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Emodiversity: Warum es besser ist, abwechslungsreich zu fühlen

Ob Freude, Trauer, Stolz, Gelassenheit oder Enthusiasmus – wer abwechslungsreicher fühlt, lebt womöglich gesünder. Das zeigt die Forschung zur »Emodiversity«.
Emotionale Vielfalt ist gesund!

»Ach Mensch, wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Wie geht es dir?«
»Gut, und dir?«
»Mir auch!«

Wenn wir im Alltag über Gefühle reden, geht es oft recht eindimensional zu. Gut, schlecht, geht so – dazwischen gibt es vor allem in oberflächlichen Gesprächen meist nicht allzu viel. Dabei könnte es sich von Zeit zu Zeit durchaus lohnen, etwas genauer in sich hineinzuhorchen: Sind Sie heute schon stolz auf eine Leistung gewesen, die Sie vollbracht haben? Haben Sie sich vor Lachen geschüttelt und im nächsten Moment vor Begeisterung kaum halten können? Wer diese Fragen bejahen kann, führt unter Umständen nicht nur das aufregendere Leben: Er ist vielleicht auch besser vor manchen Erkrankungen gefeit als jemand, der ein weniger abwechslungsreiches Gefühlsleben hat – zumindest, wenn man einem neuen Konzept aus der Emotionsforschung glauben darf.

Dass positive Emotionen gut für unsere Gesundheit sind, wissen Forscher schon lange. Denn Psyche und Immunsystem sind eng miteinander verknüpft. So lassen gute Gefühle etwa unseren Blutdruck und unsere Herzfrequenz sinken und stärken gleichzeitig die Abwehrkräfte. Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung profitieren stärker von Impfungen, und eine gute Stimmung kann im Zweifelsfall sogar vor einer Erkältung schützen, wie Wissenschaftler um Sheldon Cohen an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh 2006 entdeckten. Alles in allem werden Frohnaturen seltener krank, leben länger und sind besser gegen Schicksalsschläge gewappnet.

Einige neuere Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass es nicht nur auf das Vorhandensein von guten Gefühlen ankommen könnte – oder darauf, wie intensiv wir diese empfinden. Auch die Vielfalt unserer Gefühlswelt scheint mit unserer körperlichen und seelischen Fitness in Verbindung zu stehen. In natürlichen Ökosystemen spielt Vielfalt eine entscheidende Rolle: Ohne ein gewisses Maß an unterschiedlichen Arten – und einen gut durchmischten Genpool – brechen Lebensgemeinschaften in freier Wildbahn oftmals schnell zusammen. Was wäre also, wenn unser emotionales Ökosystem ebenfalls eine Fülle von unterschiedlichen Gefühlen benötigen würde, um im Gleichgewicht zu bleiben? In Anlehnung an den Begriff der Biodiversität haben Forscher deshalb den Begriff der »emotionalen Diversität« geschaffen – auf Englisch »emodiversity«.

Abwechslung im emotionalen Ökosystem

Personen, die sich ähnlich oft glücklich, enthusiastisch, stolz, gelassen, belustigt, traurig, schuldig, nervös und wütend fühlen, attestieren Wissenschaftler dabei zum Beispiel eine höhere emotionale Diversität als jenen, deren Gefühlsleben überwiegend von einigen wenigen Emotionen wie Freude, Stolz und Traurigkeit bestimmt wird (siehe auch Grafik »Die Mischung macht's!«). Dass ein derart abwechslungsreiches Gefühlsleben mit gesundheitlichen Vorteilen einhergeht, zeigt etwa eine Arbeit des Psychologen Anthony Ong von der Cornell University aus dem Jahr 2017. Er bat gemeinsam mit seinen Kollegen 175 Versuchspersonen, 30 Tage lang Buch über ihre Emotionen zu führen. Dabei sollten die Teilnehmer jeden Abend angeben, ob, und wenn ja, wie intensiv sie 16 positive und 16 negative Emotionen im Tagesverlauf empfunden hatten. Sechs Monate später nahmen die Wissenschaftler von jedem Probanden eine Blutprobe, in der sie nach verschiedenen Entzündungsmarkern fahndeten. Dabei entdeckten sie: Je mehr unterschiedliche positive Gefühle die Teilnehmer von Tag zu Tag erlebt hatten, desto niedriger war später die Konzentration an entzündungsfördernden Stoffen in ihrem Blut – und zwar ganz unabhängig davon, wie stark die guten Gefühle der Probanden insgesamt gewesen waren.

