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Atmosphärenchemie: Erhellende Erkenntnis

Der nächste IPCC-Bericht zum Thema Klimawandel steht vor der Tür - doch noch immer werden die Prognosen mit großen Unsicherheiten behaftet sein: Trotz intensiver Forschung liegt vieles des Räderwerks von Atmosphäre, Ozeanen und Kontinenten samt ihrer Lebewelt noch im Dunkeln. Einiges Licht aber brachten Forscher nun in die Frage der wolkenfördernden Schwefel-Freisetzung aus den Weltmeeren.
Unter Wasser
"Obwohl die Dimethylsulfid-Dynamik der oberen Ozeanschichten Gegenstand umfassender Forschungsarbeiten war, ließen sich keine klaren Schlussfolgerungen über die Hauptfaktoren ableiten, welche die DMS-Konzentrationen kontrollieren." Eine frustrierende Feststellung für Klimaforscher, die Sergio Vallina und Rafel Simó vom Institut für Meeresforschung in Barcelona hier artikulieren. Denn schon seit Jahrzehnten ist bekannt, dass der Ausstoß dieser von Planktonorganismen in den Weltmeeren produzierten Schwefel-Verbindung irgendwie mit der Sonneneinstrahlung, Wolkenbildung und damit Albedo zusammenhängt. Ob aber über eine positive, also sich selbst verstärkende, oder eine negative, sich selbst regulierende Rückkopplung, das war immer noch offen.

Dabei spielt Dimethylsulfid, oder kurz DMS, angesichts des Klimawandels eine interessante Rolle im komplexen Geschehen: Die daraus entstehenden Sulfat-Aerosole regen die Wolkenbildung an und wirken über die damit verbundene verminderte Sonneneinstrahlung kühlend. Und da es sich zudem um die hauptsächliche natürliche Quelle von Schwefel in der Troposphäre handelt, wäre es als gut untersuchtes Schräubchen im Klimaräderwerkmodell hoch willkommen. Doch hatten Experimente gezeigt, dass dieses Schräubchen im Zentrum einer eigenen Maschinerie sitzt, in der verschiedenste biotische und abiotische Faktoren ineinander greifen: die Zusammensetzung und Aktivität von Phytoplankton und Bakterienlebensgemeinschaft, die Fraßaktivitäten des Zooplanktons, die Zerstörung der Zellen durch Fotolyse. Damit nicht genug, beobachtete man wie erwartet einen deutlichen, aber nicht eindeutigen Einfluss der Sonneneinstrahlung. Jede Antwort auf die gestellte experimentelle Fragestellung warf also nur neue Fragen auf.

Vallina und Simó verließen sich daher lieber auf Messwerte in der realen Welt. Im nordwestlichen Mittelmeer, nahe der Küste vor Barcelona, erfassten sie monatlich die DMS-Konzentrationen in den oberen Wasserschichten und die durchschnittliche tägliche Sonneneinstrahlung an der Oberfläche. Indem sie die Lichtabschwächung unter Wasser und die Dicke der durchmischten Schicht berücksichtigten, errechneten sie, welcher Einstrahlung ein beliebiges Teilchen im Wasser ausgesetzt wäre.

Als sie die Werte verglichen, kristallisierte sich die Einstrahlung oder die Lichtdosis klar als entscheidender Faktor für die Schwankungen der DMS-Konzentrationen heraus: In einer Regressionsanalyse erklärten sie 94 Prozent der Variabilität. Anders gesagt: Die DMS-Gehalte verändern sich fast ausschließlich im Einklang mit den Einstrahlungsverhältnissen. Diesen Befund konnten die Forscher mit Werten anderer Messstationen in der Sargassosee untermauern. Und letztendlich bestätigen Vallina und Simó damit Ergebnisse von 2004, die einen ähnlich engen Zusammenhang für die UV-Einstrahlung und die DMS-Konzentrationen ans Licht gebracht hatten.

Keinerlei Verknüpfung entdeckten die Forscher hingegen mit Chlorophyll-Messungen, die als Maß für die Phytoplankton-Biomasse verwendet werden, im Gegenteil: In subtropischen und niederen gemäßigten Breiten ging ein Maximum an DMS mit einem Minimum an Biomasse einher – Daten, die ebenfalls von anderen Studien bestätigt werden. In kalten Regionen hingegen stimmen die beiden Peaks überein. Fazit des Ganzen: Ein globaler Zusammenhang zwischen Biomasse und DMS scheint nicht zu bestehen.

Um diesen Befund weiter abzusichern, erstellten die Wissenschaftler ein globales Gitternetz mit DMS-Konzentrationen der Global-Surface-Seawater-Datenbank. Da ihnen hier nun die Einstrahlungsmessungen fehlten, schätzten sie die Werte mittels klimatologischer Modelle ab. Und wieder zeigte sich dasselbe Bild: "DMS folgte der Sonneneinstrahlungsdosis weitaus stärker als der Plankton-Biomasse oder der Temperatur", so die Autoren. Und das nicht etwa nur in bestimmten Breiten wie bei der Biomasse, sondern schlicht auf dem gesamten Planeten.

Was steckt dahinter? Vielleicht die noch recht junge Hypothese, wonach die DMS-Freisetzung durch Algen ein Nebenprodukt eines Antioxidationsmechanismus auf Schwefel-Basis darstellt. Falls hohe UV-Einstrahlung für die Plankter hohen oxidativen Stress – und damit DMS-Abgabe – bedeutet und gleichzeitig die bekannte Aufnahme von DMS durch Bakterien hemmt, würde sich das Dimethylsulfid nur bei hohen Einstrahlungswerten im Meerwasser anreichern. Damit ist auch klar, wie hoch variabel die DMS-Abgabe in die Atmosphäre ist: Sie bildet nicht die jahreszeitlichen Schwankungen in der Phytoplankton-Biomasse ab, sondern folgt dem viel detaillierteren Auf und Ab der Sonneneinstrahlung. Und dieser enge Zusammenhang bewirkt eine negative Rückkopplung: Nach Phasen hoher Einstrahlung mit DMS-Anreicherung verstärkt sich die Wolkenbildung, was den oxidativen Stress für die Organismen verringert. Dementsprechend gelangt weniger DMS in die Atmosphäre – und die Wolkenbildung geht zurück.

Eine Frage also ist beantwortet: Die Rückkopplung ist negativ, nicht positiv. Für die Klimamodellierer eine wichtige Erkenntnis. Wenn sie jetzt noch die anderen Schräubchen, Gestänge und Gelenke im Räderwerk DMS verstehen, könnte das Molekül tatsächlich einst einen gesicherten Platz im Faktorenbaukasten bekommen.

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