Perserkriege : Die Geburt des Überlegenheitsgefühls
Zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. stand das Ende der griechischen Welt bevor. Die Perserkönige, die bereits dutzende Völkerschaften erobert hatten, machten sich daran, endgültig alle griechischen Stadtstaaten einzunehmen. Bald sollten das aristokratische Sparta und das demokratische Athen, aber auch Poleis wie Syrakus auf Sizilien und Korinth auf dem Peloponnes den Großkönigen Tribut leisten. Doch es kam anders. Ein Bündnis, wie es die Hellenen nie zuvor geschlossen haben, behielt bei der letzten Schlacht 479 v. Chr. die Oberhand. Die Perser unter König Xerxes I. (519–465 v. Chr.) unternahmen danach keinen weiteren Angriff auf Griechenland. Und die Hellenen? Sie rätselten, wie sie eigentlich siegen konnten, und kamen zu dem Schluss: Es habe an ihrer Kultur gelegen. Ihre Werte und Überzeugungen seien offenbar allem Fremden überlegen.
Als die Perser im Jahr 480 v. Chr. den Hellespont, die heutigen Dardanellen, überquerten, erschien es vielen Städten angesichts der Truppenmacht des Gegners zwecklos, Widerstand zu leisten. Zwar hatten die Invasoren schon zuvor mit einer kleinen Streitmacht den Fuß auf die griechische Halbinsel gesetzt – damals schlugen sie die Athener 490 v. Chr. bei Marathon –, doch das griechische Kleinasien war bereits in persischer Hand. Und das Heer, mit dem Xerxes nun auftauchte, war gewaltig.
Mehrere nordgriechische Städte ergaben sich daraufhin den heranmarschierenden Persern. Angesichts der Bedrohung kontaktierten andere Poleis das Orakel von Delphi, das sich aus demselben Grund mehr um die eigene Zukunft sorgte. Die Stadt Argos solle neutral bleiben, riet es. Auch Kreta solle sich lieber heraushalten. Vermutlich versuchte es zu verhindern, dass sich in Griechenland vermeintlich sinnloser Widerstand formierte. Doch die Athener wollten sich damit nicht zufriedengeben. Als das Orakel auch ihnen den Rat erteilte, den Kampf zu meiden, verlangten sie eine zweite, bessere Weissagung. Die bekamen sie: Athen solle auf seine hölzernen Wälle vertrauen. Wie so oft bei Orakelsprüchen galt es, die Worte auszudeuten. Hölzerne Wälle – offenbar sollte man den Persern mit Schiffen entgegentreten.
Das griechische Bündnis zeigte Erfolg
Zwischen der Insel Salamis und der attischen Küste bescherte das von Athen angeführte Bündnis dann den Persern eine krachende Niederlage. Die Athener hatten gut daran getan, alles auf ihre Flotte zu setzen. Die Verbände der Perser fielen auseinander. Gegen die gut koordinierten Griechen waren sie machtlos. Xerxes kehrte dem Krieg daraufhin den Rücken und übergab den Oberbefehl der Landstreitkräfte an seinen Feldherrn Mardonios. Im Sommer 479 v. Chr., vor genau 2500 Jahren, zog dieser bei Platää in Mittelgriechenland mit den persischen Truppen gegen das griechische Landheer, das der Spartanerkönig Pausanias anführte. Wie schon bei Salamis waren die Perser zahlenmäßig überlegen – und wieder wurden sie geschlagen. Obwohl die griechische Allianz alles andere als souverän agierte. Die Spartaner versuchten, den Kampf zu meiden, und die Kommandeure um Pausanias zeichneten sich durch Unentschlossenheit aus. Doch als es schließlich zur größten Schlacht kam, die die griechische Welt bis dahin gesehen hatte, obsiegte die Disziplin der Hopliten aus Sparta, Tegea und Athen. 759 von ihnen fielen, 3000 persische Krieger gerieten in Gefangenschaft.
Der Perserkrieg war vorüber. Griechenland blieb frei.