Hohe Entzündungswerte stehen mit einer Reihe chronischer Erkrankungen wie Typ-II-Diabetes und Osteoporose in Zusammenhang und gelten als Risikofaktor für ein verfrühtes Ableben. Neuere Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit verschiedenen psychischen Leiden ebenfalls größere Mengen an Entzündungsmarkern aufweisen. Ein vielfältiges positives Gefühlsleben könnte sich darum vielleicht günstiger auf unsere Gesundheit auswirken als ein einseitiges, sagt Ong.

Die Mischung macht's! | Je mehr unterschiedliche Emotionen eine Person empfindet – und je gleichmäßiger diese die Gemütswelt bestimmen –, desto höher ist ihre emotionale Diversität.

Bei Menschen mit einer Depression scheinen positive Emotionen hingegen nicht nur schwächer ausgeprägt, sondern auch weniger divers zu sein. Darauf deutet eine Studie hin, für die ein Team um Aliza Werner-Seidler an der University of Cambridge 2018 eine kleine Stichprobe depressiver Patienten untersuchte. Die guten Gefühle der Probanden waren weniger abwechslungsreich als die einer Kontrollgruppe aus gesunden Personen. Wer eine besonders niedrige Gefühlsvielfalt aufwies, klagte zudem im Schnitt über mehr und länger anhaltende depressive Episoden.

Sogar negative Emotionen scheinen ihre Berechtigung im Wechselbad der Gefühle zu haben, wie Wissenschaftler um den Psychologen Jordi Quoidbach von der ESADE Business School in Barcelona herausfanden. Quoidbach und seine Kollegen befragten mehr als 35 000 überwiegend französischstämmige Versuchspersonen. Dabei entdeckten sie, dass die emotionale Diversität auch dann noch mit einer besseren Gesundheit in Verbindung stand, wenn schlechte Gefühle mitmischten: Je bunter das Gemütsleben der Teilnehmer war, desto weniger zeigten sie Anzeichen einer Depression – selbst dann, wenn sie unter anderem von Trauer, Angst oder Scham berichteten. Sogar ein großes Spektrum an negativen Emotionen ging mit einer besseren psychischen Verfassung einher als ein eintöniges negatives Gefühlsleben.

Hohe Emodiversity – wenige Arztbesuche

Eine zweite Untersuchung mit rund 1300 Probanden aus Belgien wies in die gleiche Richtung: Personen, die von einem breiten Mix aus positiven und negativen Emotionen berichteten, hatten in den elf Jahren zuvor seltener einen Arzt aufgesucht, waren seltener ins Krankenhaus eingewiesen worden und nahmen weniger Medikamente als Teilnehmer mit einer niedrigen Emodiversity, wie Krankenversicherungsdaten offenbarten. Die Stärke des Effekts war dabei beeindruckend: Die Vielfalt der Gefühlwelt stand zum Teil sogar stärker mit der Gesundheit der Probanden in Zusammenhang als die Intensität der empfundenen Gefühle, die Ernährungsweise oder das Sportpensum der Teilnehmer.

Wie lässt sich das erklären? Schon in der Vergangenheit fanden Forscher Hinweise darauf, dass Menschen, die ihre eigenen Gefühle nuanciert wahrnehmen und beschreiben können, eher vor einer Reihe psychischer Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen gefeit sind. Vermutlich lassen sich aus der Feststellung »Mir geht es schlecht« kaum konkrete Handlungsoptionen ableiten. Wer aber erkennt, dass hinter dem schlechten Gefühl eigentlich Traurigkeit, Wut oder Angst steckt, der weiß eher, was er tun kann, um seine Situation zu verbessern, glauben Experten.

