolekülen und einem Kupferatom ein Molekül, das durch Oxidation und Reduktion zwischen beiden Formen hin und her geschaltet werden kann (Science, vom 26. Mai 2000).

Die Farbstoffmoleküle sitzen wie Rotorblätter am so genannten Chiralitätszentrum, einem Kohlenstoffatom des Aminosäurebausteins mit vier verschiedenen Liganden. Zusammen mit dem Kupfer verändert dieser Methionin-Abkömmling seine Form. Und je nach Ladung des Atoms, verbinden sich jeweils verschiedene Gruppen, sodass eine Rotationsbewegung durch das Molekül geht, welche die rechtshändige in die linkshändige Form überführt und umgekert.

Der Ladungszustand des Kupferatoms bestimmt also, welches Enantiomer vorliegt. Die Strukturveränderung konnten die Chemiker mit verschiedenen spektroskopischen Techniken nachweisen, denn beide Varianten drehen polarisiertes Licht in entgegengesetzte Richtungen.

Nach Canarys Einschätzung könnte diese ungewöhnliche Art der Manipulation zur Entwicklung von molekularen Schaltkreisen oder anderen nanotechnologischen Anwendungen beitragen. Er hält die Entdeckung dieser schaltbaren Chiralität für sehr bedeutungsvoll, und immerhin hat sich die Universität ein provisorisches Patent auf das Molekül gesichert.

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