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Langzeitgedächtnis: Erinnern auf direktem Weg

Ratte mit Futterpellet
Laut einer verbreiteten Vorstellung funktioniert das menschliche Gedächtnissystem ganz ähnlich wie ein Computer: Neue Erinnerungen werden zunächst im "Arbeitsspeicher" zwischengelagert und dann nach und nach, mitunter erst im Schlaf, auf die "Festplatte" Großhirnrinde übertragen. Dass dieses Bild nicht nur grob vereinfachend, sondern teils sogar falsch ist, demonstrieren nun Forscher um Richard Morris von der University of Edinburgh.

Langfristige Erinnerungsspuren können den Wissenschaftlern zufolge nämlich auch unmittelbar in der Großhirnrinde, dem Kortex, angelegt werden – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen: Der Schnellspeicher funktioniert offenbar nur, wenn sich die Informationen in bereits etablierte Schemata einfügen.

Ratte mit Futterpellet | Die Ratten mussten lernen, wo es sich im Sand der Futterstellen nach Nahrung zu wühlen lohnte. Im entscheidenden Moment änderten die Forscher jedoch die Anordnung und prüften dann ab: Hatten sich die Tiere die neue Position gemerkt?
Ein solches Schema mussten die als Versuchstiere dienenden Ratten daher zunächst über einen Zeitraum von mehreren Wochen erlernen: Die Wissenschaftler präsentierten ihnen einen weitläufigen Käfig mit sechs Futterstellen, die jeweils nur eine bestimmte Sorte Futter hergaben. Mit der Zeit hatten sich die Tiere diese Zuordnung eingeprägt. Dann variierte das Team um Morris jedoch die Verteilung – bei einigen Tieren nur moderat, bei anderen hingegen radikal – und testete rund anderthalb Stunden später, ob die Tiere die neuen Aufteilung der Futterorte und -sorten verinnerlicht hatten.

Bei den Ratten, die mit einer komplett durcheinander gewürfelten Zuordnung konfrontiert worden waren, hatte sich die Erinnerung nach diesen 90 Minuten wieder verflüchtigt - so wie es für das Kurzzeitgedächtnis typisch ist. Diejenigen Nager aber, die eine leichte Variation zu meistern hatten, konnten die neuen Paarungen in das bereits etablierte Schema integrieren, mutmaßen die Forscher. Die Tiere hatten sich die leicht veränderten Paarungen problemlos gemerkt.

Dass hierbei tatsächlich die Großhirnrinde die Speicherung übernahm, wiesen Morris und Kollegen anhand von Gewebeuntersuchungen des Hirns nach. Sie fanden in den entsprechenden kortikalen Regionen erhöhte Aktivität zweier charakteristischer Gene, die mit Vorgängen beim Synapsenumbau in Verbindung stehen. Hier hatten sich offenbar dauerhafte Gedächtnisspuren verfestigt, so die Wissenschaftler. Bei der Rattengruppe, die mit einer komplett neuen Futterzuordnung geprüft wurde, fand sich keine erhöhte Genaktivität im Kortex.

In einem zweiten Experiment konnten die Forscher die schnelle Gedächtniskonsolidierung sogar gezielt unterbinden. Hierzu injizierten sie den Ratten eine Substanz in die entsprechenden Großhirnbereiche, welche jene Rezeptoren lahmlegt, die für derartige Lernvorgänge verantwortlich sind. Das schnelle schemagebundene Lernen unterblieb daraufhin: Die Ratten konnten sich nach 90 Minuten an nichts mehr erinnern. (jd)
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