Emodiversity schützt uns davor, dass unser emotionales Ökosystem zu sehr von einzelnen Gemütsregungen dominiert wird

Zudem könnte ein diverses Gefühlsleben uns davor schützen, dass unser emotionales Ökosystem zu sehr von einzelnen Gemütsregungen dominiert wird, sagen Quoidbach und seine Kollegen. Wer zum Beispiel immer nur traurig sei, laufe schnell Gefahr, eine Depression zu entwickeln. Kämen jedoch andere Emotionen wie Wut hinzu, könne das eine Person davor bewahren, sich allzu sehr vor ihrer Umwelt zurückzuziehen, argumentieren die Forscher.

Weder Quoidbachs noch Ongs Studie kann bislang allerdings belegen, dass eine bunte Gefühlswelt tatsächlich zu einer besseren Gesundheit führt. Vielleicht ist genau das Gegenteil der Fall, und gesunde Menschen fühlen schlicht vielfältiger. In diesem Fall könnte man den Emodiversity-Wert, den eine Person erzielt, vielmehr als eine Art Gradmesser für unsere körperliche und seelische Verfassung betrachten.

Geteilte Meinungen

Unter Psychologen stoßen die Ergebnisse der beiden Forscherteams deshalb auf geteilte Meinungen. Kritisch äußerten sich in diesem Zusammenhang 2017 Nick Brown und James Coyne von der Universität Groningen in den Niederlanden. Sie nahmen Quoidbachs Studie noch einmal genauer unter die Lupe und kamen in einer Veröffentlichung im Fachmagazin »Journal of Experimental Psychology General« zu dem Schluss, die Ergebnisse der Untersuchung seien kaum mehr als statistische Artefakte. Dabei bemängeln sie unter anderem, dass Quoidbach sich für seine Berechnungen eine Messgröße aus der Biometrie geliehen hat – den so genannten Shannon-Index, mit dem Biologen auch die Biodiversität in Ökosystemen beschreiben. Ob sich die Formel auf die von den Autoren vorgeschlagene Art und Weise in die Psychologie übertragen lasse, sei höchst fragwürdig.

Diesen Kritikpunkt teilt auch Luise Prüßner. Sie forscht in der Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg und beschäftigt sich mit Emotionsregulation. Ihr besonderes Augenmerk liegt dabei auf Menschen, die an Erkrankungen wie einer Depression oder einer Angststörung leiden. Wie klein oder wie groß die Gefühlsvielfalt von jemandem ausfalle, hänge auch damit zusammen, wie viel der Betreffende mit den jeweiligen für die Studien ausgewählten Emotionsbegriffen anfangen könne, sagt die Expertin. Zudem bestünde die Gefahr, dass in der Rückschau viele Emotionen unter den Tisch fallen, wenn man Versuchspersonen wie in der Studie von Quoidbach dazu anhält, von ihrer allgemeinen Gefühlsvielfalt zu berichten. Das alles mache es schwer, emotionale Diversität zuverlässig zu messen.

Dennoch findet sie die Untersuchung des Konzepts der Emodiversity hilfreich für das Verständnis menschlicher Emotionen. Unsere Gemütsregungen, so erklärt Prüßner, erfüllen aller Voraussicht nach vor allem einen adaptiven Zweck: Sie helfen uns dabei, die Herausforderungen unseres Alltags zu meistern, indem sie für unterschiedliche Situationen das passende Verhaltensrepertoire bereitstellen. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf Warnsignale, die wir erkennen müssen, oder Missstände, die es zu beheben gilt. Dass ein vielfältiges und abwechslungsreiches Gefühlsleben vorteilhafter ist als ein eintöniges, macht unter diesen Gesichtspunkten also durchaus Sinn – allerdings nur dann, wenn die Emotionen tatsächlich zum jeweiligen Kontext passen, schränkt Prüßner ein. Ist das nicht der Fall, könnten stark schwankende Gemütszustände den Umgang mit verschiedenen Situationen auch erschweren. Ein Beispiel dafür ist etwa die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, die durch häufig wechselnde und unvorhersehbare Affektzustände charakterisiert ist. Die Psychologin führt deshalb gemeinsam mit ihren Kollegen gerade eine Studie durch, in der gesunde Probandinnen und Probanden sowie Personen mit psychischen Beschwerden mehrmals pro Tag mit Hilfe einer App unmittelbar zu ihren aktuellen Gefühlen und den jeweiligen Kontexten befragt werden. So wollen die Forscher herausfinden, in welchen Alltagssituationen welche Emotionen hilfreich sind.

