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Erdwärme: Erdwärme aus der tiefen Kruste

Mit Hilfe ausgeklügelter Geothermiekraftwerke beziehen die Neuseeländer 16 Prozent ihres elektrischen Stroms aus dem Untergrund. Die heiße Vulkanregion des Landes bietet dafür sehr gute Voraussetzungen. Mit noch tieferen Bohrungen ließe sich die entnommene Energiemenge sogar verzehnfachen.
Weirakei-Kraftwerk in Neuseeland

Ein Geysir mit kochender Wasserfontäne, ein dampfend heißer, orange gefärbter Teich mit 65 Metern Durchmesser, Sinterterrassen in cremiger Farbe, knallgelbe Schwefelablagerungen, ein Kratersee in Signalgrün – im Thermalgebiet Wai-O-Tapu im Zentrum der Nordinsel Neuseelands kommen Touristen voll auf ihre Kosten. Ganz am Ende des Gebiets schweift der Blick über eine weite Ebene, in der Ferne steht unverkennbar ein Kraftwerk. Die wenigsten Besucher ahnen, dass die gleiche Hitze aus dem Erdinneren beides antreibt, Stromerzeugung und heiße Quellen. Und da Wai-O-Tapu angeblich seit einigen tausend Jahren funktioniert, scheint diese Energiequelle auch sehr nachhaltig zu sein.

"16 Prozent des elektrischen Stroms für Neuseeland produzieren sieben solcher Kraftwerke wie dort drüben aus der Erdwärme", erklärt Greg Bignall. Der Geowissenschaftler ist am neuseeländischen Geoforschungszentrum GNS für diese Geothermie genannte Energie zuständig und erklärt erst einmal die naturwissenschaftlichen Grundlagen seiner Arbeit. Unwillkürlich folgt der Blick seinem Arm, den er nach Westen ausstreckt: "Dort drüben taucht eine gigantische Erdplatte, die große Teile des Pazifiks auf ihrem Rücken trägt, unter die Australische Platte, auf der wir gerade stehen", erklärt der Wissenschaftler. Solche Abtauchzonen gibt es einige am Pazifik. Landeinwärts wird die Erdkruste dann häufig auseinandergezogen, dabei wird sie immer dünner. Genau das passiert unter einer 350 Kilometer langen und 50 Kilometer breiten Region, die sich von den Tongariro-Vulkanen im Zentrum der Nordinsel Neuseelands bis bald 100 Kilometer östlich der Pazifikküste erstreckt. Mittendrin in dieser Taupo-Vulkanzone steht Greg Bignall gerade im Thermalgebiet Wai-O-Tapu.

Heiße Quelle | Erdwärme heizt den Champagne Pool im Thermalgebiet Wai-O-Tapu in Neuseeland seit Jahrhunderten auf 75 Grad Celsius.

Während die Erdkruste unter einem Kontinent normalerweise zwischen 30 und 60 Kilometer dick ist, bringt sie es unter der Taupo-Vulkanzone gerade einmal auf 16 Kilometer. Zehn Kilometer unter der Erdoberfläche liegt eine 50 Kilometer breite und 160 Kilometer lange Schicht aus zähflüssigem, heißem Gestein. Dieses Magma heizt das darüberliegende Gestein kräftig auf. "In 2500 Meter Tiefe ist es rund 300 Grad Celsius heiß", berichtet Greg Bignall. Da ist die norddeutsche Tiefebene, die zu den geologisch ausgesprochen ruhigen Weltregionen gehört, auch in der doppelten Tiefe von 5000 Metern mit gerade einmal 200 Grad erheblich kühler. Je heißer aber das Gestein ist, umso mehr Energie kann man dort gewinnen.

Wegen der hohen Temperaturen unter dem Zentrum der Nordinsel Neuseelands lohnt sich dort also die Geothermie besonders. Die Taupo-Vulkanzone, die ähnlich groß wie das Yellowstone-Geothermal-Gebiet in den USA ist, bietet aber noch einen weiteren Riesenvorteil. Das Gestein in der Tiefe ist nicht etwa kompakt, sondern von unzähligen Rissen und Spalten durchzogen. Regnet es wie so oft in Neuseeland, sickert das Wasser dort rasch bis in Tiefen von vier bis fünf Kilometern und heizt sich dabei kräftig auf. Von dort unten steigt das heiße Wasser dann wieder nach oben und erreicht an manchen Stellen wie in Wai-O-Tapu sogar die Erdoberfläche. Zwar kühlt es auf dem Weg in die Höhe kräftig ab, doch die Hitze reicht noch locker aus, um das Wasser im 65 Meter großen Champagne Pool auf 75 Grad Celsius zu halten. In der Tiefe gelöste Arsen- und Antimonverbindungen fallen dort oben wieder aus und färben die Ränder des Sees knallorange.

