Klimapolitik: Kohlendioxid-Schulden als Technologie-Entwicklungsturbo
Im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 haben fast 200 Staaten das Ziel festgesetzt, die globale Erwärmung auf 2 oder besser 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu beschränken. Weder die eine noch die andere Vorgabe ist allein durch die Senkung der CO2-Emissionen zu erreichen – zusätzlich muss Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernt werden.
Ein internationales Team um den Klimaökonomen Johannes Bednar vom International Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg (Österreich) hat untersucht, welche politischen Mechanismen die Entwicklung und Umsetzung der dafür notwendigen Technologien unterstützen. In der Fachzeitschrift »Nature« schlägt es ein spezielles Emissionshandelssystem vor: Abhängig von der Grenze für die globale Erwärmung werden Genehmigungen zur Emission von Treibhausgasen erteilt. Überschreitet ein Unternehmen sein Kontingent, so verpflichtet es sich, die zusätzlich ausgestoßene Menge später wieder zu beseitigen. Für die zwischenzeitliche »Lagerung« des Kohlenstoffdioxids in der Atmosphäre sollen die Emittenten nach Ansicht der Forschungsgruppe bezahlen. Mit dieser Maßnahme sinken nach ihren Modellierungen zum einen die CO2-Emissionen früher, zum anderen kommen Technologien zum Abbau des Klimagases schneller zum Einsatz (siehe »Finanzielle Stellschraube«).
Schuldenabbau? Später vielleicht …
Jeder vereinbarten Begrenzung der künftigen globalen Erwärmung lässt sich, wenn auch mit einer gewissen Unsicherheit, ein CO2-Budget zuordnen. Der gesamte seit der vorindustriellen Zeit zusammengenommene Kohlenstoffdioxidausstoß darf diesen Wert nicht übertreffen. Wird das Budget gesprengt, wie Fachleute bei den Zielen des Pariser Abkommens erwarten, müssen die überschüssigen Emissionen wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Das darf nicht zu spät geschehen, da sonst das Klimaziel verfehlt wird; ein gewisser Spielraum besteht aber. Doch wer ist für die Einführung der CO2-Abscheidungstechnologien verantwortlich, wer bezahlt dafür, und welches ist der geeignete Zeitpunkt, um damit zu beginnen?
Einige Technologien zum Abbau des Klimagases entstehen derzeit, andere werden künftig erwartet. Fachleute gehen allerdings davon aus, dass sie erst spät in diesem Jahrhundert eingeführt werden – und zwar aus zwei Gründen: Zum einen werden die Lösungen, die sich durchsetzen, mit der Zeit günstiger, wenn sie weiter entwickelt und großflächig im Einsatz sind. Zum anderen ist es billiger, eine bestimmte Summe Geld in Zukunft auszugeben als denselben Betrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt (temporal discounting). Dadurch verschiebt sich jedoch die Verantwortung, den Klimawandel einzudämmen, auf künftige Generationen. Die Wissenschaftler um Bednar haben daher untersucht, welche Auswirkungen es hat, wenn die Verantwortlichen für die überschüssigen Emissionen (solche, die über das CO2-Budget hinausgehen) dazu verpflichtet werden, die Technik für deren Entsorgung später auch zu implementieren: wenn sie also CO2-Schulden aufnehmen.
Der Zins macht es für Unternehmen weniger attraktiv, die Beseitigung des Kohlenstoffdioxids aufzuschieben
Es birgt natürlich gewisse Risiken, wenn man sich darauf verlässt, dass die heutigen Emittenten des Klimagases künftig für dessen Beseitigung aufkommen. Unternehmen können beispielsweise zahlungsunfähig werden oder Regierungen durch geschickte Lobbyarbeit dazu bringen, ihnen ihre Schulden zu erlassen; außerdem muss eventuell mehr Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernt werden, als wir derzeit annehmen. Bednar und seine Kollegen schlagen daher vor, die CO2-Schulden zu verzinsen – ähnlich, wie man Zinsen auf einen Kredit bei der Bank zahlt. So sind die Emittenten nicht nur verpflichtet, das Klimagas zu entfernen, sondern bezahlen auch dafür, es bis zu diesem Zeitpunkt in der Atmosphäre zwischenzulagern.
Solch ein Zins macht es für die Unternehmen finanziell weniger attraktiv, die Beseitigung des Kohlenstoffdioxids aufzuschieben. Nach den Modellierungen sinken die Emissionen dank diesem Instrument schneller, und Technologien für ihre Entfernung kommen früher zum Einsatz.