Aus einer vormals verzweifelten Hoffnung war Realität geworden. Die Griechen konnten es selbst kaum glauben. Was war geschehen? Wie hatten sie es geschafft, die unbesiegbaren Perser zu bezwingen? Wunder genug war es schon, dass sie erfolgreich ein Bündnis geschmiedet hatten – eine Allianz, die alte Erzfeinde wie Athen und Ägina auf dem Schlachtfeld als Partner zusammenführte. Die Not hatte ihnen vor Augen geführt, dass sie mehr einte, als die zersplitterten Stadtstaaten bisher glaubten. So erklärt es zumindest der antike Geschichtsschreiber Herodot (490/480–430/420 v. Chr.). Er überliefert, die Athener hätten die »Bluts- und Sprachgemeinschaft« der Griechen beschworen, die »Gemeinsamkeit der Heiligtümer, Opferfeste und Lebensweise«. Auch wenn sich die Stadtstaaten regelmäßig und oft befehdeten, so seien ihre Bewohner doch alle von einem Schlag, so die Aussage.
Es waren die Perser, die mit ihrem Feldzug das gemeinsame Vorgehen der Griechen erzwungen haben. Für ihre militärische Allianz suchten die Hellenen daher gemeinsame Qualitäten, mit denen sie sich von den orientalischen Invasoren absetzen konnten. Eine lautete beispielsweise: Tugendhaftigkeit. So lässt Herodot den Perser Tigranes, als er von den Olympischen Spielen erfährt, bei denen die Sieger einzig Ruhm und einen Olivenkranz heimführten, verblüfft und erschrocken ausrufen: »Weh, Mardonios! Du führst uns in einen Krieg gegen ein Volk, das nicht um Geldeswert ringt, sondern um den Tugendpreis?«
Eine neue Überzeugung reift heran: Panhellenismus
Herodot betont gleich zu Beginn seiner »Historien« den Gegensatz zwischen Griechen und Persern – und warum die Perser schon seit dem mythischen Fall Trojas einen Groll auf die Griechen hegen würden: »Von dieser Zeit an hätten die Perser stets, was hellenisch ist, als feindlich betrachtet. Denn sie sehen ganz Asien als ihr Vaterland und alle Barbarenvölker, die es bewohnen, als ihre Verwandten an. Europa aber und das Land der Hellenen gilt ihnen als fremdes Land.« Obwohl Herodot im Lauf seines Werks Gemeinsamkeiten zwischen Griechen und Persern herauskehrt, formt sich aus deren Andersartigkeit ein Feindbild, auf dem in seinen Augen der Widerstand der Griechen gründete. Dieses Feindbild ist es schließlich, das eine neue Überzeugung hervorbringt: Herodot spricht vom Panhellenismus, der griechischen Einheit angesichts der äußeren Bedrohung.
Der unverhoffte Sieg sorgte für einen grundsätzlichen Bewusstseinswandel bei den Griechen
Das war neu – eine gemeinsame politische Identität. Zu dieser Zeit war sie allerdings noch nicht an das Gefühl selbstverständlicher Überlegenheit gekoppelt. Herodot geht es mehr darum, einen scheinbar aussichtslosen Kampf und einen umso erstaunlicheren Triumph zu erklären. »Große und wunderbare Taten« billigt er beiden Seiten zu; und die persische Wesensart wird von Herodot trotz seines panhellenischen Anliegens keinesfalls abschätzig geschildert. Diese Ansicht hatte in Griechenland schon lange Bestand. Drei Jahrhunderte vor dem Geschichtsschreiber stellte Homer in seiner »Ilias« die Achäer, die als Orientalen aufgefassten Trojaner und alle übrigen Völker als in ihrem Ansehen einander ähnlich dar.
Die Perserkriege änderten das. Der unverhoffte Sieg sorgte für einen grundsätzlichen Bewusstseinswandel bei den Griechen. Noch zu Herodots Zeiten erklärten sich die Hellenen ihren Erfolg damit, dass sie in allen Belangen überlegen waren. In der Folge breiteten sich im 5. Jahrhundert v. Chr. Stereotype aus, die schnell die Wahrnehmung von der nichtgriechischen Welt bestimmten: Barbaren seien despotisch, grausam, treulos, verschlagen, intrigant, süchtig nach Luxus, verweichlicht und machthungrig. Die griechische Freiheit wurde einer barbarischen Sklavennatur gegenübergestellt, die griechische Männlichkeit der barbarischen Weiblichkeit.
