News: Elektrosmog und Leukämie im Kindesalter
1979 schlugen Forscher in den USA Alarm: In einer Studie hatten sie für Kinder, die unter Hochspannungsleitungen lebten, ein dreifach erhöhtes Sterblichkeitsrisiko aufgrund von Leukämie festgestellt. Seitdem folgten zahlreiche Untersuchungen in verschiedenen Ländern, um den Einfluss des so genannten Elektrosmogs auf die Gesundheit aufzudecken. Auch Deutschland beteiligte sich daran: Das Deutsche Kinderkrebsregister am Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Universität Mainz und der Forschungsverbund Elektromagnetische Verträglichkeit biologischer Systeme an der Technischen Universität Braunschweig führten zwischen 1993 bis 1997 zwei epidemiologische Studien in Niedersachsen und Berlin durch. Sie wollten klären, ob Leukämieerkrankungen bei Kindern mit häuslichen Magnetfeldern verknüpft sind. Die Wissenschaftler wählten hierfür den Niederfrequenzbereich, zu dem neben der normalen Spannungsversorgung der Wohnungen bei 50 Hertz auch das von der Deutschen Bahn verwendete Netz mit 16 2/3 Hertz gehört. Damit ließen sie Strahlungsquellen im Hochfrequenzbereich wie schnurlose Telefone oder Mobiltelefone außen vor.
Die 1998 vorgestellten Ergebnisse zeigten keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Leukämie und Magnetfeldern von über 0,2 Mikro-Tesla. Allerdings war die statistische Basis der Daten relativ schwach: Die Forscher konnten nur in sehr wenigen Wohnungen tatsächlich so hohe magnetische Flussdichten – oft auch als Feldstärke bezeichnet – feststellen, und auch die Gesamtzahl der Beteiligten war mit 176 Leukämiefällen und 414 gesunden Kindern zur Kontrolle recht gering.
Darum dehnten die Forscher um Joachim Schüz und Jörg Michaelis ihre Untersuchung weiter aus. Von 1997 bis 2001 beobachteten sie bundesweit 1815 Kinder in ihrer häuslichen Umgebung, von denen 514 zwischen 1990 und 1994 an Leukämie erkrankt waren. Wiederum wählten sie 0,2 Mikro-Tesla als Grenzwert, wobei dieser Wert an mindestens zwölf Stunden pro Tag überschritten werden musste. Sie erfassten externe Strahlungsquellen wie Hochspannungsleitungen, aber auch Faktoren wie Verkehrsdichte und Siedlungsumfeld. Im Innenbereich maßen sie in der gesamten Wohnung die magnetischen Flussdichten und kartierten beziehungsweise rekonstruierten soweit möglich lokale Feldquellen und die Elektroinstallation, wie sie zur damaligen Zeit vorlag. In einer 24-Stunden-Messung schließlich konzentrierten sie sich auf die Räume, in denen sich die Kinder wohl am meisten zum Zeitpunkt des Krankheitsausbruchs aufhielten: das Kinderzimmer und das Wohnzimmer. Am 5. März 2001 stellten sie im Rahmen einer Pressekonferenz ihre Ergebnisse vor.
Insgesamt konnten die Wissenschaftler nur in 1,4 Prozent der Wohnungen magnetische Flussdichten von mehr als 0,2 Mikro-Tesla feststellen, und nur in 0,2 Prozent aller Wohnungen überschritten die Werte 0,4 Mikro-Tesla. In über Dreiviertel der Behausungen lagen die Werte hingegen unter 0,05 Mikro-Tesla. Dabei traten die hohen magnetischen Flussdichten vorwiegend in Mehrfamilienhäusern auf, und als Quelle waren in 75 Prozent der Fälle externe Faktoren verantwortlich, wovon Hochspannungsleitungen jedoch nur etwa ein Drittel ausmachten.
Überraschend für Schüz, Michaelis und ihre Kollegen war jedoch, dass sich die Ergebnisse der Vorstudien deutlich bestätigten. So ergab auch die umfassendere Untersuchung keinen statistischen Zusammenhang zwischen Leukämie im Kindesalter und einer gemittelten magnetischen Flussdichte von über 0,2 Mikro-Tesla. Betrachtet man jedoch allein den Wert der nächtlichen Magnetfelder, so stellte sich hier ein statistisch signifikanter Zusammenhang heraus: Während sie nur bei 12 von 1301 Familien nicht erkrankter Kinder (0,9 Prozent) den Wert von 0,2 Mikro-Tesla überschritten, lagen die Werte bei 12 der 514 Leukämie-Fälle, und damit bei 2,3 Prozent, darüber. Und auch die schon aus den Vorstudien bekannte verstärkte Assoziation zwischen Erkrankung und Magnetfeldern von über 0,2 Mikro-Tesla für Kinder unter fünf Jahren bestätigte sich. Andere Aspekte wie Siedlungsstruktur, Verkehrsdichte oder soziale Faktoren zeigten hingegen keine Einflüsse. Und auch das Netz der Deutschen Bahn mit 16 2/3 Hertz wirkte sich offenbar nicht aus.
Die Wissenschaftler fassten anschließend die Daten der drei Studien zusammen und führten Trendanalysen durch. Dabei stellte sich heraus, dass sich bei höheren magnetischen Flussdichten von über 0,4 Mikro-Tesla, die mehr als zwölf Stunden pro Tag auftreten, ein statistischer Zusammenhang zeigt – ein Ergebnis, das mit anderen, internationalen Studien im Einklang steht.
Obwohl Michaelis betont, dass die Daten allein einen statistischen Zusammenhang wiedergeben, für den bisher trotz intensiver Forschung keine biologische Ursache bekannt ist, rechneten die Forscher auch den gegebenenfalls vorhandenen Effekt auf Bevölkerungsebene aus. Demnach wären etwa drei Fälle an Leukämie-Erkrankungen im Kindesalter pro Jahr auf eine Strahlenexposition im Niederfrequenzbereich zurückzuführen – was weniger als einem Prozent aller Fälle entspricht. Damit stufen sie die Bedeutung solcher Magnetfelder als recht gering ein. Zu berücksichtigen ist, dass die Forscher versuchten, den Einfluss von langfristigen Expositionen zu erfassen, nicht jedoch die Rolle von kurzfristigen, sehr hohen Belastungen. Allerdings, so berichtete Schüz, hatte sich in den früheren Studien gezeigt, dass solche kurzen, aber starken Belastungen offenbar nicht mit dem Risiko für eine Leukämie-Erkrankung verknüpft sind.
Als Fazit aus der Studie empfahl Michaelis, unnötigen Energieverbrauch zu vermeiden und nicht sachgerechte Installationen zu sanieren. Denn gerade hier stellten die Forscher oft die Ursache für hohe magnetische Flussdichten in den Wohnungen fest. Im Einzelfall sollten vielleicht Vor-Ort-Messungen entscheiden, welcher Raum beispielsweise als Kinderzimmer genutzt wird. So lange allerdings die Frage nach den biologischen Ursachen nicht geklärt ist, könnte es sich bei den festgestellten statistischen Zusammenhängen immer noch um ein Artefakt handeln, betonen die Wissenschaftler. Je mehr Daten zu ähnlichen Ergebnissen führen, desto wahrscheinlicher werde es jedoch, dass wirklich ein ursächlicher Zusammenhang besteht.
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