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Spinale Muskelatrophie: Erbkrankheit SMA erstmals im Mutterleib behandelt

Ein Mädchen in den USA zeigt keine Anzeichen von spinaler Muskelatrophie, nachdem es bereits im Mutterleib den Arzneistoff Risdiplam verabreicht bekommen hat. Der Stoff greift in die Genexpression ein.
Fötus im Mutterleib
Ultraschallaufnahme eines Fötus im Mutterleib. In den USA ist es jetzt gelungen, eine gefährliche Erbkrankheit bereits in diesem Entwicklungsstadium zu behandeln.

Ein zweieinhalbjähriges Mädchen in den USA, das einen Gendefekt geerbt hat, zeigt keine Anzeichen der daraus resultierenden Krankheit SMA, nachdem es bereits im Mutterleib behandelt worden ist. Es ist der erste derartige Eingriff an einem Menschen. Die Mutter des Kindes nahm während der späten Schwangerschaft den Arzneistoff Risdiplam ein, der den Ausbruch der Krankheit verhindern kann. Das hat offensichtlich zum Erfolg geführt, wie ein Team um den Neurowissenschaftler Richard Finkel vom St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis berichtet. Die Fachleute stellen ihre Ergebnisse im Fachjournal »New England Journal of Medicine« vor.

Das Kind hat die Veranlagung dafür geerbt, spinale Muskelatrophie (SMA) auszuprägen. Diese neurodegenerative Erkrankung führt zum fortschreitenden Verlust von Motoneuronen, also von Nervenzellen, die an der Steuerung von Muskeln mitwirken. Bei Menschen, die an SMA erkrankt sind, stellt der Organismus zu wenig SMN-Protein her. Infolgedessen gehen Motoneuronen zu Grunde, was zu Muskelschwund, Atemproblemen und eingeschränkter Lungenfunktion führt. SMA ist eine der häufigsten monogenetischen (durch ein einzelnes Gen bedingten) Erkrankungen, die im Kindesalter zum Tod führen. Sie betrifft etwa eines von 10 000 neugeborenen Kindern.

In der schwersten Form, wie im Fall des jetzt behandelten Mädchens, fehlen den betroffenen Personen beide Kopien eines Gens mit der Bezeichnung SMN1. Das führt dazu, dass der Organismus kaum noch SMN-Proteine herstellen kann. Eine weitere Erbanlage namens SMN2 trägt zwar ebenfalls die Bauanleitung für das Protein, ist aber sehr viel weniger aktiv als SMN1 und kann dessen Funktion daher nur teilweise ersetzen. Menschen, die schwer an spinaler Muskelatrophie erkranken, besitzen überdies oft lediglich eine oder zwei Kopien des SMN2-Gens, während es bei weniger stark Betroffenen häufig drei bis vier Kopien sind. All das führt dazu, dass ihr Organismus zu wenig SMN-Protein bildet. Das Eiweiß ist für die Entwicklung und den Erhalt motorischer Neuronen im Rückenmark und im Hirnstamm unverzichtbar – insbesondere während der späten Schwangerschaft sowie während der ersten Lebensmonate. Schwer erkrankte Babys erreichen oft nicht das vierte Lebensjahr.

Veränderte Genexpression

Es gibt zugelassene Medikamente zur Behandlung der SMA. Eines davon ist der oral einzunehmende Arzneistoff Risdiplam. Er greift in den Ablesevorgang des Gens SMN2 ein, was dazu führt, dass der Organismus mehr SMN-Protein produziert. Bislang wird er den betroffenen Kindern ab der Geburt verabreicht. Bei schweren Krankheitsfällen ist das oft zu spät, um alle Symptome zu verhindern, da sich zu diesem Zeitpunkt schon einige ausgeprägt haben. »Es gab noch Raum, um die Therapie zu verbessern«, sagte der Studienleiter Richard Finkel gegenüber der Fachzeitschrift »Nature«.

Die Idee, den Arzneistoff bereits im Mutterleib zu verabreichen, sei von den Eltern gekommen, schildert Finkel. Sie hätten bereits ein Kind durch diese schreckliche Krankheit verloren und wollten wissen, ob es Behandlungsmöglichkeiten gebe, die schon vor der Geburt zu wirken beginnen. Auf ihren Wunsch hin erteilte die US-Arzneimittelbehörde FDA eine Sondergenehmigung für die vorgeburtliche Behandlung. Die Mutter nahm daraufhin ab der 32. Schwangerschaftswoche für insgesamt sechs Wochen täglich Risdiplam ein. Nach der Geburt bekam das Baby den Arzneistoff weiterhin verabreicht und wird ihn voraussichtlich für den Rest seines Lebens nehmen müssen.

Untersuchungen des Fruchtwassers und des Nabelschnurbluts bei der Geburt ließen erkennen, dass der Arzneistoff den Fötus erreichte. Im Vergleich zu anderen Babys, die mit der gleichen Veranlagung auf die Welt kommen, wies das Kind nach der Geburt einen höheren Gehalt des SMN-Proteins im Blut auf und zeigte weniger Nervenschäden. Symptome von Muskelschwäche waren nicht erkennbar; die Muskelentwicklung wirkte normal. »Das sind ermutigende Ergebnisse«, sagt Finkel.

Obwohl der Therapieverlauf bisher einmalig sei, zeige die Studie, wie wichtig eine frühzeitige Behandlung sei. Das betont Michelle Farrar, pädiatrische Neurologin an der University of New South Wales in Sydney, gegenüber »Nature«. »Das therapeutische Fenster, das wir treffen müssen, ist sehr schmal.« Der nächste Schritt sei nun, größere Studien aufzulegen, um zu sehen, ob sich auch andere Erkrankte so erfolgreich behandeln lassen.

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