Gelöste Silikate gefährden die Turbinen

Über dem Champagne Pool wabern zwar jede Menge Dampfschwaden, die aber reichen bei Weitem nicht aus, um damit rentabel elektrischen Strom zu produzieren. Daher bohren die Neuseeländer bis in Tiefen von 1500 bis 2500 Metern, umgerechnet kostet eine einzige Bohrung ungefähr fünf Millionen Euro. Das ist eine Menge Geld, die ein Elektrizitätsunternehmen ungern in den Sand setzt. Nach genauen Analysen des Untergrunds schlägt GNS-Spezialist Greg Bignall daher die Stellen vor, an denen man in der Tiefe auf das aufsteigende heiße Wasser stoßen sollte. Dort unten ist der Druck hoch genug, um das Wasser auch bei Temperaturen von 220 bis 250 Grad Celsius noch flüssig zu halten. Sobald diese Schicht aber erst einmal angebohrt ist, sinkt der Druck, das Wasser beginnt zu verdampfen und schießt dabei in die Höhe.

An der Oberfläche zischt dieses Gemisch in eine Art überdimensionale Zentrifuge, in deren Mitte sich der heiße, leichte Dampf konzentriert, während das schwerere Wasser nach außen wandert und dort abgeschieden wird. Durch Rohrleitungen schießt der Dampf dann direkt in das eigentliche Kraftwerk, in dem er eine Turbine antreibt. Deren Umdrehung liefert dann ganz ähnlich wie in einem Kohlekraftwerk elektrischen Strom. Während dort aber Kohle verfeuert wird und dabei große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid in die Luft geblasen werden, um mit der Hitze Wasser zu verdampfen, kommt der Wasserdampf in Neuseeland ohne größere Klimabelastung direkt aus dem heißen Untergrund. Nur das enthaltene heiße, saure Wasser muss eben vorher abgetrennt werden, weil sonst die Turbine korrodieren würde.

Hydrothermalkraftwerk | Das Wairakei-Kraftwerk nutzt seit 1958 Erdwärme, um Strom zu erzeugen. Damals war es weltweit das zweite seiner Art und wird seither ständig verbessert.

Gefährlich sind auch die gelösten Silikate, die bei fallenden Temperaturen auszukristallisieren beginnen. Da diese winzigen Sandkörnchen die Oberfläche der Turbinenschaufeln abschleifen würden, muss der Betreiber die Temperatur sehr sorgfältig kontrollieren und sie nicht zu tief abfallen lassen. Ganz so einfach wie "heißen Dampf aus wenigen tausend Metern Tiefe über eine Turbine leiten" ist die Geothermie also nicht. 1958 bauten die Neuseeländer in Wairakei ein paar Kilometer nördlich der Stadt Taupo am Ufer des gleichnamigen gigantischen Kratersees ihr erstes Erdwärmekraftwerk, weltweit war es erst das zweite seiner Art. Seither haben die Ingenieure die Geothermie immer wieder verbessert.

Anfangs wurde der Wasserdampf nach der Turbine aufgefangen und zu Wasser kondensiert, das anschließend mit einer Temperatur von 80 Grad Celsius in den nahen Waikato-Fluss geleitet wurde. Das heizte das Gewässer natürlich kräftig auf, was den Organismen darin nicht gerade gut bekam. Gleichzeitig kühlten die heißen Quellen in diesem Thermalgebiet zunehmend aus, einige versiegten ganz, und die Akzeptanz in der Bevölkerung setzte zu einem Sinkflug an. "Wieso aber sollte man die Restenergie im Wasserdampf nicht nutzen?", erklärt Greg Bignall die nächste Überlegung der Ingenieure. Diese zweite Stufe der Energiegewinnung bauten die Betreiber im Jahr 2005 in die Nähe des alten Kraftwerks. Dort wird der abgekühlte Dampf, der aus der Turbine kommt, durch einen Wärmetauscher gepumpt. Dabei gibt er viel Energie an den Kohlenwasserstoff Isopentan ab, der unter hohem Druck flüssig in den Wärmetauscher strömt. Diese Flüssigkeit verdampft bereits bei 28 Grad Celsius und treibt dann eine zweite Turbine an. Anschließend wird das Isopentan wieder kondensiert und erneut in den Wärmetauscher gepumpt. Bei dieser Kreislaufwirtschaft gehen nur winzige Mengen des Kohlenwasserstoffs verloren: "Jedes Jahr werden nur wenige Liter der Substanz nachgefüllt", erklärt Greg Bignall.