Die Autoren schlagen vor, die derzeitigen Emissionshandelssysteme (ETS, emissions-trading schemes) um Verpflichtungen zur Entfernung des Treibhausgases zu erweitern (CROs, carbon-removal obligations). Auf diese CO2-Schulden fallen Zinsen an, genau wie im Finanzwesen. Außerdem sollen die Emissionsgenehmigungen so gedeckelt werden, dass sie mit dem jeweils vorhandenen Kohlenstoffdioxidbudget vereinbar sind. Die Änderungen machen die Systeme flexibler, und Probleme wie etwa »gestrandete Vermögenswerte« lassen sich besser vermeiden, das heißt Situationen, in denen wertvolle emissionsproduzierende Anlagen früher abgeschaltet werden müssen als sonst notwendig. Um die Risiken zu überwachen und sicherzustellen, dass die Verpflichtungen eingehalten werden, wären allerdings komplizierte Verwaltungs- und Regulierungssysteme nötig, an denen Geschäfts- und Zentralbanken mitwirken.
Wie genau ein ETS mit CROs in der Praxis funktionieren würde, ist noch nicht klar. Die übergeordnete Botschaft der Studie ist jedoch, dass Technologien zur CO2-Reduktion früher ihren Betrieb aufnehmen und die Dekarbonisierung schneller erfolgt, wenn sie mit einem generationengerechten Ansatz eingeführt werden. Das ist ganz unabhängig davon, wie das System umgesetzt wird.
Investitionsanreize gesucht
Alternativ ließe sich das Verursacherprinzip beispielsweise mittels eines staatlichen, durch CO2-Steuern unterstützten Fonds für die Kohlenstoffdioxidbeseitigung einführen. Auch hier bestünden Risiken, etwa weil sich Verschmutzungsbudgets nicht genau beziffern lassen oder weil Mittel für kurzfristige politische Zwecke umgewidmet werden könnten. Daher wäre es auch in dem Szenario gerechtfertigt, Zinsen auf künftige Verpflichtungen zur Entfernung des Klimagases zu erheben, und ebenso wie beim beschriebenen Modell würden die dafür benötigten Technologien schneller eingeführt.
Eine weitere Voraussetzung für deren umfassenden und frühzeitigen Einsatz ist das Vertrauen darauf, dass es in den nächsten Jahrzehnten einen entsprechenden Massenmarkt geben wird. Denn nur mit solch einer Überzeugung werden Unternehmen überhaupt in die Technologien investieren und damit deren großindustrielle Herstellung und großflächigen Einsatz ermöglichen. Und das ist wiederum notwendig, um die Kosten zu senken und eine breitere Akzeptanz zu fördern.
Hier lassen sich Lehren aus der Branche der erneuerbaren Energien ziehen: Der Preis für Solarzellen beispielsweise ist in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 80 Prozent gesunken, hauptsächlich, weil die Produktionsanlagen stark ausgebaut wurden. Hätte genügend Vertrauen in die Größe des Markts bestanden, hätten die beteiligten Unternehmen schon mindestens ein Jahrzehnt früher ihre Produktion hochskalieren und die Preise senken können. Die Kapazitäten zur Solarenergieerzeugung wären bereits dann massiv gestiegen. Bei den Technologien zur Rückholung von Kohlenstoffdioxid besteht gleichfalls die Gefahr, dass die politischen Maßnahmen, die ihnen einen Markt sichern könnten, der technischen Entwicklung hintzerherhinken und dadurch Investitionen verzögern.
Das von der internationalen Forschergruppe vorgeschlagene System schafft solch einen Markt für CO2-Abscheidungstechnologien, weil es Organisationen mit CROs einen Anreiz bietet, in ebendiese zu investieren. Seine Komplexität stellt jedoch eine Hürde dar. Wissenschaftler, politische Entscheidungsträger und die Finanzindustrie sollten daher nun den vorgestellten Vorschlag erörtern – und prüfen, wie sich alternativ eine begründete Erwartung schaffen lässt, dass bald ein Markt für die Entsorgung von Kohlenstoffdioxid entstehen wird. Daneben gilt es eine Politik umzusetzen, welche die Verursacher für die Überschreitung ihres Treibhausgasbudgets zur Kasse bittet. Die wichtigste politische Botschaft von Bednar und seinen Kollegen ist jedoch: Nur weil wir auf künftige Technologien hoffen, dürfen wir bei der Verminderung der Treibhausgase heute nicht trödeln.
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