Verhaltensforschung: Elfenbein auf Golgatha
Ein Mensch bleibt für Menschen auch dann Mensch, wenn er tot ist. Ein Tier ist Tieren dagegen tot meist, aber nicht immer, egal. Große graue Gesellen mit Rüssel machen hier allerdings eine Ausnahme.
Wenn die Nacht in der Savanne ihre Schatten gegen das einsame Lagerfeuer wirft und dieses sein Geflacker gegen die wettergegerbten Gesichter der lagernden Afrikaforscher, dann ist die Zeit gekommen für die Saga vom Sterben des alten Elefantenbullen. Lauschenden Hyänen wehen dann Wortfetzen zu wie "schleppt sich" und "letzte Reise" und "ein Ort zum Sterben".
Betagte Elefanten, so heißt es am Feuer, wissen, wann die Zeit gekommen ist, den Weg anzutreten zu jenem versteckten Platz, der ihrer Sippe als Friedhof bekannt ist. Hier betten sie ihr müd' gewordenes Haupt zum letzten Atemzug zwischen Elfenbein und Schädel ihrer Ahnen. Hierhin, so die Legende, wandern ab und an auch die Verwandten der Verstorbenen, lange bevor ihre eigene Zeit gekommen ist. Auf einen Besuch der einst vertrauten Verblichenen?
Zurück ins grelle afrikanische Tageslicht, zu Karen McComb von der Universität von Sussex und ihren Kollegen. Eigentlich war zu befürchten, dass ihr wissenschaftlicher Beitrag zur Lagerfeuerlegende sie nur zu Spielverderbern der Geschichtenerzählerei machen konnte. Tatsächlich raubt ihre Studie dem Elefantenmysterium ein wenig an Glaubwürdigkeit – fügt aber auch ein spannendes Mosaiksteinchen hinzu.
Im Mittelpunkt der Untersuchung mit lebenden und toten Loxodonta africana – der großohrigen afrikanischen Dickhäuter-Variante – standen unordentliche, aber säuberlich nach Inhalt sortierte Haufen von Knochen, Holzstämmen und Elfenbeinstoßzähnen sowie Schädel von Büffeln, Rhinozerossen und eben Elefanten. Wie reagieren die grauen Riesen, wenn sie in ihrem Revier mit diesen Materialien konfrontiert werden? McComb und Co platzierten die Haufen nacheinander im Sichtfeld einer Elefantensippe, zogen sich zurück und beobachteten aus diskreter Distanz, was die Dickhäuter mit den unterschiedlichen Materialien so anstellten.
Schimpansen gehören etwa zu diesem Klub: Sie beschäftigen sich ausdauernd mit ihren Toten, allerdings stets nur, bis diese in einen unappetitlichen Zustand zu zerfallen beginnen – den Knochen der Toten bringen die Affen später keinerlei besondere Ehrfurcht entgegen. Löwen etwa benehmen sich von Anfang an typisch tierisch: Nach ein wenig Beschnüffeln wird aus einem gerade verstorbenen Artgenossen schnell etwas schmackhaft Fleischliches. Ganz anders eben die Elefanten – sie behandeln nicht nur jüngst verstorbene Artgenossen, sondern sogar deren Gebeine anders als ein Allerweltsobjekt.
Der evolutionäre Hintergrund für diese elefantöse Aufmerksamkeitsselektion ist ebenso unklar wie die zugrunde liegende Ursache: Vielleicht erkennen die Elefanten einfach am Geruch einen Ex-Elefanten, vielleicht ist gerade das Elfenbein der Stoßzähne visueller Auslöser für ein soziales Programm der Dickhäuter? Spannender als diese Fragen war für die Forscher zunächst eine andere: Wenn Elefanten allgemein Elefantenknochen erkennen – können Elefanten dann vielleicht sogar die Knochen von ihnen vertrauten Elefanten von denen eines unverwandten Otto-Normal-Elefanten unterscheiden?
Die Forscher boten einer Elefantensippe die Auswahl zwischen dem Schädel eines Artgenossen, den sie zu Lebzeiten nie zu Gesicht bekommen hatten, und jenem der jüngst verstorbenen Matriarchin der Testfamilie – einem Tier, das die sozialen Geschicke der Gruppe bis zu ihrem Tod bestimmt hatte. Offenbar aber, so das Ergebnis, war das alte Muttertier als solches schon vergessen: Zwar regten ihre Knochen die Tiere zu intensiven Untersuchungen an, ebenso sehr hatten sich die Dickhäuter aber mit dem Schädel des fremden Elefanten beschäftigt.
Elefanten erkennen also tote Artgenossen, nicht aber tote Verwandte individuell, schließen die Forscher – und die Legende vom Verwandtenbesuch auf dem Elefantenfriedhof hat damit keine biologische Grundlage. Überhaupt sind Elefantenfriedhöfe an sich schon nicht, was am Lagerfeuer aus ihnen gemacht wird: Zwar gibt es tatsächlich Dickhäuter-Golgathas mit massenhaft aufgehäuften Elefantenüberbleibseln, stets aber lassen sich die vermeintlich gewählten Sterbestätten der Tiere recht profan als etwas anderes entlarven – etwa als Orte, wo eine Elefantensippe Jägern zum Opfer fielen oder gemeinsam in einer Dürreperiode verdurstete. Dass an solchen Orten aber Elefanten, scheinbar aufgeregt klagend, in den bleichen Gebeinen ihrer Artgenossen wühlen – das mag tatsächlich manchmal weniger Legende sein als Realität.