Die Kraftwerksbetreiber pumpen das Wasser in die Tiefe zurück

Diese zweite Stufe steigert die Leistung des Kraftwerks um rund zehn Prozent auf insgesamt 181 Megawatt. Damit aber liefert allein das Wairakei-Geothermalkraftwerk drei bis vier Prozent der in Neuseeland benötigten Elektrizität. Zusätzlich wird der aus dem Wärmetauscher kommende, stark abgekühlte Dampf kondensiert. Mit diesem warmen Wasser werden dann Gewächshäuser beheizt, in denen die lokale Bevölkerung das ganze Jahr Tomaten und Paprika anbaut. Oder man wärmt damit Wasserbecken für die Zucht von tropischen Garnelen, für die Feinschmecker teures Geld bezahlen. Anschließend wird das abgekühlte Wasser wenige Kilometer entfernt über so genannte Injektionsbohrungen wieder in die Tiefe zurückgepumpt, aus der vorher der Wasserdampf geholt wurde. So vermeidet man nicht nur das Aufheizen des Waikato-Flusses, sondern gleicht auch den Wasserverlust durch die Entnahme für die Geothermie aus. Sinkt der Druck in der Tiefe, versiegen oben die warmen Quellen. Um das zu verhindern, pumpen die Betreiber inzwischen das entnommene Wasser über die relativ teuren Injektionsbohrungen wieder zurück.

Die zweite Kraftwerksstufe, in der Kohlenwasserstoffe bei niedrigen Temperaturen verdampft werden und dann Turbinen antreiben, eignet sich auch hervorragend als erste Stufe für Gebiete mit weniger heißem Untergrund als Neuseeland. Mit einer Leistung von 16 Megawatt sind solche Anlagen klein genug, um innerhalb einer größeren Gemeinde Energie zu gewinnen und mit der Abwärme Gewächshäuser zu betreiben. Und schon plant die vor Touristen wimmelnde Stadt Rotorua rund 80 Kilometer nördlich des Wairakei-Geothermiekraftwerks eine ähnliche Anlage. Auch der Export nach Madagaskar, Uganda und in andere Länder kommt bereits ins Rollen.

Greg Bignall | Greg Bignall vom neuseeländischen Geoforschungszentrum GNS sucht die besten Standorte für die Stromerzeugung aus Erdwärme.

In Neuseeland liefern inzwischen sieben geothermische Kraftwerke in der Taupo-Vulkanzone mit einer Leistung von zusammen 860 Megawatt rund 16 Prozent des im Land benötigten elektrischen Stroms. Weitere 1200 Megawatt Leistung könnten ähnlich wie in Wairakei bei zunehmender Nachfrage einfach erschlossen werden.

GNS-Forscher Greg Bignall aber arbeitet bereits an der nächsten Stufe: Bohrt man weiter in die Tiefe, werden sich die Kosten von bisher rund fünf Millionen Euro pro Bohrung vermutlich verdoppeln oder verdreifachen. Andererseits lockt in den Tiefen jenseits der 2500 Meter rund die zehnfach mehr Energie als in den bisher genutzten oberen Etagen. Dort unten liegen die Temperaturen dann bei 400 Grad, und das Wasser erreicht einen "superkritisch" genannten Zustand, in dem es einerseits so dicht wie eine Flüssigkeit, andererseits aber so beweglich wie ein Gas ist. Diese superkritische Flüssigkeit ist für verschiedene Prozesse in der chemischen Industrie interessant. Sie greift aber auch das bei der Bohrung eingesetzte Material viel stärker als bisher an. Die Ingenieure müssen daher auch neue, widerstandsfähigere Materialien finden, testen und einsetzen.

Tiefer als bis in 6000 Meter Tiefe aber reichen die Planungen von Greg Bignall nicht: "In größeren Tiefen entstehen nämlich keine Erdbeben mehr", erklärt der GNS-Forscher. Für Erdwärmenutzer ist das aber keine gute Nachricht: Vermutlich ähnelt das Gestein dort unten zunehmend einer Knetgummimasse, in der sich kaum noch Risse und Spalten bilden können. Das verhindert zwar Erdbeben, lässt aber auch kein Wasser mehr zirkulieren. Obwohl die Temperaturen dort noch höher sind, ist Geothermie so nicht mehr möglich. Da aber in den darüberliegenden Stockwerken noch so viel Energie genutzt werden kann, ist das nicht weiter tragisch.

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