Embryonalentwicklung: Am Anfang herrscht Chaos
Schon bald nach der Befruchtung beginnt sich die Eizelle zu teilen. Aus einer werden zwei Zellen, aus zweien werden vier und so weiter. Lange dachte man, dass dieser Prozess von Anfang an genau festgelegt sein muss und Abweichungen zum Absterben des Embryos führen. Möglicherweise ist jedoch das Gegenteil der Fall, wie eine in »Science« veröffentlichte Entdeckung eines internationalen Teams um Dimitri Fabrèges und Takashi Hiiragi nahelegt. Wann und in welche Richtung sich die allerersten Zellen teilen, scheint zumindest bei Säugetieren nämlich zufällig zu sein. Erst ab dem Achtzellstadium ähneln sich die Zellklumpen einander plötzlich, das Timing bleibt dagegen unreguliert. Und das ist offenbar auch gut so.
Das Team verfolgte bei einer Reihe von Mäuse-, Kaninchen- und Affenembryonen live unter dem Lichtmikroskop ganz genau, wie sich diese zeitlich und räumlich veränderten. Ergebnis: Anfangs erscheint die Anordnung der einzelnen Zellen sehr variabel. So sehen die Embryonen als Vierzeller zunächst ganz unterschiedlich aus und nehmen erst gegen Ende dieses Stadiums eine von 13 möglichen kompakten Formen an. Ab dem Achtzellstadium gruppieren sich die Zellen nochmals so um, dass sie nun alle in derselben, energetisch gesehen stabilsten Form aneinanderkleben.
Vom Timing her herrscht in der frühesten Embryonalentwicklung ebenfalls Chaos. Die ersten Zellteilungszyklen dauern nicht nur je nach Embryo unterschiedlich lange, sondern verlaufen auch innerhalb des Zellaggregats nicht synchron. Bei der vierten Zellteilung etwa verdoppeln sich die acht vorliegenden Zellen; manche davon sind damit aber früher dran, andere später – normalerweise. Durch Chemikaliengabe gelang es dem Team, bei einigen Embryos die Teilung aller Zellen zu synchronisieren. Aber das hatte Nachteile: Die resultierenden 16-Zellen-Haufen hatten nun nicht mehr die optimale kompakte Form, was zu weniger innenliegenden Zellen und zu mehr außenliegenden führt. Das wiederum ist problematisch, weil die Lage der Zellen entscheidet, welches Gewebe aus ihnen hervorgeht. Anders bei den Kontrollembryonen, die zwar auch chemisch behandelt wurden, aber nicht gezielt auf einen Gleichschritt hin.
»Eine unserer Hypothesen ist, dass Rauschen und Variabilität nicht immer etwas Schlechtes sind, gegen das Embryonen einen Puffer brauchen, sondern etwas, was ihre Robustheit sogar fördern kann«, erklärt einer der Autoren, Edouard Hannezo, gegenüber unserer Redaktion. Die Untersuchung liefert auch neue Erkenntnisse dazu, was in der frühen Embryonalentwicklung noch normal ist und was nicht. »Wir finden Korrelationen zwischen dem physischen Aspekt eines Embryos und der korrekten Zuweisung des Zellschicksals«, so Hannezo. Das könnte künftig etwa die Auswahl der einzupflanzenden Embryonen bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) beeinflussen, die zum Teil schon im Vierzellstadium erfolgt.
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