Die guten Seiten der schlechten Gefühle

Dass schlechte Gefühle wie Traurigkeit, Wut und Neid durchaus ebenso ihre positiven Seiten haben, zeigen inzwischen zahlreiche Untersuchungen. »Jede negative Emotion kann in bestimmten Kontexten hilfreich beziehungsweise adaptiv sein«, sagt Luise Prüßner. Das prominenteste Beispiel dafür ist wahrscheinlich die Angst. Ergreift sie von uns Besitz, nimmt sie augenblicklich unsere gesamte Aufmerksamkeit in Beschlag. Das Herz schlägt schneller, die Muskeln spannen sich an, die Pupillen weiten sich. Unser Körper macht sich blitzschnell für Kampf oder Flucht bereit – eine Reaktion, die uns im Angesicht echter Gefahr das Leben retten kann. Problematisch werden Gefühle wie Angst in aller Regel dann, wenn sie sich verselbstständigen und uns zum Beispiel in ganz alltäglichen Situationen plötzlich Panikattacken ereilen, die uns die Luft abschnüren.

Bisweilen wirken sich negative Emotionen sogar positiv auf unser Gedächtnis oder unsere Kreativität aus. So scheint schlechte Laune zum Beispiel unsere Aufmerksamkeit zu schärfen, wie Forscher um Joseph Forgas an der University of New South Wales in Sydney 2009 entdeckten. Die Wissenschaftler fragten 73 Kunden beim Verlassen eines Schreibwarenladens, ob sie zehn Gegenstände bemerkt hätten, die Forgas und Kollegen zuvor unauffällig an der Kasse platziert hatten. Probanden, die schlecht gelaunt waren, konnten dabei mehr Objekte aufzählen als Versuchspersonen mit guter Stimmung. Auch für falsche Erinnerungen sind übellaunige Menschen weniger anfällig. Stattdessen arbeiten sie beharrlicher an Problemen und suchen, wenn etwas schiefläuft, die Schuld seltener bei anderen.

»Jede negative Emotion kann in bestimmten Kontexten hilfreich sein«
Luise Prüßner, Psychologin

Die Psychologinnen June Gruber von der University of Colorado in Boulder und Jessica Borelli von der University of California in Irvine plädieren deshalb dafür, eine gewisse Gefühlsvielfalt schon bei Kindern zu fördern. Das gelte vor allem für Jungen, die tendenziell in einer engeren Gefühlswelt aufwüchsen als Mädchen. So zeigen Untersuchungen etwa, dass Mütter mit ihren Töchtern über eine Fülle von Emotionen reden. Bei Söhnen drehen sich solche Eltern-Kind-Gespräche hingegen oft hauptsächlich um Ärger oder Wut. Das könnte dazu führen, dass Männer im Erwachsenenalter ihre Gefühle stärker unterdrücken als Frauen, mahnen Gruber und Borelli – womöglich mit gesundheitlichen Konsequenzen.

Auch Quoidbach beobachtete in seiner Untersuchung, dass Männer im Schnitt eine etwas geringere emotionale Diversität aufwiesen als Frauen. Und im Alter scheint die Gefühlsvielfalt ebenfalls abzunehmen: So berichteten ältere Menschen etwa von einem weniger breiten Spektrum an Emotionen wie Freude, Trauer, Angst, Begeisterung oder Stolz als jüngere. Wie sich diese Trends erklären lassen oder wie man ihnen entgegenwirken kann, bleibt bislang allerdings noch im Dunkeln, wie vieles in der Emodiversity-Forschung. Das geben auch Quoidbach und seine Kollegen unumwunden zu. Auf eines weisen ihre Ergebnisse jedoch in aller Deutlichkeit hin: Der Einfluss von Gefühlen auf unsere Gesundheit ist komplexer, als Wissenschaftler lange annahmen. Gute Gefühle sind gut, schlechte Gefühle sind schlecht – so einfach scheint es eben doch nicht zu sein!

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