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Fischerei: Erholung in Sicht

Droht das Ende von Fischstäbchen und Ölsardine, weil die Tiere überfischt werden? Nicht unbedingt: Richtig angepackt, können sich sogar schwer ausgebeutete Fischgründe wieder regenerieren.
Fischtrawler
Wenig Freunde bei Behörden und Fischern machte sich Greenpeace im letzten Sommer. Die Umweltorganisation versenkte einfach mehr als 300 tonnenschwere Natursteine vor der Sylter Küste. Ziel der Aktion war es, das Sylter Außenriff zu schützen, indem die zerstörerische Fischerei mit Grundschleppnetzen verhindert wird. Kritiker vergleichen die Methode mit einer Jagd, bei der man den Wald abholzt, um die Rehe zu erlegen: Mit ihren beschwerten Netzen pflügen die Fischer den Meeresboden um, trüben das Meer, rasieren Kaltwasserkorallen ab und klauben neben den gewünschten Seezungen, Schollen und Flundern alles an Tieren auf, was auf dem Grund lebt. Obwohl das Sylter Außenriff seit fünf Jahren als Schutzgebiet ausgewiesen ist, warfen die Fischer dort trotzdem ihre Netze aus.

Fischtrawler | Ein Boot für die Grundschleppnetzfischerei – doch dieses dient der Wissenschaft und soll zeigen, wie sich diese Art des Fangs auf die Meeresökologie auswirkt.
Auch wenn Greenpeace am Ende nicht alle Felsbrocken über Bord werfen konnte, zeigt sich ein Jahr später doch der ökologische Erfolg der umstrittenen Aktion: Wo kein Schleppnetzfischer seinem Tun mehr nachgehen kann, siedeln nun Seenelken und Moostierchen, fressen Butterfisch und Zwergbutt oder laichen Tintenfische, wie ein beauftragter Gutachter nachweisen konnte. Beschweren dürfen sich die Seeleute zudem auch nicht unbedingt über die Handlung:

Dabei sind diese Missachtungen in höchstem Maße kontraproduktiv, wie nun wieder einmal eine umfangreiche Studie von Fischereiexperten, Ökologen und Meeresforscher um Boris Worm von der Dalhousie University im kanadischen Halifax nachgewiesen hat. Schon 2006 hatte der Biologe gewarnt, dass sich die Menschheit einer ihrer wichtigsten Proteinquellen berauben könnte: Bis 2050, so seine Warnung, könnte alle heute lukrativen Fischgründe, Muschelbänke oder Garnelenschwärme endgültig erschöpft sein – zurück blieben im Meer nur tote Riffe und schleimige Quallen- oder Algenplagen.

Weiter abwärts

Schon jetzt sind wir auf dem besten Wege dorthin, gelten doch bereits drei Viertel aller Fanggebiete in den Ozeanen als überfischt oder schon zerstört. Jedes Jahr weite sich neue und größere sauerstofflose Todeszonen aus. Seit etwa 1980 verharren die Fangmengen auf einem Niveau von 80 Millionen Tonnen jährlich, obwohl sie in den Jahrzehnten zuvor stetig und um das Fünffache angestiegen sind – bei ungebremster Nachfrage und eigentlich wachsendem Bedarf. Überhaupt konnten die angelandeten Erträge nur gehalten werden, weil die Flotten auf entlegene Regionen, die Tiefsee, andere Arten und kleinere Individuen zurückgegriffen haben – obwohl sie damit erst recht den Niedergang ihrer Wirtschaft beschleunigen.

