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Antikörperblocker: Erdnussallergie per Medikament abschalten?

»Dieses Produkt kann Spuren von Nüssen enthalten« - können wir solche Hinweise in Zukunft getrost ignorieren? Ein neuer Hemmstoff könnte nicht nur Erdnussallergikern helfen.
Kind greift nach Erdnüssen

Ein neues Verfahren könnte Menschen mit schwerer Erdnussallergie vor einem allergischen Schock schützen. Die Betroffenen müssten sich dazu alle paar Wochen besondere Hemmstoffe injizieren und dürften anschließend unbesorgt in Restaurants essen oder in eine fremde Keksdose greifen. Das ist zumindest die Vision, die Bassar Bilgicer von der University of Notre Dame in den USA und Kollegen in einem aktuellen Beitrag für das Fachmagazin »PNAS« vorstellen. Die von ihnen entwickelten Hemmstoffe hindern das Immunsystem daran, auf die Bestandteile in den Nüssen zu reagieren.

Auch auf andere Allergien könnte das Konzept übertragbar sein, erläutern die Forscher. Doch noch befindet es sich in einem frühen Versuchsstadium, und es ist unklar, ob sich damit tatsächlich eines Tages die gewünschten Medikamente herstellen lassen. Bislang testeten Bilgicer und Kollegen ihren Ansatz nur in Zellkulturen und nicht am Menschen.

Bei Allergien bildet das Immunsystem spezielle Alarmstoffe, die Antikörper, die sich an Allergene heften – chemische Verbindungen, die in den allergieauslösenden Stoffen vorhanden sind. Bilgicer und Team fanden einen Weg, kleine Moleküle herzustellen, die ebenfalls an einen bestimmten Antikörper binden und ihn dadurch lahmlegen. Gelangt anschließend ein allergieauslösender Stoff in den Körper, bleibt das Immunsystem stumm.

»Weil die Stoffe die Antikörper dauerhaft blockieren, denken wir, es genügt, sie ein- bis zweimal pro Monat einzunehmen, um gegen die Allergie geschützt zu sein«, erklärt Bilgicer. Ob man die Stoffe als Tablette einnehmen kann oder sich eine Spritze geben muss, sei noch offen, sagt der Forscher.

Ein viel größeres Problem als die Darreichungsform stellt allerdings die Vielfalt der Allergien dar. In Erdnüssen beispielsweise gibt es mehr als ein Dutzend Allergene. Diese Proteine weisen wiederum eine Vielzahl möglicher Bindestellen für Antikörper auf. Somit existiert bei Menschen, die unter einer Allergie leiden, in der Regel ein ganzes Arsenal an Antikörpern. Gegen jeden davon einen Hemmstoff entwickeln und verabreichen zu wollen, ist aussichtslos.

Ihre Zuversicht verdanken Bilgicer und Kollegen einer unerwarteten Beobachtung. Zum Test ihres Verfahrens haben sie Blutproben von 16 Allergikern untersucht und festgestellt, dass in jeder davon dieselben zwei Antikörper auftraten. Diese beiden Antikörper erwiesen sich als Schwachstelle: In 14 von 16 Fällen genügte es, ausschließlich gegen diese beiden Antikörper Hemmstoffe einzusetzen und alle anderen außen vor zu lassen. Waren die zwei Antikörper blockiert, unterblieb die allergische Immunreaktion.

Sollte sich bei weiteren Tests bestätigen, dass die beiden Antikörper bei vielen oder gar allen Erdnussallergikern vorhanden sind, ließe sich die Entwicklung entsprechender Hemmstoffe besser stemmen, als wenn es keine derartigen Übereinstimmungen gibt. Weil die neuartigen Hemmstoffe bislang nicht direkt an Menschen getestet wurden, ist allerdings noch völlig unbekannt, welche Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen sie haben könnten. Bis ein entsprechendes Präparat auf den Markt kommt, werden also noch Jahre vergehen.

Bisher gibt es, um Allergien zu behandeln, lediglich Medikamente, die unser Immunsystem herunterfahren und damit allergische Reaktionen dämpfen. Omalizumab, ein so genannter monoklonaler Antikörper (unter dem Handelsnamen Xolair erhältlich), schaltet etwa alle Antikörper der Klasse E (IgE) aus. Diese Gruppe von Antikörpern verursacht aber nicht nur Allergien, sondern ist beispielsweise auch für die Abwehr von Parasiten und die Erkennung von Krebszellen wichtig. Einen solchen Rundumschlag wagt man darum in der Regel nur bei Patienten mit schwerem allergischem Asthma. Zur Behandlung von Lebensmittelallergien wie zum Beispiel gegen Erdnüsse sind sie nicht zugelassen. Hier kann der Arzt so genannte Antihistaminika oder Kortisonpräparate verschreiben, die kurzfristig unser Immunsystem bremsen. Die einzige Möglichkeit, eine Allergie langfristig und spezifisch zu lindern, bietet eine so genannte Hyposensibilisierung. Dem Allergiker werden nach und nach größere Mengen des allergieauslösenden Stoffs verabreicht. Als Antwort produziert sein Körper spezielle Antikörper gegen die Allergene. Diese Antikörper (IgG) gehören zu einer anderen Klasse als jene, die Allergien auslösen (IgE). Die IgG-Antikörper binden an ein Allergen und verhindern, dass es von den IgE-Antikörpern erkannt wird. Solche Immuntherapien dauern jedoch in der Regel drei bis fünf Jahre und sind nicht in allen Fällen von Erfolg gekrönt.

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