Betagte Elefanten, so heißt es am Feuer, wissen, wann die Zeit gekommen ist, den Weg anzutreten zu jenem versteckten Platz, der ihrer Sippe als Friedhof bekannt ist. Hier betten sie ihr müd' gewordenes Haupt zum letzten Atemzug zwischen Elfenbein und Schädel ihrer Ahnen. Hierhin, so die Legende, wandern ab und an auch die Verwandten der Verstorbenen, lange bevor ihre eigene Zeit gekommen ist. Auf einen Besuch der einst vertrauten Verblichenen?
Zurück ins grelle afrikanische Tageslicht, zu Karen McComb von der Universität von Sussex und ihren Kollegen. Eigentlich war zu befürchten, dass ihr wissenschaftlicher Beitrag zur Lagerfeuerlegende sie nur zu Spielverderbern der Geschichtenerzählerei machen konnte. Tatsächlich raubt ihre Studie dem Elefantenmysterium ein wenig an Glaubwürdigkeit – fügt aber auch ein spannendes Mosaiksteinchen hinzu.
Im Mittelpunkt der Untersuchung mit lebenden und toten Loxodonta africana – der großohrigen afrikanischen Dickhäuter-Variante – standen unordentliche, aber säuberlich nach Inhalt sortierte Haufen von Knochen, Holzstämmen und Elfenbeinstoßzähnen sowie Schädel von Büffeln, Rhinozerossen und eben Elefanten. Wie reagieren die grauen Riesen, wenn sie in ihrem Revier mit diesen Materialien konfrontiert werden? McComb und Co platzierten die Haufen nacheinander im Sichtfeld einer Elefantensippe, zogen sich zurück und beobachteten aus diskreter Distanz, was die Dickhäuter mit den unterschiedlichen Materialien so anstellten.
Penible statistische Auswertungen des Verhaltens, aber auch der Anblick der Tiere beim Anblick von Elefantenelfenbein und -schädeln ließen nur einen Schluss zu: Die Tiere erkennen, wann ihnen Reste von Artgenossen gegenüberliegen. Während Holzstöße und die Schädel von Büffel und Nashorn sie nur mäßig fesselte, beschäftigten sie sich stets aufgeregt und lang andauernd mit Elfenbein und Elefantenschädeln. Damit erlangt Loxodonta africana Zutritt zu dem sehr exklusiven, vom Menschen angeführten überschaubaren Kreis von Lebewesen, welche die Überreste ihrer Artgenossen als etwas Besonderes erkennen.
Schimpansen gehören etwa zu diesem Klub: Sie beschäftigen sich ausdauernd mit ihren Toten, allerdings stets nur, bis diese in einen unappetitlichen Zustand zu zerfallen beginnen – den Knochen der Toten bringen die Affen später keinerlei besondere Ehrfurcht entgegen. Löwen etwa benehmen sich von Anfang an typisch tierisch: Nach ein wenig Beschnüffeln wird aus einem gerade verstorbenen Artgenossen schnell etwas schmackhaft Fleischliches. Ganz anders eben die Elefanten – sie behandeln nicht nur jüngst verstorbene Artgenossen, sondern sogar deren Gebeine anders als ein Allerweltsobjekt.
Der evolutionäre Hintergrund für diese elefantöse Aufmerksamkeitsselektion ist ebenso unklar wie die zugrunde liegende Ursache: Vielleicht erkennen die Elefanten einfach am Geruch einen Ex-Elefanten, vielleicht ist gerade das Elfenbein der Stoßzähne visueller Auslöser für ein soziales Programm der Dickhäuter? Spannender als diese Fragen war für die Forscher zunächst eine andere: Wenn Elefanten allgemein Elefantenknochen erkennen – können Elefanten dann vielleicht sogar die Knochen von ihnen vertrauten Elefanten von denen eines unverwandten Otto-Normal-Elefanten unterscheiden?
Die Forscher boten einer Elefantensippe die Auswahl zwischen dem Schädel eines Artgenossen, den sie zu Lebzeiten nie zu Gesicht bekommen hatten, und jenem der jüngst verstorbenen Matriarchin der Testfamilie – einem Tier, das die sozialen Geschicke der Gruppe bis zu ihrem Tod bestimmt hatte. Offenbar aber, so das Ergebnis, war das alte Muttertier als solches schon vergessen: Zwar regten ihre Knochen die Tiere zu intensiven Untersuchungen an, ebenso sehr hatten sich die Dickhäuter aber mit dem Schädel des fremden Elefanten beschäftigt.
Elefanten erkennen also tote Artgenossen, nicht aber tote Verwandte individuell, schließen die Forscher – und die Legende vom Verwandtenbesuch auf dem Elefantenfriedhof hat damit keine biologische Grundlage. Überhaupt sind Elefantenfriedhöfe an sich schon nicht, was am Lagerfeuer aus ihnen gemacht wird: Zwar gibt es tatsächlich Dickhäuter-Golgathas mit massenhaft aufgehäuften Elefantenüberbleibseln, stets aber lassen sich die vermeintlich gewählten Sterbestätten der Tiere recht profan als etwas anderes entlarven – etwa als Orte, wo eine Elefantensippe Jägern zum Opfer fielen oder gemeinsam in einer Dürreperiode verdurstete. Dass an solchen Orten aber Elefanten, scheinbar aufgeregt klagend, in den bleichen Gebeinen ihrer Artgenossen wühlen – das mag tatsächlich manchmal weniger Legende sein als Realität.
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