Die gemeinsame Identität brachte ein Überlegenheitsgefühl hervor
Der Dramatiker Euripides (um 480–406 v. Chr.) lässt in seiner Tragödie »Iphigenie in Aulis« die Protagonistin ausrufen, Griechen müssten über Barbaren herrschen und nicht umgekehrt, denn Barbaren seien Sklaven, Griechen aber frei. Nicht anders äußert sich der berühmte Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) in seiner staatsphilosophischen Schrift »Politik«: Naturgemäß sei ein Nichtgrieche eher zur Sklaverei geeignet als ein Grieche, schreibt er dort. Im 4. Jahrhundert v. Chr. hat sich dieses Bild derart verfestigt, dass man sich einen Krieg gegen die Perser eigentlich nur noch als einzige große Sklavenjagd vorstellen konnte. Es gehörte zum guten Ton griechischer Intellektueller, den Barbaren jedwede Qualitäten und Errungenschaften abzusprechen. Der Redenschreiber Isokrates etwa, der Zeit seines Lebens versuchte, die Griechen zu einer Invasion des Perserreichs zu bewegen, war überzeugt davon, dass die Barbaren tugendlos seien – die meisten von ihnen wären besser zur Knechtschaft erzogen als die Sklaven der Griechen.
Als König Philipp von Makedonien schließlich über die hellenischen Poleis herrschte, wurde von ihm und seinem Sohn Alexander erwartet, dass sie das Perserreich überrennen und plündern würden. Umso größer war der Unmut in der griechischen Welt, als sich Alexander der Große (356–323 v. Chr.) nach seinem Sieg nicht darum scherte. Er wollte die Welt beherrschen, aber als König eines Vielvölkerstaats. Er integrierte den persischen Adel in sein Gefolge, stellte ihn auf eine Stufe mit Griechen und Makedonen.
Der Sieg Griechenlands fand in Herodot seinen ersten und lange Zeit einzigen Beobachter, der um Aufklärung bemüht war
Diese Politik, die ihm schon zu Lebzeiten viel Kritik einbrachte – selbst von seinen eigenen Soldaten –, starb mit dem makedonischen Feldherrn. Die Diadochen und Epigonen, also Alexanders Generäle und deren Nachfolger, die sein Reich untereinander aufgeteilt hatten, beendeten die Annäherung. Griechen sollten wieder über Barbaren stehen, auch wenn Letztere die Möglichkeit hatten, durch einen griechischen Lebensstil selbst griechische Privilegien zu erhalten. Rassismus in seiner heutigen Form bestimmte das Denken der Griechen nicht. Sie glaubten aber, dass ein Barbar nur durch die Annahme ihrer Kultur dazu berechtigt war, mit ihnen auf einer Stufe zu stehen.
Herodot, ein »Barbarenfreund«, so der Vorwurf
Der Geschichtsschreiber Plutarch (um 45–um 125), der die wichtigsten Biografien der Antike verfasst hat, machte Herodot später in seiner Schrift »Über Herodots Bösartigkeit« den Vorwurf, ein Barbarenfreund gewesen zu sein. Plutarch durchforstete das Werk seines Vorgängers nach Passagen, in denen Nichtgriechen besser dastünden als Griechen, empörte sich bitterlich darüber und zerlegte eine Textstelle nach der anderen.
Der Sieg Griechenlands fand in Herodot seinen ersten und lange Zeit einzigen Beobachter, der um Aufklärung bemüht war. Für alle anderen war die Sache klar: Griechisch zu sein, war der Maßstab. Und jene Hellenen, die nicht gegen die Perser gekämpft oder sie sogar unterstützt haben, standen schnell im Verdacht Barbarenfreunde und Feinde der griechischen Sache zu sein. Sie waren bemüht, ihre Rolle im Nachhinein zu übertünchen, die Ereignisse etwa in Monumenten im Gedächtnis der Griechen zu verändern. Auch die Makedonen standen in den Perserkriegen noch auf Seite der Invasoren. Ihren Ruf, halbe Barbaren zu sein, werden sie nie ganz los, obwohl sie es sind, die schließlich die Könige der hellenistischen Reiche stellen.
Für Perser, Ägypter, Skythen, Thraker, Juden und alle anderen »Fremdvölker« galt nun, dass sie sich entweder griechisch bilden und griechischen Grundsätzen folgend leben müssten – oder ihren Platz am unteren Ende der Hierarchie hinnehmen sollten.
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