Artenschutz: Ende des Gemetzels?
"Gong xi fa cai" – glückliches neues Jahr: Mit Böllern und Löwentänzen haben die Chinesen am 23. Januar ihre neues Jahr begrüßt, das ganz im Zeichen des Drachen steht. Mit einer Dauer von zwei Wochen ist das chinesische Neujahrsfest eine überaus ausgedehnte Feierei, in deren Mittelpunkt die Familie und opulente Dinnerparties und Bankette stehen. Für die Festmahle kann nicht genug auf den Tisch kommen, und das Beste ist gerade gut genug. Ein äußerst beliebtes Gericht dafür, das auch bei Hochzeiten unbedingt auf den Tisch gehört, ist die Haifischflossensuppe – sehr zum Leidwesen der Tiere, die millionenfach grausam ihr Leben für die vermeintliche Köstlichkeit lassen müssen.
Bei so manchem Neujahrsfest war in diesem Jahr die ökologisch höchst bedenkliche Brühe sprichwörtlich in aller Munde – hatte sich doch die jahrelange Kampagne "Say No To Shark's Fin" der Naturschutzorganisationen WWF zur Ächtung der vor allem von Chinesen als Delikatesse angesehenen Suppe ausgezahlt. Internationale Hotelketten und große Supermarktunternehmen haben die Haifischflossensuppe deshalb für immer geächtet – einige pünktlich zum chinesischen Neujahr, andere schon zum westlichen Silvester.
Dieser Etappensieg zum Schutz der Haiarten hat bei so manchen Familienessen für reichlich Diskussionsstoff gesorgt. Wei Tze erinnert sich: "Mein Vater war außer sich. Er sieht die Verbannung der Haifischflossensuppe als einen Anschlag westlicher Besserwisser auf eine uralte chinesische Tradition", erzählt der 38 Jahre alte Werbegrafiker aus Singapur. "Völlig entsetzt war mein Vater aber, als meine Frau und ich demonstrativ auf die Haifischflossensuppe verzichteten." Elaine Tan, Chefin des WWF Singapur, bestätigt den einsetzenden Bewusstseinswandel in Singapur: "Vor allem Jüngere sagen immer häufiger ‚Nein' zur Haifischflossensuppe."
Supermärkte und Hotels als Vorreiter
Auch in Hongkong wächst das Bewusstsein für Auswirkung des Konsums der Speise auf den Fortbestand der Haie. Gut 80 Prozent von Hongkongs Einwohnern gaben bei einer Umfrage der Meeresschutzorganisation Bloom Association an, den Verzicht auf Haifischflossensuppe akzeptieren zu können. Internationale Hotel- und Supermarktunternehmen haben aus dem Wertewandel die Konsequenzen gezogen. "Als Asiens ältestes Hotelunternehmen hoffen wir, dass unsere Entscheidung andere Unternehmen des Gastgewerbes zur Nachahmung inspiriert und dass unsere Branche dazu beiträgt, die Artenvielfalt unserer Ozeane zu bewahren", begründete die Luxushotelkette Peninsula aus Hongkong den Verzicht auf das Festessen. Die Hotelgruppe Shangri La geht bei ihrem Meeresschutz sogar noch einen Schritt weiter und hat außer der Haifischflossensuppe die in ihrem Bestand ebenfalls bedrohten Blauflossentunfische sowie chilenische Seebarsche von der Karte gestrichen.
Silvy Pun freut sich über den Erfolg für den Artenschutz. "Das ist zweifellos eine sehr positive Entwicklung für den Erhalt der Haie", sagt die Expertin vom WWF Hongkong. Die chinesische Metropole gilt zusammen mit dem Stadtstaat Singapur als Drehscheibe der lukrativen Haibranche. Über die beiden Städte, so der WWF, werde der größte Teil des Welthandels mit Haifischflossen abgewickelt. Die Hauptzulieferer kommen aus Asien, aber wegen der steigenden Nachfrage und der Überfischung asiatischer Gewässer inzwischen auch zu einem beträchtlichen Teil aus Europa, den arabischen Ländern und Mexiko.
73 Millionen Haie, so der WWF, müssen deshalb jährlich ihr Leben lassen – viele davon nur wegen ihrer Flossen. Immer mehr Haiarten gehören zu den bedrohten Arten: 1996 waren nur 15 Haiarten von Artenschützern als vom Aussterben bedroht gelistet, 2010 waren es laut der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature (IUCN) bereits 181. Tendenz steigend. Bei einigen Arten, wie den Hammerkopfhaien, hat der Bestand in den letzten 50 Jahren um bis zu 90 Prozent abgenommen.
Schlächterei auf hoher See
Und die "Gewinnung" von Haifischflossen ist ein brutales und blutiges Geschäft: Nicht selten werden den Haien bei lebendigem Leib die Flossen abgeschnitten und der Rest des Tieres wieder ins Wasser geworfen. Ohne Flossen bewegungsunfähig versinkt der Hai und ertrinkt jämmerlich. Der Effekt der Überfischung wird verschärft durch extrem langsame Reproduktionsraten der Haie. Anders als die meisten Fischarten wachsen Haie nur sehr langsam und erreichen teilweise erst mit 30 Jahren die Geschlechtsreife. Einige Arten bringen dann nur alle zwei Jahre wenige Junge in ihre maritime Welt.
