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Einsatz im Erdbebengebiet: Wie viele professionelle Helfer tragen ein Trauma davon?

Auch für qualifizierte Rettungskräfte bedeutet die Arbeit in Katastrophengebieten einen hohen Grad an Stress. Monate nach einem Einsatz vor Ort leiden laut internationalen Studien zwischen 10 und 20 Prozent an einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Februar 2023: Rettungskräfte transportieren ein Opfer des Erdbebens in der türkischen Provinz Hatay
Türkei, 12. Februar 2023: Rettungskräfte tragen ein Opfer des Erdbebens in der Provinz Hatay.

Tagelang haben deutsche Rettungsteams in der Türkei nach Überlebenden des Erdbebens gesucht. Einige sind bereits zurückgekehrt: Am Flughafen Köln/Bonn landeten am vergangenen Montag (13.2.) fast 100 Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks, der Hilfsorganisationen International Search and Rescue (I.S.A.R.) Germany und des BRH Bundesverbands Rettungshunde. »Der Einsatz war unglaublich anstrengend, die Dimension des Geschehens war einfach unvorstellbar«, sagte Astrid Kalff, die mit ihrer Hündin Hope für I.S.A.R. im Einsatz war, der Deutschen Presseagentur.

Bei ihrer Arbeit in Katastrophengebieten sind die professionellen Helferinnen und Helfer mit schrecklichem Leid konfrontiert. Wie viele von ihnen diese Erfahrungen nicht verarbeiten können, hat jetzt ein iranisches Forschungsteam in einer Metaanalyse untersucht, in Zusammenarbeit mit dem Psychotherapeuten Ulrich Wesemann vom Psychotraumazentrum des Bundeswehrkrankenhauses in Berlin. Unter den Rettungskräften von Hilfsorganisationen, Sanitätsdiensten, Feuerwehr und Polizei erkrankt im Mittel rund jede sechste nach einem Einsatz in einem Erdbebengebiet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). »Nach unserer Beobachtung und früheren Befunden sind alle anfällig, die an Notfallhilfe bei Unfällen und Naturkatastrophen beteiligt sind«, berichtet die Gruppe.

Kurz erklärt: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Sie ist eine der typischen psychischen Folgen von Naturkatastrophen und oft verbunden mit weiteren Beschwerden wie Ängsten, Depressionen und Sucht. Die Betroffenen leiden unter Übererregung, die sich zum Beispiel in erhöhter Wachsamkeit oder Schreckhaftigkeit äußert. Sie versuchen alles zu vermeiden, was sie an das Trauma erinnern könnte. Dennoch durchleben sie es ungewollt immer wieder in Albträumen oder in Form von Flashbacks: Sie fühlen sich im Wachzustand wieder in das traumatische Geschehen zurückversetzt.

Eine solche Traumafolgestörung geht per Definition auf ein außergewöhnlich belastendes Ereignis »extrem bedrohlicher oder entsetzlicher Natur« zurück. Dazu zählt auch, nicht selbst das Opfer, sondern Zeuge eines solchen Ereignisses zu sein. In Deutschland machen zwei von drei Menschen im Verlauf ihres Lebens mindestens eine Erfahrung dieser Art. Aber nur ein Teil entwickelt daraufhin eine PTBS. Nach einer Naturkatastrophe geschieht das in der Regel seltener als nach menschengemachten Traumata wie Folter oder Vergewaltigung: Hier liegt das Risiko mit mehr als 50 Prozent am höchsten.

Die Zahlen schwanken jedoch sehr stark. Im Mittel liegt das Risiko, in den Monaten nach einem solchen Einsatz eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, zwischen 10 und 20 Prozent. Doch es gibt sowohl niedrigere als auch höhere Schätzungen, je nach Zeitpunkt, Umständen und Beruf. So kommen zwei Studien an Krankenschwestern auf einen Anteil von 30, 40 Prozent. Das medizinische Personal scheint besonders stark betroffen: Auch Sanitäter erkranken eher an einer PTBS als Feuerwehrleute und Polizei, wie eine Übersichtsstudie über mehr als 20 000 Rettungskräfte belegte. 14 Monate nach dem Erdbeben in Japan 2011 waren die beteiligten Feuerwehrleute mit 1,6 Prozent deutlich seltener traumatisiert als medizinische Rettungshelfer.

So niedrig liegen die Zahlen vor allem dann, wenn seit der Katastrophe viel Zeit verstrichen ist – oder wenn von den befragten Rettungshelfern gar nicht alle vor Ort waren. Beides trifft auf eine Untersuchung elf Jahre nach dem Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan 2008 zu. Unter den mehr als 2000 Befragten von vier Krankenhäusern der Region, die meisten davon Krankenschwestern oder -pfleger, litten weniger als ein Prozent unter einer PTBS. Doch viele hatten nicht direkt mit den Erdbebenopfern zu tun. Was jedoch besonders belastet, ist der Umgang mit den Toten und Verletzten sowie ihren Familien.

Katastrophenhilfe bedeutet einen hohen Grad an Stress, auch für trainierte Profis

Die Studien kommen stets zum gleichen Schluss: Katastrophenhilfe bedeutet auch für trainierte Profis einen hohen Grad an Stress. Eine besondere Widerstandskraft wie die unter Feuerwehrleuten führen die Forscherinnen und Forscher unter anderem auf eine gute Vorauswahl, eine gute Vorbereitung und Nachsorge der Rettungskräfte zurück.

Für die Rettungsdienste sei es wichtig, Mitarbeiter auf psychische Probleme zu prüfen, bevor sie für die betreffenden kritischen Berufe rekrutiert würden, schreiben auch die Autoren der oben genannten aktuellen Studie. Später sollten regelmäßige Screening folgen, vor allem nach der Rückkehr, aber auch langfristig. Denn eine PTBS kann nicht nur Monate, sondern noch Jahre nach einem Trauma einsetzen.

Hilfe für die Helfenden

Informationen über Traumafolgestörungen und ihre Behandlung sowie Vor- und Nachsorge gibt es hier:

Zur psychologischen Versorgung von professionellen Einsatzkräften zählen daher Screenings und Interventionen vor sowie lange nach den Einsätzen. Ziel ist, Risikofaktoren und Symptome frühzeitig zu erkennen, über mögliche psychische Folgen und ihre Behandlung aufzuklären und Stressbewältigungskompetenzen wie das Äußern von Gefühlen zu fördern.

Die zitierten Studien haben untersucht, welche Folgen ein Einsatz in Erdbebengebieten für die Rettungskräfte hat. Die Überlebenden selbst haben in der Regel aber ein noch höheres Risiko für Traumafolgestörungen: Sie waren direkt bedroht und auf die Katastrophe viel weniger vorbereitet. Laut Daten von mehr als 76 000 Betroffenen litten innerhalb der ersten neun Monate knapp 30 Prozent unter einer PTBS, danach rund 20 Prozent. In anderen Studien sind es sogar mehr als 50 Prozent. Die gute Nachricht für alle Betroffenen: Mit der Zeit wird das Trauma meist besser verarbeitet – mit professioneller Hilfe oder dank Selbstheilungskräften.

Wege aus der Not

Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Erscheint Ihnen das Leben sinnlos oder Ihre Situation ausweglos? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: an den Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.

Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 0800 1110111 und 0800 1110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 0800 1110333 und können sich auf der Seite www.u25-deutschland.de per Mail von einem Peer beraten lassen.

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