Neuroprothesen: Elektronische Hirnhaut lässt gelähmte Ratten wieder laufen
Forscher um Stéphanie Lacour von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne haben ein Neuroimplantat entwickelt, das gelähmten Ratten wieder auf die Beine hilft. Das Besondere an dem winzigen Gerät des Schweizer Teams: Es ist vor allem sehr weich und dehnbar. Genau das ist der entscheidende Knackpunkt bei den meisten der bisher entwickelten Implantate, die an Gehirn und Wirbelsäule zum Einsatz kommen: Die vergleichsweise starren Fremdkörper reiben nach einiger Zeit am Nervengewebe, wenn es sich bewegt und auseinanderzieht. Die Folge davon sind Entzündungen, Narbenbildung oder Abstoßungsreaktionen, die dafür sorgen, dass das Implantat bereits nach kurzer Zeit wieder aus dem Körper entfernt werden muss.
Die Prothese von Lacour und ihrem Team liegt dagegen im wahrsten Sinn des Wortes so unauffällig wie eine zweite Haut auf dem Gewebe auf. Da sie fast genau so flexibel ist wie die Dura mater, die äußerste Hirnhaut, die Rückenmark und Gehirn wie eine Schutzschicht umgibt, tauften die Forscherinnen ihr Implantat auf den Namen "elektronische Dura mater" – oder kurz: "e-Dura".
Die e-Dura besteht aus einem transparenten Siliziumsubstrat, auf welches elektrische Leiterbahnen aus Gold, Platinelektroden und ein Mikrokanal aufgetragen sind. Winzige Mikrorisse sorgen dafür, dass das Material gedehnt werden kann, ohne dass etwas kaputtgeht. Mit dieser Ausstattung stimuliert das Implantat gleichzeitig das Gewebe mit Hilfe von elektrischen Impulsen und schleust pharmakologische Substanzen wie etwa Botenstoffe ein. Im Versuch mit Ratten zeigten die Wissenschaftler, dass das Gerät auf diesem Weg beispielsweise dazu in der Lage ist, Lähmungen in Folge von Rückenmarksverletzungen zu heilen. Einige Wochen nachdem Lacour und ihre Kollegen den Tieren ihre e-Dura nahe der verletzten Stelle unter die echte Dura mater implantiert hatten, konnten die Nager wieder selbstständig laufen.
Gleichzeitig war die e-Dura wie erhofft wesentlich schonender zum Rückenmark der Ratten gewesen. Auch zwei Monate nach der Implantation beobachteten die Forscher keine Hinweise auf Gewebeverletzungen oder Abstoßungsreaktionen. Nachdem sie das Implantat zusätzlich einem Härtetest unterzogen haben, bei dem es in alle erdenklichen Richtungen verbogen und die Leiterbahnen bis zum Äußersten beansprucht wurden, glauben Lacour und ihr Team, dass es bis zu zehn Jahre lang im menschlichen Körper verweilen könnte. "Das würde völlig neue Therapiemöglichkeiten für Patienten mit neurologischen Verletzungen und Erkrankungen eröffnen – vor allem für solche, die nach einer Rückenmarksverletzung gelähmt sind", so Lacour. Ob sich die e-Dura aber tatsächlich auch im Menschen beweisen kann, werden erst klinische Tests zeigen.
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