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Evolution: Ende der Dinosaurier war Anfang des Weins

Die Katastrophe am Ende der Kreidezeit führte zu einem dramatischen Evolutionsschub bei den Reben. Die überraschendste Konsequenz: Die Urheimat unseres Weins ist Mittelamerika.
Trauben am Weinstock
Dinosaurier wären beim Weinanbau gleich auf mehrere Arten hinderlich. Zum Beispiel würde eine durchziehende Triceratops-Herde das Terroir negativ beeinflussen.

Wenn die Dinosaurier nicht ausgestorben wären, könnten wir heute wahrscheinlich keinen Wein trinken. Natürlich einerseits, weil es uns gar nicht gäbe – aber auch die Weinreben verdanken ihren evolutionären Aufstieg jener Katastrophe, die die Erde vor 66 Millionen Jahren komplett umgestaltete. Das jedenfalls schließt ein Team um Fabiany Herrera vom Field Museum of Natural History in Chicago aus bis zu 60 Millionen Jahre alten Traubenkernen aus Mittel- und Südamerika. Wie die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift »Nature Plants« berichtet, zeigen die Funde eine rasche und weite Verbreitung der Weinahnen Vitaceae bereits kurz nach dem Ende der Dinosaurier. Das Ende der großen Fleischfresser habe die Wälder günstiger für solche rankenden Pflanzen werden lassen und so ihre Verbreitung gefördert, schreiben die Fachleute.

Weinartige Pflanzen haben den großen Vorteil, dass sie sehr charakteristische, harte Samen produzieren, die man noch nach Millionen Jahren in Gesteinen nachweisen kann. Deswegen lässt sich die Evolution dieser Pflanzengruppe recht gut durch die Erdgeschichte hindurch verfolgen. Der älteste bekannteste Traubenkern stammt aus Indien und ist 66 Millionen Jahre alt – die Pflanze wuchs dort kurz vor dem Ende der Dinosaurier. Die Arbeitsgruppe untersuchte nun insgesamt neun Traubenkerne von vier Fundstellen im tropischen Mittel- und Südamerika. Aus diesen leitete sie nicht nur die überraschend bewegte Geschichte der Urweinreben in der Region ab, sondern berechnete mit evolutionären Modellen auch die vermutlichen Ursprungsregionen der verschiedenen Weinfamilien.

Demnach waren die Tropen Mittel- und Südamerikas ein echter Hotspot der Evolution von Wein – ein unerwartetes Resultat, denn heute findet man nur rund zehn Prozent aller Arten in dieser Region. Insbesondere stammen die direkten Verwandten der modernen Weinrebe Vitis vinifera nicht etwa aus Europa – die Gattung Vitis habe ihre Urheimat vielmehr in Mittelamerika, schreibt das Team. Ursprünglich stammten die Vitaceae laut der Analyse aber aus den Tropen Asiens, jener Region, in der auch der älteste Traubenkern gefunden wurde. Die Befunde der Arbeitsgruppe legen nahe, dass sich die Rankenpflanzen nach dem Ende der Dinosaurier schnell nach Mittel- und Südamerika ausbreiteten und dort schnell evolvierten.

Diesem drastischen Schub von Verbreitung und Evolution verdankten die Weinverwandten den Veränderungen im Ökosystem, vermuten die Fachleute. Die Katastrophe am Ende der Kreidezeit hatte Großtiere, wie eben viele Dinosaurier, am stärksten dezimiert, weil sie am meisten Futter brauchen. Diese Arten hatten die Wälder bisher licht und offen gehalten. Mit ihrem Verschwinden wurden die Wälder dichter und dunkler und boten beste Bedingungen für Rankenpflanzen, wie eben die Weinartigen. Gleichzeitig vermehrten sich Früchte fressende Vögel und Säugetiere rapide, die die Samen der Weinpflanzen verbreiteten.

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  • Quellen
Nature Plants 10.1038/s41477–024–01717–9, 2024

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