Neoplatycephalus richardsoni | Zu den gut bewirtschafteten Fischgründen der Welt zählen die Gewässer Australiens, wo unter anderem der Tiger-Flachkopffisch (Neoplatycephalus richardsoni) gefangen wird.
Das bestätigen auch die Ergebnisse der neuen Arbeit: "Zwei Drittel der von uns untersuchten Gründe wurden überfischt und bedürfen eigentlich der Erholung", sagt Co-Autor Ray Hilborn von der University of Washington in Seattle. Verschwunden sind im weltweiten Vergleich vor allem große Raubfische wie der Kabeljau, Arten die auf dem Meeresgrund leben und Haie oder Rochen. Riesige Biomasseverluste betrafen den Nordatlantik, den Golf von Thailand oder Neufundland – das Sterben der Kabeljaufischerei vor Kanadas Ostküste ist eines der markantesten Beispiele für Raubbau. Die Durchschnittsgröße der angelandeten Fische schrumpfte im letzten halben Jahrhundert um die Hälfte, und vielerorts krempelte sich das gesamte Ökosystem um, weil Raubfische fehlten oder Quallen überhand nahmen. Und nachdem viele küstennahen Fischereigebiete erschöpft waren, verlegten sich die Flotten auf das Ausbeuten der Hochsee: Der Ertrag an Grundfischen ging um 56 Prozent zurück, jener der Arten aus dem offenen Meer stieg dagegen um 140 Prozent an.

Alarmierende Zahlen. Während aber die Europäer nahezu ungebremst mit ihrer zerstörerischen Fangpolitik fortfahren und stets höhere Quoten genehmigen, als Wissenschaftler überhaupt für tragfähig erachten, denken andere Nationen bereits um. Mit Erfolg, wie die auf Tausenden von Daten basierende Untersuchung zeigt: "Gute Nachrichten haben wir aus Gewässern der Vereinigten Staaten, Islands oder Neuseelands. Diese in höchstem Maße geregelten Fischgründe erholen sich", so Hilborn. In der östlichen Beringsee vor Alaska, dem Kalifornienstrom vor Südostaustralien oder rund um Neuseeland nahm der Druck auf die Fischschwärme bedeutend ab, um sie nachhaltig und auf Dauer bewirtschaften zu können.

Wo ein Wille ist

Kaiserbarsche | Eine Fischreiinspektorin kontrolliert einen Fang Kaiserbarsche vor der australischen Küste. Seit den 1980er Jahren wird diese Art einigermaßen nachhaltig gefangen.
Viel verbessert hat sich vor allem in den reichen Nationen, wobei Worm und Co einschränken, dass ein Teil der Entlastung auf Kosten der Entwicklungsländer ging, weil die Fischerei einfach dorthin ausgelagert wurde: Wieder gibt die Europäische Union dabei ein negatives Beispiel ab, da sie ihre mit hohen Subventionen gepäppelte Flotte nach Westafrika schickt, wo sie für relativ kleines Geld die Meere derart leer fischt, dass die lokalen Fischer oft mit leeren Netzen nach Hause kommen.

Wo Wissenschaftler, Ökonomen und Gemeinden an einem Strang ziehen, stellen sich allerdings auch im Süden Erfolge ein – in Kenia beispielsweise: Auf Empfehlung der Fachleute schlossen einige Fischerdörfer wichtige Laichplätze und Kinderstuben der Fische und erlaubten nur mehr den Einsatz bestimmter Fanggeräte oder -techniken. "Bald hatten die Fischer wieder größere Beute im Netz. Und als Folge stieg auch ihr Einkommen wieder", sagt Tim McClanahan von der Wildlife Conservation Society in Kenia. "Wir wissen, dass wir mehr Ertrag mit geringerem Aufwand abfischen können, wenn wir die Überfischung erst einmal eingedämmt haben und den Tieren Zeit zur Erholung geben. Die Verantwortlichen an so unterschiedlichen Orten wie Kenia und Island haben das bewiesen – trotz immenser Herausforderungen und Widerstände", ergänzt Jeremy Collie von der University of Rhode Island in Narragansett, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Tigergarnele | Die Wahl zwischen Zucht- und auf offener See gefangenen Garnelen ist oft eine zwischen Teufel und Beelzebub: Für die einen werden Mangroven abgeholzt, für die anderen oft der Meeresboden umgepflügt.
Den "Managern" stehen dafür eine ganze Reihe an Maßnahmen zur Verfügung: von Fangquoten und -verboten über Zonierungen und kommunale Selbstbestimmung bis hin zu intelligenteren Fangmethoden. Langleinen zum Beispiel ziehen gezielt Raubfische aus dem Wasser. Allerdings stirbt auch an diesen Haken viel so genannter Beifang wie Albatrosse und andere Seevögel, die jährlich zu Hunderttausenden ertrinken, weil sie nach den Ködern schnappen. Dies lässt sich letztlich verhindern, indem diese Appetithappen blau eingefärbt werden, die Haken mit Senkgewichten über Bord gehen, damit sie schneller sinken, oder die Vögel mit wehenden Fahnen am Bootsrumpf fern gehalten werden. In Alaska und Neuseeland – den weltweit am besten aufgestellten Fanggebieten – werden diese billigen Methoden praktiziert: Es sterben bedeutend weniger Vögel, und die Fischer haben mehr Fische an der Leine sowie geringere Verluste durch Schäden am Material.

