Physiologie: Ende eines Naturgesetzes
Große Tiere mögen es lieber etwas ruhiger, während die Kleinen hektisch umherrennen. Der altbekannte logarithmische Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Stoffwechselrate konnte zwar nie richtig erklärt werden, galt jedoch als fundamentales Naturgesetz der Stoffwechselphysiologie. Nur - Pflanzen halten sich nicht dran.
Etwa zwanzig Gramm bringt ein Mäuschen auf die Waage; ein ausgewachsener Elefantenbulle schafft locker fünf Tonnen. Es müssten also 250 000 der kleinen Nager zusammenkommen, um das Gewicht eines Dickhäuters aufzuwiegen. Dass nun ein Elefant etwas mehr futtert als eine Maus, leuchtet unmittelbar ein. Schließlich haben große Tiere eine höhere Stoffwechselrate zu bewältigen als kleine.
Leistete sich der Elefant jedoch einen 250 000fach höheren Stoffwechsel als die Maus, würde er regelrecht innerlich verheizt. Wie der deutsche Physiologe Max Rubner im Jahr 1883 bei Hunden entdeckt hatte, wächst die Stoffwechselrate S eben nicht linear mit der Körpermasse M der Tiere, sondern folgt der einfachen Beziehung:
S = a Mb
Die Funktion hat es jedoch in sich. Dabei interessieren sich die Physiologen weniger für den Proportionalitätsfaktor a, der von Tierart zu Tierart schwankt, sondern vielmehr für den rätselhaften Exponenten b. Er lässt sich grafisch bestimmen, indem man den Logarithmus der Körpermasse gegen den Logarithmus der Stoffwechselrate aufträgt: Man erhält eine Gerade mit der Steigung b, die bei den meisten Tieren zwischen 0,65 und 0,8 liegt. Was steckt dahinter?
Rubner sah des Rätsels Lösung in der verhältnismäßig großen Oberfläche kleiner Tiere: Da der Wärmeverlust über die Oberfläche eines Körpers quadratisch, sein Stoffwechsel über das Volumen jedoch mit der dritten Potenz wächst, sollten sich die Messwerte der Maus-Elefanten-Kurve um eine Gerade mit der Steigung 2/3, also um 0,67 scharen.
Diese Oberflächenhypothese leuchtet zwar ein – doch leider ist sie falsch. Denn nicht nur gleichwarme Säuger und Vögel, die einen Wärmeverlust kompensieren müssen, zeigen das Maus-Elefanten-Verhalten, auch wechselwarme Tiere – ob Fisch, Reptil, Insekt oder gar Einzeller – halten sich dran. Und bereits 1932 stellte der amerikanische Tierarzt Max Kleiber fest, dass b auch bei den meisten gleichwarmen Tieren eher um den Wert 0,75 schwankt, also bei 3/4 liegt.
Warum, ist immer noch ein Rätsel. 1997 stellten die amerikanischen Physiologen Geoffrey West, James Brown und Brian Enquist die Hypothese auf, hier verberge sich die fraktale Geometrie des Kreislaufsystems. Denn in einem optimierten Gefäßsystem mit möglichst geringem Strömungswiderstand steckt tatsächlich der Skalierungsfaktor 3/4 – und zwar nicht nur beim Blutkreislauf, sondern auch bei Wasserrohren und Flusssystemen.
In einer wahren Fleißarbeit maßen die Wissenschaftler die Stoffwechselraten von etwa 500 Pflanzen aus 43 verschiedenen Arten. Als sie nun ihre Messwerte in der gewohnten doppelt-logarithmischen Darstellung – quasi als "Grashalm-Mammutbaum-Kurve" – übertrugen, erlebten sie eine Überraschung. Die Steigung b betrug nicht 3/4, auch nicht 2/3, sondern schlicht: 1.
Pflanzen halten's also linear: Mit steigender Masse wächst direkt proportional die Stoffwechselrate.
Und noch etwas irritierte die Forscher: Der Proportionalitätsfaktor a, der die Lage der Geraden festlegt, schwankte – allerdings nicht wie bei Tieren von Art zu Art, sondern abhängig von der Anbaumethode der untersuchten Pflanzen: Im Gewächshaus war a bei derselben Art größer als draußen auf dem Feld.
Warum pfeift die Pflanzenwelt auf die tierische Maus-Elefanten-Kurve? Der lineare Zusammenhang könnte damit erklärt werden, dass die Pflanzen ihren Stoffwechsel im Wesentlichen auf die Endstücke ihres Körpers konzentrieren: Wurzel und Blatt. Die Geometrie des Gefäßsystems dürfte dann eine untergeordnete Rolle spielen. Jedenfalls könnte, so die Forscher, "die Vorstellung eines einzigen allgemein gültigen Gesetzes zum größenabhängigen Stoffwechsel voreilig gewesen sein".