Mitverantwortlich für dieses dramatische Wachstum auf der Roten Liste ist der steigende Wohlstand in China, in Hongkong und in Singapur: Immer mehr Menschen können sich zu Festen diese Speise leisten, die früher nur dem Kaiser von China und später den wenigen Reichen vorbehalten war. In den Handel kommen die Flossen getrocknet und gebleicht; für die berühmte Suppe wird die eigentlich geschmacklose, knorpelige Substanz in Hühnerbrühe anschließend solange gekocht, bis sie sich in ihre faserigen Bestandteile auflöst. Geschmack kommt an die Suppe eigentlich nur durch das mitgekochte Gemüse.
Trotzdem gilt sie den Chinesen als das Nonplusultra, einfach weil sie teuer und damit ein Statussymbol ist. Wer sich das fade Süppchen leisten kann, zeigt damit: Ich hab es geschafft! Wei Tze, Sprössling einer Mittelklassefamilie, sagt: "Meine Eltern haben immer schon Wochen vor dem Neujahrsfest vor Freunden betont, dass zum Festessen auch Haifischflossensuppe serviert wird."
Zudem schreiben die Chinesen den Flossen medizinische Eigenschaften zu: Sie sollen gut sein gegen Appetitlosigkeit, für die Steigerung der vitalen Energie, als Lieferant wertvoller Blutnährstoffe und Stärkung für Lunge, Nieren und Knochen. Richard Eu kann darüber nur den Kopf schütteln."Von Ärzten der traditionellen chinesischen Medizin werden Haifischflossen eigentlich nicht eingesetzt", sagt der CEO der Unternehmensgruppe Eu Yan Sang die seit 1879 Produkte der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) herstellt, vertreibt und sich eine eigene TCM-Forschungsabteilung leistet.
Haitourismus als Alternative
Die Verbannung der Flossen von den Menüs der Luxushotels und aus den Regalen der Supermärkte ist vielleicht noch nicht der große Wurf zum Schutz der Haie. In den vielen kleinen Restaurants von Hongkong und Singapur war zum Drachenjahr die Haifischflossensuppe weiterhin der große Renner. Elaine Tan vom WWF Singapur betont aber die "nicht zu unterschätzende Symbolkraft" des in Hongkongs und Singapurs Medien kontrovers diskutierten Vorpreschens der Nobelherbergen und Supermärkte: "Wir applaudieren Unternehmen wie (der Supermarktkette, Anm. d. Verf.) Cold Storage und der Peninsula Hotel Group für die Übernahme einer Führungsrolle zur Ächtung der Haifischflossen." Kollegin Silvy Pun findet es bedauerlich, dass es noch keine Schätzungen oder gar belastbare Zahlen über die Auswirkung der Ächtung auf den Haibestand gibt. "Es tut mir Leid, aber es gibt noch keine Studien, die den Effekt quantifizieren. Das ist eben alles noch sehr neu."
Von dem Symbolwert erhofft sich Daniel Doughty von Borneo Conservancy jedenfalls zusätzliche Schubkraft für das geplante Haireservat vor der Küste Sabahs auf Borneo. Die Gewässer vor der Ostküste Borneos sind Heimat einer noch gesunden und weit gehend intakten, artenreichen Haipopulation. Geht es nach Doughty und einer Koalition von 20 Umwelt- und Tierschutzorganisationen, wird das 8000 Quadratkilometer große Semporna-Haischutzgebiet noch in diesem Jahr Wirklichkeit. "Wir haben die Unterstützung der Gemeinden an der Küste wie auch der lokalen Tourismusbranche. Die Haie hier sind schon lange als Touristenattraktion ein gutes Geschäft", sagt der Malaysier stolz. Aber noch zögert die Regierung des malaysischen Bundesstaates Sabah, nicht zuletzt auf Druck der Haifischerlobby, mit ihrer Zustimmung zu dem Projekt. Da kann internationale Hilfe nicht schaden, finden Doughty und seine Mitstreiter: Sie haben deshalb eine internationale Petition für ihr Semporna Shark Sanctuary ins Netz gestellt.
Und auch die Shangri-La-Hotelgruppe sieht sich auf dem richtigen Kurs. "Wir haben von unseren Gästen eine beeindruckende Zahl von positiven Kommentaren erhalten", berichtet freudig Maria Kuhn, Direktorin für Unternehmenskommunikation. Nicht zuletzt, weil auch chinesische Prominente wie die 2,29 Meter große Basketballlegende Yao Ming (der seine Karriere bei den Shanghai Sharks begann) oder Filmstar Miriam Yeung inzwischen finden: "Haie gehören ins Meer, nicht in die Suppe."
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