Nur mit Hilfe der Politik

Als Schlüssel zum Erfolg sehen die Wissenschaftler ein Quotensystem, das sie Multi-Species Sustainable Yield (MMSY) nennen. Es zählt die Fangerträge aller befischten Arten zusammen und berücksichtigt, in welchen ökologischen Beziehungen sie stehen: Keine Spezies wird zu Gunsten oder zum Nachteil anderer übernutzt, so dass die Nahrungsnetze möglichst intakt bleiben. Bleiben die Fischer bis zu einem gewissen Grad unter der Gesamtbilanz des MMSY, so gewinnen sie auf Dauer – und das ist der springende Punkt – den gleichen finanziellen Ertrag wie kurzzeitig beim Überdehnen der Maximalgrenze, was bald vom Zusammenbruch der Populationen gefolgt wird.

Fischer in Kenia | Leidtragende der Überfischung durch die großen Flotten sind oft die lokalen Fischer vor Ort. Mangels Wissen und Technologie beteiligen sie sich aber bisweilen auch selbst an der Zerstörung ihrer Einkommensquelle – etwa durch Dynamitfischen. In Kenia haben sie sich aber mit Wissenschaftlern zu einem erfolgreichen Experiment zusammengeschlossen und erhalten ihre Fischgründe.
Der politische Wille muss jedoch vorhanden sein, wie in den USA, wo strenge Gesetze erlassen wurden, um Überfischung zu verhindern. Denn die Einschränkungen haben auch ihren Preis: "Einige Regionen haben sich entschlossen, ihre Fischbestände nicht mehr zu übernutzen. Das kann für die Fischer zumindest kurzfristig schmerzhaft sein – auf Dauer zahlt es sich für sie und das Meer aber aus", warnt Trevor Branch, der ebenfalls an der University of Washington in Seattle arbeitet.

In Europa sieht es für einen politischen Wandel gegenwärtig noch schlecht aus, wie der Blick auf die Streitigkeiten beim geplanten EU-Beitritt Islands entblößt: Eines der gewichtigsten Argumente, die gegen die Aufnahme der Atlantikinsel vorgebracht werden, ist die Weigerung Reykjaviks, seine Fischgründe für die EU-Flotten freizugeben. Dabei drängt weltweit die Zeit zur Umkehr, mahnt Pamela Mace vom neuseeländischen Fischerei-Ministerium: "Wir müssen viel schneller handeln, um einzelne Fischgründe und deren Ökosysteme wieder herzustellen, damit überhaupt Hoffnung für das Überleben des Fischfangs und der davon abhängigen Gemeinschaften besteht."
  • Quellen
Worm, B. et al.: Rebuilding global fisheries. In: Science 325, S. 578–584, 2009.

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