Leistete sich der Elefant jedoch einen 250 000fach höheren Stoffwechsel als die Maus, würde er regelrecht innerlich verheizt. Wie der deutsche Physiologe Max Rubner im Jahr 1883 bei Hunden entdeckt hatte, wächst die Stoffwechselrate S eben nicht linear mit der Körpermasse M der Tiere, sondern folgt der einfachen Beziehung:
S = a Mb
Dieser Zusammenhang hat als "Maus-Elefanten-Kurve" Eingang in sämtliche Physiologie-Lehrbücher gefunden.
Die Funktion hat es jedoch in sich. Dabei interessieren sich die Physiologen weniger für den Proportionalitätsfaktor a, der von Tierart zu Tierart schwankt, sondern vielmehr für den rätselhaften Exponenten b. Er lässt sich grafisch bestimmen, indem man den Logarithmus der Körpermasse gegen den Logarithmus der Stoffwechselrate aufträgt: Man erhält eine Gerade mit der Steigung b, die bei den meisten Tieren zwischen 0,65 und 0,8 liegt. Was steckt dahinter?
Rubner sah des Rätsels Lösung in der verhältnismäßig großen Oberfläche kleiner Tiere: Da der Wärmeverlust über die Oberfläche eines Körpers quadratisch, sein Stoffwechsel über das Volumen jedoch mit der dritten Potenz wächst, sollten sich die Messwerte der Maus-Elefanten-Kurve um eine Gerade mit der Steigung 2/3, also um 0,67 scharen.
Diese Oberflächenhypothese leuchtet zwar ein – doch leider ist sie falsch. Denn nicht nur gleichwarme Säuger und Vögel, die einen Wärmeverlust kompensieren müssen, zeigen das Maus-Elefanten-Verhalten, auch wechselwarme Tiere – ob Fisch, Reptil, Insekt oder gar Einzeller – halten sich dran. Und bereits 1932 stellte der amerikanische Tierarzt Max Kleiber fest, dass b auch bei den meisten gleichwarmen Tieren eher um den Wert 0,75 schwankt, also bei 3/4 liegt.
Warum, ist immer noch ein Rätsel. 1997 stellten die amerikanischen Physiologen Geoffrey West, James Brown und Brian Enquist die Hypothese auf, hier verberge sich die fraktale Geometrie des Kreislaufsystems. Denn in einem optimierten Gefäßsystem mit möglichst geringem Strömungswiderstand steckt tatsächlich der Skalierungsfaktor 3/4 – und zwar nicht nur beim Blutkreislauf, sondern auch bei Wasserrohren und Flusssystemen.
Hier scheint sich also ein allgemein gültiges Naturgesetz zu verbergen, das logischerweise auch für Pflanzen – mit ihren leistungsfähigen Leitbündelsystemen – gelten sollte. Bisherige Messungen von Botanikern schienen das auch zu bestätigen; Peter Reich von der Universität von Minnesota und seine Kollegen wollten es jedoch genauer wissen.
In einer wahren Fleißarbeit maßen die Wissenschaftler die Stoffwechselraten von etwa 500 Pflanzen aus 43 verschiedenen Arten. Als sie nun ihre Messwerte in der gewohnten doppelt-logarithmischen Darstellung – quasi als "Grashalm-Mammutbaum-Kurve" – übertrugen, erlebten sie eine Überraschung. Die Steigung b betrug nicht 3/4, auch nicht 2/3, sondern schlicht: 1.
Pflanzen halten's also linear: Mit steigender Masse wächst direkt proportional die Stoffwechselrate.
Und noch etwas irritierte die Forscher: Der Proportionalitätsfaktor a, der die Lage der Geraden festlegt, schwankte – allerdings nicht wie bei Tieren von Art zu Art, sondern abhängig von der Anbaumethode der untersuchten Pflanzen: Im Gewächshaus war a bei derselben Art größer als draußen auf dem Feld.
"Die Vorstellung eines einzigen allgemein gültigen Gesetzes zum größenabhängigen Stoffwechsel könnte voreilig gewesen sein"
(Peter Reich et al.)
Erst als die Forscher die Stoffwechselrate nicht auf die Pflanzenmasse, sondern auf deren Stickstoff-Gehalt bezogen, löste sich die Differenzen von a in Nichts auf. Das Element spielt nun im Stoffwechsel der Pflanzen eine entscheidende Rolle, ist es doch ein wesentlicher Bestandteil von Enzymen sowie von Chlorophyll. Und im Gewächshaus steht den Pflanzen mehr Stickstoff zur Verfügung. (Peter Reich et al.)
Warum pfeift die Pflanzenwelt auf die tierische Maus-Elefanten-Kurve? Der lineare Zusammenhang könnte damit erklärt werden, dass die Pflanzen ihren Stoffwechsel im Wesentlichen auf die Endstücke ihres Körpers konzentrieren: Wurzel und Blatt. Die Geometrie des Gefäßsystems dürfte dann eine untergeordnete Rolle spielen. Jedenfalls könnte, so die Forscher, "die Vorstellung eines einzigen allgemein gültigen Gesetzes zum größenabhängigen Stoffwechsel voreilig gewesen sein".
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